Der Historiker Petr Maťa berichtet im Gastblog über die Nutzung des seinerzeit größten ohne Innenstützen gewölbten Profanraums Europas quer durch die Jahrhunderte.

Nicht nur in Prag, wo Kompetenzüberschreitungen des Vorgängers Miloš Zeman zunehmend für Unmut, Spott und Resignation sorgten, herrschen derzeit Erleichterung und hohe Erwartungen. Unmittelbar nach dem eindeutigen Wahlergebnis erklärte der ehemalige Nato-General Petr Pavel, dass er das Amt bescheidener ausüben möchte – und nannte Österreich als Vorbild. Die feierliche, wie seit 1934 üblich im Wladislawsaal inszenierte Amtsübernahme verdeutlicht die Schwere dieser Aufgabe.

Der Wladislawsaal
Foto: Palickap (CC BY-SA 4.0)

Das größte staatliche Zeremoniell der Tschechischen Republik erfolgt in den majestätischen Kulissen der ehemaligen königlichen Residenz mit viel Gepränge und starker Geschichtssymbolik. Auf dem Programm steht diesmal unter anderem ein Gebet der Bischöfe vor dem Schädel des heiligen Wenzel. Darauf wird im Veitsdom ein Te Deum erklingen, allerdings nur als Musikstück von Antonín Dvořák ohne entsprechende Liturgie. Das neue Staatsoberhaupt ist, wie die Mehrheit seiner Landsleute, ohne Bekenntnis.

Die Umfunktionierung monarchisch kodierter Symbolik zur Legitimierung des republikanischen Amts hat eine Tradition, die zum ersten Präsidenten der Tschechoslowakei, Professor Tomáš Masaryk, zurückreicht. Der feierliche Einzug des neuen Amtsinhabers in den 62 Meter langen Wladislawsaal mitten durch die angetretenen Parlamentarierinnen und Parlamentarier und andere Prominenz erinnert, wie sein ähnlich formell inszenierter Auszug, mehr an eine Krönungszeremonie als an eine spätneuzeitliche Parlamentssitzung. Nicht eine unauffällige Tapetentür symbolisiert indes das tschechische Staatsoberhaupt, sondern die über der Burg wehende Präsidentenflagge, die beinahe tausendköpfige Burgwache, Fanfaren, Briefmarken mit seinem Konterfei und eine ländliche Schlossresidenz mitsamt dem drittgrößten Tiergarten im Lande.

Das grandiose Bauwerk des einflussarmen Königs

Bevor die Republik sich den Wladislawsaal zu eigen machte, wurde er jahrhundertelang für Großereignisse monarchischer Herrschaftsinszenierung mit variierenden Akzentsetzungen herangezogen.

Das Bankett im Wladislawsaal anlässlich der böhmischen Krönung Maria Theresias am 12. Mai 1743. Kupferstich von Johann Joseph Dietzler.
Foto: Archiv hlavního města Prahy, Sbírka grafiky, Sign. G 3632

Erbaut wurde der spätgotisch gewölbte Raum mit Frührenaissance-Bauteilen um 1500 bei der Neugestaltung des mittelalterlichen Königspalastes. Es wäre verfehlt, aus dem imposanten Bauwerk auf die Machtfülle des Auftraggebers schließen zu wollen. König Wladislaw II. Jagiello, nach dem der Saal erst seit dem Vormärz benannt wird, hielt sich seit 1490 im fernen Ungarn auf und die königliche Autorität erreichte unter ihm ihren Tiefpunkt. Es waren vielmehr die böhmischen Adelsstände, die mittels überdimensionierter Herrschaftsarchitektur ihren Anspruch auf Mitherrschaft und Königsnähe zum Ausdruck brachten.

Ursprünglich verband der neue Saal königliche Gemächer mit ständischen Machträumen. Er diente als Vorsaal zur damals neu gestalteten "Landstube", die als Gerichtssaal, Landtagsraum und Zugang zum ständischen Archiv den symbolischen Mittelpunkt des ständischen Böhmens verkörperte. Seitdem ständische Ämter im 16. Jahrhundert die königlichen Wohnräume verdrängten, wurde der gesamte Trakt zum Verwaltungszentrum des Königreichs. Zeitgenossen waren sich der Bedeutung des Bauwerks bewusst: Der Saal wurde als "Landeskleinod" apostrophiert, der Seinesgleichen im Heiligen Römischen Reich suchte. Reisende fühlten sich hier an Westminster Hall in London erinnert.

