Maispflanzen, die mittels Gen-Schere verändert wurden, fallen in der EU unter strenge Gentechnikauflagen – auch wenn sie sich nicht von konventionellen Züchtungen unterscheiden lassen.

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Vor etwa 10.000 Jahren machte die Menschheit einen epochalen Sprung: Sie erfand die Gentechnik. Mit dem Beginn der Sesshaftigkeit fingen vormalige Jäger- und Sammlerkulturen damit an, Wildpflanzen nicht nur zum sofortigen Gebrauch zu suchen, sondern gezielt nach Mutationen auszuwählen, die Gewächse landwirtschaftlich besser nutzbar machten. Die Pflanzenzucht war geboren, Selektion und Auslese nach gewünschten Eigenschaften bildeten das Fundament des Ackerbaus.

Heute werden unter grüner Gentechnik spezielle molekularbiologische Verfahren verstanden, um Mutationen im Erbgut von Pflanzen hervorzurufen. Das Prinzip ist dasselbe, dem unsere Vorfahren folgten – die Möglichkeiten haben sich aber dramatisch verändert: Anstatt nach vielversprechenden Mutationen in der natürlichen Vielfalt suchen zu müssen, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, genetische Veränderungen künstlich auszulösen und die Zucht neuer Sorten zu beschleunigen.

Darunter fallen auch klassische Verfahren der sogenannten Mutagenese wie chemische Behandlung oder radioaktive Bestrahlung, die seit vielen Jahrzehnten Standard in der Pflanzenzucht sind. Die Ergebnisse sind in jedem Supermarkt zu finden. Durch diese Verfahren wird die Häufigkeit von Mutationen erhöht – was dabei herauskommt, lässt sich aber nicht steuern. Bis zufällig eine nützliche Veränderung entsteht, kann es lange dauern.

Revolutionäres Werkzeug

Neuere Gentechnikmethoden ermöglichen dagegen eine viel höhere Präzision. Vor allem ein Werkzeug hat in den vergangenen Jahren für Furore gesorgt: die Gen-Schere Crispr. Diese 2012 erstmals vorgestellte Methode erlaubt es, sehr gezielt Veränderungen im Erbgut auszulösen, die sich nicht von natürlichen Mutationen unterscheiden lassen, Forschende sprechen dabei von Genom-Editierung.

Crispr ist zudem schnell und günstig anwendbar und lässt sich so auch von kleinen Institutionen nutzen. Pflanzenforscher in aller Welt arbeiten längst mit diesem Werkzeug, etwa um die Funktion einzelner Gene zu untersuchen oder Sorten resistenter gegen Hitzestress oder Krankheiten zu machen. Die Erfinderinnen der Gen-Schere, Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna, erhielten 2020 den Chemienobelpreis.

Restriktive Regelung

Doch den vielversprechenden wissenschaftlichen Fortschritten im Bereich der grünen Gentechnik stehen in Europa restriktive rechtliche Regelungen entgegen. Der Europäische Gerichtshofs (EuGH) urteilte 2018, dass auch alle Pflanzen, die mithilfe neuer Methoden wie Crispr gezüchtet wurden, strengen Gentechnik-Richtlinien unterliegen. Das gilt auch dann, wenn keine transgenen Organismen erzeugt wurden, also keine artfremden Gene in der Pflanze landen.

Die Mutagenese durch Bestrahlung oder chemische Behandlung wurde hingegen, obwohl sie ebenfalls als Gentechnik einzustufen ist und auf weitaus brachialere Weise zu Mutationen führt, für unbedenklich erklärt und von der Regulierung ausgenommen. In der Wissenschaft sorgte dieses Urteil für breite Kritik – und für große Einschränkungen: Die Zulassungsverfahren für Freilandversuche mit geneditierten Pflanzen sind so aufwendig und teuer, dass sie in der EU praktisch nicht durchgeführt werden können.

Hürden für die Forschung

Das könnte sich demnächst ändern. Nachdem sich etliche wissenschaftliche Institutionen für eine Änderung der Richtlinie ausgesprochen hatten, kam 2021 auch die EU-Kommission zu dem Schluss, dass die strenge Regulierung nicht für neue Genom-Editierungs-Verfahren geeignet sei. Bis Mitte des Jahres soll nun ein Vorschlag für eine Novellierung vorgelegt werden.

