Festen Schrittes in Richtung Wirtshaus sagt Marcel, der junge ÖVP-Mann mit Brille und Trachtenhut: "Jetzt drücken wir den Resetknopf!" Er zeigt mit der Hand eine Drei. Wie das gemeint sei, ob die ÖVP mit dem heutigen Wahlerfolg Landeshauptmann Peter Kaiser stürzen wolle und er eine Dreierkoalition gegen die SPÖ andeute? Aber nein, er meine bloß die Anzahl der weißen Spritzer, die er im Wirtshaus Kosterei bestellen werde.

Marcel, mit Hut und Brille, jubelt dem lachenden Kanzler Nehammer und ÖVP-Spitzenkandidat Gruber zu. Noch ist die Stimmung ausgelassen.
Foto: Ferdinand Neumüller

Denn heut geht’s dort rund, die 1,74 Plus auf 17 Prozent bei der Wahl wollen gefeiert werden. "Unser Martin, unser Martin, hey, hey, hey", intoniert die kleine ÖVP-Gemeinde. So laut, als wäre Austria Klagenfurt gerade Cupsieger geworden. Doris, die wie Marcel ÖVP-Chef Martin Gruber im Wahlkampf begleitet hatte, singt nicht mit. Sie kann nicht. Sie wachelt mit der Hand vor ihrem Gesicht herum, um die Tränen zu vertreiben: "Der Martin ist der beste Mensch, den es gibt. Er hat nie aufgehört zu kämpfen", sagt sie schluchzend.

Drei gegen Kaiser?

Der Hinweis von Marcel auf die Zahl Drei könnte natürlich einen ernsten Hintergrund haben. Denn ÖVP-Kandidat Gruber könnte sich durchaus mit der FPÖ und dem Team Kärnten verständigen, die Mehrheitspartei SPÖ und Landeshauptmann Kaiser auszubremsen und im Verein selbst den Landeshauptmann zu stellen. Die FPÖ und Team-Kärnten-Chef Gerhard Köfer wären dafür wohl zu haben. Die nächsten Tage oder Wochen werden weisen, ob Gruber dieser Versuchung widerstehen kann. Bis jetzt bekräftigte Gruber jedoch stets seine Präferenz für eine Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ.

An diesem Wahlabend aber war erst einmal Party angesagt. Und dazu gehört auch ein Party-Crasher – eine Rolle, die Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer übernahm.

Bundeskanzler Karl Nehammer mit Kameralachen neben dem überglücklichen Martin Gruber.
Foto: Ferdinand Neumüller

Kurz vor dem Eintreffen des Kanzlers, der sich spontan selbst einlud und nach Klagenfurt chauffieren ließ, packte einer noch seine Ziehharmonika aus und quetschte für derartige Momente unvermeidliche Gstanzln heraus. Schließlich: "Er kommt", rief jemand. Nehammer schritt auf die kleine Schar zu, ein lautes "Unser Martin, unser Martin hey, hey, hey" wurde angestimmt, das kurz darauf in "unser Kanzler, unser Kanzler hey, hey, hey" gewandelt wurde. Nehammer fasste sich ergriffen ans Herz, verbeugte sich, als hätte er gerade eine Opernarie geschmettert und verweist generös auf Gruber, dessen Sieg und den von Kärnten, die es heute zu feiern gelte. Dann richtete er sich auf, schaut in die Kameras und sagt absolut stimmungstötend: "Fragen?"

Es wurde still, der Kanzler sagte noch einmal, wie toll sein Parteifreund Gruber sei, wurde dann auf die Frage, warum er erst nach dem Wahlsieg sein Kommen angekündigt habe, ein bissl schmähstad. Flugs verschwand er unter seinen Kärntner Parteifreunden. Im Abgang setzte er noch sein Markenzeichen auf: das breite Lachen im Gesicht, das er wie auf Knopfdruck ein- und auszuschalten vermag.

Bundeskanzler Nehammer sucht die Nähe zur Wand.
Foto: Ferdinand Neumüller

Fünf Minuten später verließen die ersten Gäste die Party. Nehammer tratschte mit den Seinen, stand immer mit dem Rücken zu einer Wand, und sein Blick schien Fluchtwege zu suchen. Als sich dann einer auftat, machte er drei flotte Schritte nach vorn, blickte in die unerwartet auftauchende Kamera eines Fotografen. Seine Miene gefror, er drehte am Absatz um und eilte wieder nach hinten. Die ÖVP-Wahlgaudi wurde zur Stehpartie. Nehammer ist irgendwie zum Partyschreck geworden.

Der rote Blues

Interessanterweise geriet die Wahlnachlese in der SPÖ, die immerhin einen epochalen Stimmenverlust zu verdauen hat, in der Parteizentrale wesentlich beschwingter. Nach dem ersten Schock und einigem Nachschub an kleinen Puntigamer-Flaschen wurde engagiert diskutiert, wurden Fehler besprochen – und es wurde sogar gelacht. Es schien, die Roten hätten ihren Blues überwunden.

Aber das Trauma sitzt natürlich tief und auch der Grant auf die "Undankbaren", die all die Hilfe durch das Land wie das Kinderstipendium nicht goutiert hätten. Die Aufarbeitung der Wahlschlappe wird schmerzhafte Therapiesitzungen nötig machen. Die ersten sind für den Dienstagvormittag angesetzt. Da tagen die Gremien der SPÖ Kärnten.

Abseits von Peter Kaiser gibt es viele lachende Gesichter in der SPÖ-Parteizentrale.
Foto: APA / GERD EGGENBERGER

An diesem Abend aber tröstete man sich mit dem Argument, es sei ja "das zweitbeste Ergebnis seit 30 Jahren". Und auch mit dem, was Parteichefin Rendi-Wagner gesagt hatte: dass in Krisenzeiten die Ersten in den Regierungen für alles verantwortlich gemacht werden. Das tröstete ein wenig. Und so ließ man in der SPÖ den schwarzen Tag mit Galgenhumor ausklingen. (Guido Gluschitsch, Walter Müller, 6.3.2023)

Grafik: der Standard