Der Alte Königspalast der Prager Burg, Grundriss der Ebene des Wladislawsaals. Zustand im 20. Jahrhundert mit farbiger Markierung der Bauetappen bis zu Wladislaw II.
1. Wladislawsaal
2. Landstube
3. Turmgebäude der Landtafel mit der Reittreppe
4. Allerheiligen-Kapelle
5. Grüne Stube
6. Ludwigsflügel mit den Amtsräumen der Böhmischen Kanzlei
7. Seitenflügel mit der Beratungsstube des Bürgerstands
Foto: Pozdně gotické umění v Čechách (1471–1526), hg. von Jaromír Homolka–Josef Krása–Vladimí Mencl–Jaroslav Pešina–Josef Petráň (Praha 1985), adaptiert von Petr Maťa

Im Alltag war der Saal ein öffentlicher Durchgangsraum – eine Art überdachter Platz mit der Funktion eines Knotenpunkts. Bei Bedarf ließ er sich jedoch zur monarchischen Herrschaftsinszenierung verwenden. Dann errichtete man vor seiner östlichen Stirnwand, deren großes dreiteiliges Fenster ursprünglich ins Freie hinausblickte, ein Podium mit Königsthron. In der ersten Zeremonie dieser Art erteilte hier König Wladislaw im Winter 1509/10 böhmische Lehen an zwei persönlich anwesende weltliche Kurfürsten.

Herrschaftsinszenierung zwischen Turnieren und Verkaufsbuden

Als Erzherzog Ferdinand von Österreich, der Schwiegersohn des Auftraggebers, von den böhmischen Ständen auf den Thron berufen wurde, erkannte er das Potenzial des wirkmächtigen Raumes. Ein prächtiges Turnier zu Pferd im Wladislawsaal anlässlich seiner Krönung im Februar 1527, mit persönlicher Beteiligung des Königs, und eine Belehnungszeremonie ein Jahr später bereiteten die Szene vor. Eine echte Machtdemonstration folgte zwanzig Jahre später: Im August 1547 saß Ferdinand einem im selben Saal inszenierten Sondergericht vor, das die Urteile gegen Anführer der von ihm niedergeworfenen Ständerevolte verkündete. Unter anderem 400 Vertreter der Prager Städte wurden gezwungen, sich vor dem thronenden Monarchen mit einem kollektiven Fußfall auf Gnade und Ungnade zu ergeben.

Wenig später überlegte das Beratungsteam Ferdinands, seinen Erbansprüchen mit Hilfe eines Herrscherzyklus an den Saalwänden Nachdruck zu verleihen. Die gesamte königliche Familie sollte dabei über dem in die Landstube führenden Portal gemalt werden, doch wurde das Projekt aus Kostengründen nicht realisiert. Stattdessen füllte einige Jahre eine Holzkonstruktion für Zuschauer der Reiterturniere den Raum.

Interessanterweise nutzte Kaiser Rudolf II., der in Prag seine ständige Residenz aufschlug, den Wladislawsaal nur sporadisch. Stattdessen institutionalisierte er dessen Funktion als Verkaufshalle für privilegierte Händler. Standardisierte Krämerkästen an den Wänden, 26 an der Zahl, entwarf Giuseppe Arcimboldo.

Der rege Betrieb im Wladislawsaal Anfang des 17. Jahrhunderts. In der Mitte bewundert eine persische Botschaft (eingetroffen in Prag im Jahre 1604) den Raum. Kupferstich von Aegidius Sadeler (1607).
Foto: Archiv hlavního města Prahy, Sbírka grafiky, Sign. G 21

Rudolfs Bruder und Nachfolger Matthias, der nach seiner Krönung in Prag 1611 – entgegen der gängigen Lehrmeinung – mehr Zeit in Böhmen als in Wien verbrachte, knüpfte mit höfischen Tanzveranstaltungen im Saal an seine Vorfahren an. Mit dem Jesuitendrama vom ersten christlichen Kaiser Konstantin setzte er einen eigenständigen Akzent. Diese Kampfansage an die protestantische Ständeopposition wurde im Saal am 6. Juli 1617, am Sterbetag des als Märtyrer verehrten böhmischen Reformators Jan Hus, aufgeführt. Die Anwesenheit des eine Woche zuvor gekrönten, gegenreformatorisch gesinnten Thronfolgers Ferdinand II. verstärkte die Botschaft.

