Schon seit einigen Jahren ist Pippi Langstrumpfs Vater nicht mehr "Negerkönig", sondern "Südseekönig".

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Die aktuellen Wirbel auf dem Gebiet der Überarbeitung von Kinderliteratur wirken zuweilen so, als würden Verlage eher vorwärtstaumeln, als ihre Entscheidungen fundiert zu fällen. Wenn der britische Puffin-Verlag, der die Werke Roald Dahls verwaltet, ein paar Tage nach dem Shitstorm gegen die Streichungen von Worten wie "fett" verkündet, es werde parallel zur überarbeiteten eine Originalausgabe ohne korrigierte Begriffe geben, ist das ein Beispiel für Ratlosigkeit.

Es weist aber auch darauf hin, dass Kinderliteratur am hiesigen Buchmarkt rund 20 Prozent des Umsatzes ausmacht. Guter Rat ist teuer, schlecht beraten zu sein noch teurer. Man will auf Kunden, woke wie nostalgische, nicht verzichten.

Werte wie Diversität und Inklusion

Mit mehr Systematik als Puffin scheint Disney vorzugehen. Entenhausen war nie ein Ort der Seligen: die Panzerknacker, Pechvogel Donald, der fiese Kater Karlo. Für viele Leser ist es dennoch ein Paradies. In den letzten Jahren wurden als problematisch erachtete Begriffe aus Neuauflagen getilgt, nun werden manche Charaktere des Konzerns gestrichen. So machte der Zeichner Don Rosa jüngst auf Facebook publik, ein US-Verlag habe ihm mitgeteilt, Disney überprüfe sein Figurenarsenal auf seine gegenwärtige Tauglichkeit. Also könnten einige von Rosas Geschichten, die nicht länger mit Werten wie Diversität und Inklusion übereinstimmen, nicht mehr veröffentlicht werden.

Betroffen sind zwei Geschichten aus Rosas Zyklus Onkel Dagobert – Sein Leben, seine Milliarden. In beiden kommt Bombie der Zombie vor, eine Figur mit krausem Haar und goldenen Ohrringen – stereotypen Merkmalen der Darstellung Schwarzer. Erstmals verwendet hatte ihn 1949 Carl Barks. Sogar der Disney-Säulenheilige ist vor Zugriffen nicht gefeit. Aus Christmas in Duckburg musste der US-Verlag Fantagraphics 2022 eine Geschichte von Barks streichen. Disney gibt Richtlinien vor, Lizenznehmer weltweit müssen sich fügen. Der deutsche Verlag Egmont äußert sich nicht.

Viele Anforderungen

Die Kinderbuchbranche bemüht sich gerade, vielen Anforderungen gerecht zu werden. Sich ihrer selbst ganz sicher scheint sie dabei nicht. Denn Kinderliteratur ist doch mehr als nur Erziehungshilfe, auch wenn sie oft pädagogische Aufgaben erfüllt. Das mag ein Grund sein, warum man auf viele Interviewanfragen von vielen Verlagen Absagen kassiert. Nicht nur bei Ravensburger (der Verlag erlebte vorigen Sommer einen Shitstorm rund um die Figur Winnetou), auch bei Oetinger will niemand etwas dazu sagen.

Bei Letzterem erscheinen neben Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf auch Geschichten von Christine Nöstlinger. Die Buchstabenfabrik, die deren Werk verwaltet, lässt wissen: Die wenigen Male, die ein Verlag Änderungen vorgeschlagen habe, habe Nöstlinger diese akzeptiert und den Text selbst umgeschrieben. Sie habe "reflektiert, dass sich Gesellschaften verändern". Würden Bücher jetzt aber "in erster Linie nach ihrem Diskriminierungspotenzial" beurteilt, fiele man in eine Zeit zurück, als sie vor allem "pädagogische Bedürfnisse" Erwachsener befriedigen sollten. Kinder wollen eben auch Widersetzliches. Dem pflichtet ausgerechnet die deutschsprachige Dahl-Neuausgabe im Verlag Penguin Random House letzten Herbst bei. Die Titel wurden nach frühen Textversionen und ohne Auflagen zu beschönigenden Korrekturen frisch übersetzt.

Pauschallösungen, wie mit Büchern umzugehen sei, gebe es nicht, heißt es auf STANDARD-Nachfrage aus dem Verlag. Jedes Buch gehe durch ein sorgfältiges Lektorat, mit Autoren und Übersetzern werde "möglichst nah am Original gearbeitet, ohne den Ton und die Zielgruppe aus den Augen zu verlieren". Am schutzlosesten seien übrigens Kinder, die gerade zu lesen begännen.

"Hakerllisten" greifen zu kurz

Gender, psychische Gesundheit, Behinderung und Gewicht sind aktuell heikle Themen. Dass man wegen der Diskussion diverser als vor einigen Jahren programmiere, würde die Sprecherin nicht sagen, doch lerne man dazu. Publikumsdruck nach Korrekturen spüre man nicht.

So geht es auch dem in Innsbruck ansässigen Verlag Tyrolia. Lektorin Katrin Feiner hält wenig von "Hakerllisten" beim Verlegen von Kinderbüchern, das greife zu kurz. "Wir klopfen unsere Einstellungen und Wahrnehmung aber permanent ab. Es kann jedoch sein, dass ich in zehn Jahren sage: Wir waren damals auf etwas so fokussiert, dass wir etwas anderes übersehen haben."

Die visuelle Ebene verlange in Bilderbüchern zudem Vorsicht. Man versuche da von sehr klassischen Darstellungsformen oder klarer Geschlechtszuordnung abzugehen. "Ob androgyne Figuren die Lösung sind, kann man aber diskutieren."

Konfliktfelder meiden

Humor und Satire als Mittel um Klischees bewusst zu machen, will Tyrolia nicht verbannen, zugleich seien sie heikel, weil Kindern Weltwissen fehle, um sie einzuordnen. So wie es "das" Kind nicht gibt, gebe es "das" richtige Kinderbuch nicht, sagt Feiner. Und nimmt Eltern in die Pflicht, sie könnten beim Vorlesen von sich aus weibliche Formen verwenden. "Man kann über Gelesenes ja diskutieren."

Tyrolia findet sich heuer dreimal auf der Gewinnerliste des Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreises. Viele der Titel spielen im Wald. Ob Kinderliteratur aktuell versuche, vom Schulhof in den Forst auszuweichen, um Konfliktfelder zu meiden? Manche Themen, sagt Feiner, würden von Künstlerinnen derzeit nicht angegriffen aus Angst, trotz Bemühen etwas falsch zu machen. Gerade hat sie mehrere Absagen erhalten, einen Text mit eingewobener Flüchtlingsthematik zu illustrieren, "was schade ist, weil solche Themen so verschwinden". (Michael Wurmitzer, 7.3.2023)