Brad Mehldau: Variationen über Jazz, Pop und Klassik.

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Brad Mehldau ist ein Klaviergrübler mit weitem Musikhorizont. Gerne würde er mit Beethoven ein Klavierduo bilden. Gleichzeitig ist ihm auch Gitarrenekstatiker Jimi Hendrix nahe, dessen Stück Hey Joe er paraphrasiert, wenn er sich nicht gerade über ein Stück von Radiohead hermacht. Man kennt Mehldau außerdem als zentralen Jazzpianisten in der Nachfolge von Herbie Hancock und Keith Jarrett. Erstaunlich aber auch, dass er zu Hause Bilder von Johannes Brahms hängen hat, den er amikal "John Boy" nennt.

Da ist noch mehr. Auch eine Beethoven-Büste, so erzählt der Mann, der seine Heroinsucht überwunden hat, hält er in seiner häuslichen Nähe. Sie mahnt ihn, keinen Unsinn zu bauen, hält ihn allerdings auch nicht von der Klassik ab. Mehldau begleitet Ian Bostridge bei Schumanns Dichterliebe (am 13. 4. im Konzerthaus) und hat für den Startenor auch den Liederzyklus The Folly of Desire komponiert. In Mehldaus Kopf muss eine Jukebox der Musikgeschichte aktiv sein: Auf der Suche nach neuen JazzStandards stieß er nun auf die Beatles und formte Your Mother Should Know zur Hommage an die Pilzköpfe.

Respekt vor dem Song

Ein Dokument der komplexen Zugänglichkeit: Der Vielseitige geht mit den Stücken behutsam um, stellt Melodien in fast originaler Form vor, als kämen sie aus einer Spieldose. Dann allerdings Variation: Die Miniaturen werden harmonisch abstrakt gedeutet, Mehldau nimmt sie auf eine Reise durch seine komplexen Fantasien mit. Manches wird episch, ausufernd, manches aber auch kurz und pointiert. I Am the Walrus wird in bluesig-intime Groovestimmung getaucht, im zarten Piano erforscht Mehldau boogiemäßig das innere Gefüge von I Saw Her Standing There.

Mehldau geht also so respektvoll wie persönlich mit den Songs um, die er geburtsmäßig "verpasst" hat. Er wurde in Jacksonville, Florida, im Trennungsjahr der Beatles geboren, also 1970. Zu den Beatles wäre er indirekt über Klavierkollegen und Sänger wie Billy Joel und Elton John gekommen, erzählt Mehldau, der mit seinem Ansatz Leitfigur einer neuen Generation von Jazzern ist, welchen die Annäherung ans Popgenre selbstverständlich ist.

Fehlt noch Eigenes

Frühere Jazzgenerationen empfanden Pop hingegen eher als banale Geschäftsstörung, wenn sie nicht gerade selbst in den Charts waren wie Herbie Hancock mit Rockit oder Miles Davis mit Time After Time von Cyndi Lauper. Was dem undogmatischen Grübler Mehldau noch fehlt? Vielleicht das Schreiben bleibender Jazzstücke. Womöglich sind manche im Zyklus The Folly of Desire enthalten, den man im April im Konzerthaus hören wird, vermittelt durch Bostridges speziellen Tenor. (Ljubiša Tošic, 7.3.2023)