Plan des Banketts im Wladislawsaal anlässlich der böhmischen Krönung Kaiser Karls VI. am 5. September 1723.
Foto: Petr Mat'a (Prag, Národní archiv, Stará manipulace, Sign. K 1/75, Karton 1057, fol. 282r.)

Als die Jesuiten zehn Jahre später anlässlich der Krönung Ferdinands III. mit einem Theaterstück über den Sieg Kaiser Konstantins über den Usurpator Maxentius in den Wladislawsaal zurückkehrten, waren die Machtverhältnisse im Königreich nach dem unterdrückten Ständeaufstand bereits ganz anders gestaltet. Wen Maxentius symbolisieren sollte, ist nicht schwer zu erraten.

Die Prachtentfaltung im Riesensaal

Nach dem Dreißigjährigen Krieg besuchten die Habsburgerkönige die böhmische Metropole selten, doch kaum einer von ihnen verzichtete auf die Heranziehung des Wladislawsaals für die Herrschaftsrepräsentation. Selbst der gänzlich unzeremonielle Joseph II. nahm hier im Jahre 1783 einen Belehnungsakt vor. Funktional wurde der Saal sogar weiter aufgewertet. Seit der Doppelkrönung Karls VI. und seiner Frau Elisabeth Christine 1723 wurden die Krönungsbankette aus der Landstube in den Saal verlegt und hier mit mehr Pomp abgehalten. Zur Ausschmückung der Saalwände brachte man damals – und erneut unter Maria Theresia 1743 – die prachtvolle Tapisserienfolge mit der Darstellung des Tunisfeldzugs Karls V. 1535 (heute im KHM).

Erbhuldigung der böhmischen Stände sowie der Delegationen der Stände Mährens und Schlesiens an Leopold II. im Wladislawsaal am 4. September 1791. Kupferstich nach einem Entwurf von Caspar Pluth (1808).
Foto: Archiv hlavního města Prahy, Sbírka grafiky, Sign. G 1750

Anlässlich der Krönung Leopolds II. 1791, eines Versöhnungsakts mit den Ständen in Reaktion auf die josephinischen Reformen, wurde auch die ständische Huldigung in den Wladislawsaal verlegt, während man entlang von dessen Längsseiten hölzerne Galerien für die Zuschauer errichtete. Der damals vorgeschlagene Einbau von Spitzbogenfenstern (die, wie es hieß, "dem saale nach seinen bestehenden gothischen gewölbungen weit angemessener" wären) wurde nicht umgesetzt. Zuletzt erglänzte der Saal anlässlich der letzten böhmischen Königskrönung im Jahre 1836 in voller Pracht.

Krönungsbankett Kaiser Ferdinands I. (V.) im Wladislawsaal im Jahre 1836.
Foto: Gemeinfrei

Der verhinderte Landtagssitzungssaal

Als ständischer Sitzungssaal diente der Raum nie. Erst im Revolutionsjahr 1848 wurde er – entgegen der Empfehlung von František Palacký – für die 327 Volksvertreter des neuen, gewählten böhmischen Landtags (neben weiteren 210 adeligen Mitgliedern) vorgesehen. Die im Juni in Prag ausgebrochenen Krawalle ("Pfingstaufstand") vereitelten diese Pläne. Franz Joseph I. konnte dann mit dem Raum nichts mehr anfangen. So wurde der Wladislawsaal erstmals 1934 anlässlich der vierten Wahl Masaryks zum Staatsoberhaupt für die feierliche Sitzung des republikanischen Parlaments adaptiert. Seitdem ist es dabei geblieben. (Petr Maťa, 9.3.2023)