Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein.

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Tiflis – Bei regierungskritischen Protesten in der georgischen Hauptstadt Tiflis sind Sicherheitskräfte am Mittwochabend erneut mit Gewalt gegen Demonstranten vorgegangen. Die Demonstranten umringten nach Augenzeugenberichten das Parlament der Südkaukasusrepublik; einige versuchten auch, in das Gebäude einzudringen. Daraufhin setzten die starken Polizeikräfte wie am Abend zuvor Tränengas und Wasserwerfer ein, wie Bilder von Nachrichtenagenturen und TV-Sendern zeigten.

Beobachter schätzten die Zahl der Demonstranten auf 10.000 bis 15.000. Es seien mehr als am Dienstagabend, als die Polizei eine Demonstration mit Wasserwerfern und Tränengas aufgelöst hatte. Laut Innenministerium wurden 77 Menschen unter anderem wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt festgenommen. Der Protest hat sich an einem umstrittenen Gesetzentwurf entzündet: Ähnlich wie in Russland will die georgische Führung Medien und Nichtregierungsorganisationen, die aus dem Ausland unterstützt werden, als ausländische Agenten einstufen.

Gesetz über "Transparenz ausländischen Einflusses"

Am Dienstag hatte das Parlament in Tiflis den Gesetzesentwurf "Über die Transparenz ausländischen Einflusses", der offiziell auf die Offenlegung von Geldflüssen aus dem Ausland abzielt, in erster Lesung mehrheitlich verabschiedet. Kritiker befürchten, dass die georgische Bestimmung nach dem Vorbild eines ähnlich lautenden Gesetzes in Russland wirken könnte. Dort dient sie dazu, Regierungskritiker zu schikanieren.

Weil auch die EU das Gesetz kritisch sieht, fürchten die mehrheitlich proeuropäisch eingestellten Georgier um die Chance ihres Landes, EU-Beitrittskandidat zu werden. Am Mittwoch, dem Internationalen Frauentag, demonstrierten viele Frauen sowie Studierende. Der Oppositionspolitiker Lewan Chabeischwili rief dazu auf, die Proteste täglich fortzusetzen, bis die Regierung den Entwurf zurückzieht.

Unterstützung für die Demonstranten kam vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Dieser zeigte sich "dankbar", dass bei den Protesten die ukrainische Nationalhymne gespielt und ukrainische Fahnen getragen worden seien. "Es gibt keinen Ukrainer, der unserem befreundeten Georgien nicht Erfolg wünschen würde. Demokratischen Erfolg. Europäischen Erfolg", sagte Selenskyj nach Angaben der Agentur Ukrinform. Er sei "sicher", dass auch Georgien wie die Ukraine der EU beitreten werde, ebenso wie auch Moldau. "Alle freien Nationen Europas verdienen das."

Präsidentin unterstützt Demonstranten

Die Präsidentin der Ex-Sowjetrepublik Georgien, Salome Surabischwili, wandte sich an die Demonstranten und sicherte ihnen ihre Unterstützung zu. Sie werde ein Veto gegen das Gesetz einlegen, sollte es vom Parlament verabschiedet werden. In einem Gespräch mit CNN forderte sie außerdem die Behörden auf, keine Gewalt anzuwenden, Bürgerrechtler befürchten, dass eine Annahme des Gesetzes die Demokratie Georgiens unterhöhlt und die Perspektiven des Landes auf einen EU-Beitritt verschlechtert. Mit einem ähnlichen Gesetz in Russland wird seit Jahren die Opposition gegängelt.

Die Außenminister der baltischen Staaten äußerten sich ernsthaft besorgt über die neue Regelung über "ausländische Agenten" in Georgien. Der angenommene Gesetzesentwurf werfe ernsthafte Fragen über die Aussichten der Demokratie in der Kaukasusrepublik auf, teilten Urmas Reinsalu (Estland), Edgars Rinkevics (Lettland) und Gabrielius Landsbergis (Litauen) am Mittwoch in einer gemeinsamen Erklärung mit.

"Wir fordern das Parlament von Georgien auf, die wahren Interessen des Landes verantwortungsbewusst zu bewerten und Entscheidungen zu unterlassen, die die Bestrebungen der georgischen Bevölkerung untergraben könnten, in einem demokratischen Land zu leben, das sich der EU und der Nato annähert", schrieben die Chefdiplomaten der drei baltischen EU- und Nato-Länder. Zugleich riefen sie die georgische Regierung dazu auf, das Recht der Bevölkerung auf friedlichen Protest zu respektieren. (APA, red, 8.3.2023)