Auch österreichische Forschende sehen dringenden Bedarf für eine Änderung, wie bei einer Veranstaltung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) vergangene Woche betont wurde. Dabei gehe es nicht nur um den heimischen Wissenschaftsstandort, sondern auch um das Potenzial der Gen-Schere für eine nachhaltigere Landwirtschaft.

"Das Problem ist diese Hürde im Bereich der Forschung, aber auch bei der Umsetzung in Produktionssystemen", sagte ÖAW-Präsident Heinz Faßmann und plädierte dafür, dass die Wissenschaft mehr Gehör finden müsse. "Vermutungen, Ängste und Ideologien haben wir in diesem Bereich zuhauf. Aber die Wissenschaft hat so viel an gesichertem Wissen, dass wir in den Diskussionsprozess integriert sein müssen."

Produkt vor Methode

Die Molekularbiologin Ortrun Mittelsten Scheid vom Gregor-Mendel-Institut für molekulare Pflanzenbiologie der ÖAW sprach sich dafür aus, das Augenmerk künftig stärker auf das Produkt zu legen als auf die Methode der Genveränderung. Das würde eine genauere Beurteilung erlauben.

"Wir brauchen im Grunde nichts anderes, als wir in der bisherigen Pflanzenzüchtung auch anwenden", sagte Mittelsten Scheid. "Jede neue Sorte, die aus der konventionellen Züchtung hervorgeht, wird auf Herz und Nieren geprüft und beurteilt, bevor sie in den Verkehr gebracht werden kann." Die Prüfverfahren seien gut etabliert, und es gebe keine wissenschaftliche Begründung dafür, warum für geneditierten Pflanzen andere Voraussetzungen gelten sollten.

Die Forscherin warnte vor den Risiken, die ein Verzicht auf die Chancen der Gen-Schere mit sich bringen würde: "Es ist ein ganz fantastisches Werkzeug in der Pflanzenzüchtung, auf das zu verzichten ungefähr so wäre, als wenn man in der Medizin auf minimalinvasive Chirurgie verzichten würde."

Ausgelagerte Versuche

Für Hermann Bürstmayr vom Institut für Pflanzenzüchtung der Universität für Bodenkultur Wien ist die Gen-Schere "die eleganteste Methode, die wir derzeit haben", um etwa die Funktion eines bestimmten Pflanzengens zu erforschen. So ließe sich etwa testen, ob ein Gen die Trockenheitsresistenz beeinflusst. "Wenn wir das besser verstehen, können wir auch den nächsten Schritt machen: die Pflanze modifizieren, sprich neue Varianten herstellen, die auch die Natur uns liefern könnte – aber vielleicht erst in vielen Jahrzehnten."

Auch wenn die Gen-Schere längst nicht mehr aus österreichischen Forschungslabors wegzudenken sei, bleibe die heimische Forschung beschränkt, sagte Bürstmayr: Kein Institut würde sich den hürdenreichen Weg antun, eine geneditierte Pflanze im Freiland zu testen. Stattdessen müsse man sich an Kollegen in den USA oder Kanada wenden, wo die Vorgaben lockerer sind.

Schwierige Debatte

Mittelsten Scheid sieht in dieser Situation eine Gefahr für den Forschungsstandort Europa. "Mindestens die Hälfte aller geneditierten Pflanzen, die veröffentlicht werden, kommt aus China. Aber auch die USA und Kanada, Argentinien und Brasilien sind Vorreiter, und wir laufen Gefahr, den technologischen Anschluss zu verlieren. Auch in der Grundlagenforschung."

Mit dem demnächst erwarteten Vorschlag der EU-Kommission dürfte auch im Gentechnik-skeptischen Österreich die Debatte wieder an Fahrt aufnehmen. Gab es in der Vergangenheit Versäumnisse bei der Aufklärung durch die Wissenschaft? "Ich glaube, viele haben versucht, darüber sachlich zu berichten", sagte Bürstmayr. "Aber man ist oft auf verlorenem Posten gewesen."

Auch Mittelsten Scheid beurteilte die Debatte als "extrem schwierig seit den Anfängen in den 1980ern". Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass gentechnisch veränderte Pflanzen gefährlicher wären als konventionell gezüchtete, sagte die Forscherin. "Crispr ist ein echter Gamechanger, dadurch ist das Thema heute noch wichtiger." (David Rennert, 7.3.2023)