Kemal Kılıçdaroğlu ist seit 2010 Vorsitzender der CHP, der größten Oppositionsfraktion im türkischen Parlament.

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Ankara – Ein Bündnis aus sechs türkischen Oppositionsparteien hat sich auf einen gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl im Mai geeinigt. Die Allianz schickt den Chef der größten Oppositionspartei CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, ins Rennen gegen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan, wie der Vorsitzende der Saadet-Partei, Temel Karamollaoğlu, Montagabend ankündigte. Umfragen deuten auf einen engen Wahlausgang hin.

"Kemal Kılıçdaroğlu ist unser Präsidentschaftskandidat", verkündete Karamollaoğlu im Beisein der Vorsitzenden der fünf anderen Parteien, darunter auch Kılıçdaroğlu. "Wir wären eliminiert worden, wenn wir uns gespalten hätten", sagte der 68-jährige Kılıçdaroğlu nach der Bekanntgabe vor jubelnden Anhängern in Ankara. Er versprach, das Land im Fall eines Wahlsiegs gegen Erdogan "auf der Grundlage von Konsultationen und Kompromissen zu führen". Er fügte hinzu: "Recht und Gerechtigkeit werden sich durchsetzen."

Zähe Findungsphase

Das Bündnis hatte sich lange nicht auf einen Kandidaten einigen können; in den vergangenen Tagen hatte sich sogar ein Zusammenbruch der Allianz angedeutet. Fünf Parteien wollten Kılıçdaroğlu ins Rennen schicken. Die Vorsitzende der nationalistischen Iyi-Partei, Meral Akşener, favorisierte hingegen die Bürgermeister der Metropolen Istanbul und Ankara, Ekrem İmamoğlu und Mansur Yavaş, die ebenfalls der sozialdemokratischen CHP angehören.

Die beiden Bürgermeister hatten am Wochenende erklärt, dass sie die Kandidatur ihres Parteichefs unterstützen. Am Montag kamen İmamoğlu und Yavaş dann mit Akşener zusammen, um sie davon zu überzeugen, das Bündnis aus sechs Oppositionsparteien weiter zu unterstützen.

Dekret für Erdbebenopfer

Die Präsidentschafts- und Parlamentswahl ist für den 14. Mai angesetzt – gut drei Monate nach dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet mit mehr als 45.000 Toten allein in der Türkei.

Erdoğan hat neue Regelungen zu den vorgezogenen Wahlen für vom Erdbeben vertriebene Wähler angekündigt. Zur offiziellen Festsetzung des Termins werde er am Freitag ein Dekret erlassen, das am Samstag im Staatsanzeiger veröffentlicht werde, gab der Staatschef am Montagabend bekannt. Der Erlass werde sicherstellen, dass auch Menschen, deren Wohnsitz oder deren Wählerregistrierung sich wegen der Beben vom 6. Februar änderten, ihre Rechte wahrnehmen könnten.

Laut Regierungsangaben sind bisher 3,3 Millionen Menschen aus der Region evakuiert worden, 1,5 Millionen Menschen leben in Zelten. 50.000 Menschen sind in Containern untergebracht, 140.000 in Hotels.

Inflationsspirale unter Erdoğan

Erdoğan strebt eine weitere Amtszeit an. Die Opposition wirft ihm unter anderem vor, das Land nicht ausreichend auf Erdbeben vorbereitet zu haben. Ein Auseinanderbrechen des Oppositionsbündnisses hätte Erdoğan in die Karten gespielt.

Schon vor der Erdbebenkatastrophe hatte der Präsident, der das Land seit 20 Jahren lenkt, eine Reihe von Krisen gleichzeitig zu bewältigen. Seine Wirtschaftspolitik setzte eine Inflationsspirale in Gang, die die Preise vergangenes Jahr um 85 Prozent ansteigen ließ. Zudem kämpft seine Regierung gegen Vorwürfe der Freunderlwirtschaft und Korruption an.(APA, red, 6.3.2023)