Kalbfleisch in Mehl, Eiern und Semmelbröseln paniert – das ist per definitionem ein Wiener Schnitzel. Doch das Traditionsgericht könnte sich in Zukunft weiterentwickeln.

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Das Laborfleisch ist in den Startlöchern

Was ein original Wiener Schnitzel ist, dafür hat das österreichische Lebensmittelbuch eine strenge Definition: Als solches gilt nämlich nur "ein mit Mehl, geschlagenem Ei und Semmelbröseln paniertes und anschließend in Fett herausgebackenes Kalbsschnitzel". Für Gastronom Thomas Figlmüller war es deshalb nicht ganz einfach, ein veganes Schnitzel auf die Speisekarte des traditionsreichen Restaurants in der Wiener Innenstadt zu bringen. "Mein Vater hat mich gefragt, ob wir uns da wirklich ganz, ganz sicher sind", erzählt Figlmüller der Jüngere dem STANDARD.

VIDEO: Zum vergangenen Weltvegantag am 1. November ging unser Videoteam der Frage "Wie vegan is(s)t Österreich?" nach.
DER STANDARD

Dieser war sich ganz, ganz sicher. Seit zwei Jahren gibt es im Figlmüller auch ein veganes Schnitzel: ein Stück aus Erbsenprotein der Firma Planted, paniert wird im Haus mit Semmelbröseln und Eiersatz. Rund vier Prozent der verkauften Schnitzel sind inzwischen fleischlos, Beschwerde habe es erst eine einzige gegeben. Dennoch experimentiert Figlmüller weiter. "Meine Frau fragt mich immer, ob ich komplett irre bin, wenn ich wieder irgendeinen neuen Fleischersatz anschleppe", sagt Thomas Figlmüller. Man müsse dranbleiben – schließlich kommen ständig bessere, günstigere Imitate auf den Markt.

Für dieses Hühnerbrustfilet der Firma Upside Foods musste kein Tier sterben.
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Die bestehen meist aus Pflanzen wie Soja, Erbsen oder Weizen. Das Laborfleisch steht aber bereits in den Startlöchern. Genau zehn Jahre ist es her, als der erste Burger mit aus Zellkulturen gezüchtetem Patty verkostet wurde. 300.000 US-Dollar soll seine Entwicklung gekostet haben. Noch in vielen Jahren danach entstanden in Petrischalen kleinste Fleischfetzchen, die zusammengepresst höchstens für Faschiertes reichten.

Inzwischen hat das Laborfleisch die Labors verlassen. Derzeit bauen mehrere Unternehmen Produktionsanlagen für "kultiviertes Fleisch", wie die Branche ihre Kreation selbst nennt. Der Preis soll, Massenproduktion vorausgesetzt, bereits auf zehn Euro pro Burger gefallen sein.

Vom Fetzen zum Steak

Wobei sich inzwischen sogar mehr als nur Burger produzieren lässt. Ende 2022 ließ die US-Lebensmittelbehörde ein im Labor gezogenes Hühnerbrustfilet für den Verzehr zu – bis sie in US-amerikanische Supermarktregale und Cesar Salads landet, dürfte es trotzdem noch dauern. Singapur ist da weiter: Dort sind Hühnernuggets mit gackerfreier Lieferkette bereits seit 2020 zugelassen.

Der erste Laborburger der Welt kurz vor seiner Verspeisung im Jahr 2013. Kostenpunkt: 300.000 US-Dollar.
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Das israelische Start-up Aleph Farms hat bereits Steaks in der Pipeline, die noch Ende dieses Jahres auf den Markt kommen sollen. Rein äußerlich erinnert das Produkt eher an ein Minutensteak als das Filetstück vom Waygu-Rind. Aber immerhin: Bis zum Schnitzel ist es von hier nicht mehr weit.

Italiens rechte Regierung hat am Mittwoch angekündigt, die Produktion von Laborfleisch zu verbieten – um das kulinarische Erbe des Landes zu schützen. Ob in Österreich, wo sich zuletzt bei Niederösterreichs neuer Regierung kulinarisches Volksbewusstsein entwickelte, ebenfalls ein Verbot folgt?

Thomas Figlmüller schließt jedenfalls nicht aus, dass er in seinem Restaurant auch Laborfleisch panieren und servieren wird.

Weniger Weizen, mehr Hirse

Österreich ist Selbstversorger im Weizenanbau. Für Kaisersemmel, Sachertorte oder eben Schnitzelpanier müsste theoretisch kein Korn importiert werden. Doch das könnte sich künftig ändern. Der Klimawandel wird enormen Einfluss auf den Weizenanbau nehmen, davon ist Peter Stallberger überzeugt. Er leitet die Geschäfte bei Goodmills, Österreichs größter Mühlengruppe, und ist selbst gelernter Müller.

Weizen fühlt sich zwischen 25 und 27 Grad am wohlsten. Mittlerweile würden aber gerade in Getreideanbaugebieten wie dem pannonischen Raum im Burgenland, im Marchfeld und Weinviertel in Niederösterreich immer häufiger über 30 Grad gemessen. "Unter diesen Spitzenwerten leiden die Körner", sagt Stallberger. Konkret bedeute das: viel Schale, wenig Kern und damit auch wenig Ertrag für Bauern und Landwirtinnen.

Die steigenden Temperaturen aufgrund des Klimawandels könnten dem Weizen zu heiß werden.
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Das werde sich in den kommenden Jahren zwar noch nicht auf den Tellern der Österreicherinnen und Österreicher auswirken, in den kommenden Jahrzehnten aber sehr wohl. Stallberger kann sich durchaus vorstellen, dass das beliebte Wiener Schnitzel in 30 Jahren nicht allein mit Weizenmehl, sondern einer Weizen-Quinoa-Amaranth-Hirse-Mischung paniert wird. Diese Getreidearten würden wärmere Temperaturen genetisch besser aushalten.

Anspruchsvolle Semmel

Ob ein Getreideprodukt zum Backen geeignet ist, wird in Österreich an der Kaisersemmel getestet. Sie stellt hohe Anforderungen an Rohstoffe, ganz besonders an den Eiweißgehalt des Getreides. Auch für die knusprige Panier des künftigen Schnitzels ist eine gute zu Bröseln gemahlene Semmel wichtig.

Ob sich Alternativen wie Sorghum, Hirse, Buchweizen oder Amaranth für das Backen einer Kaisersemmel eignen, hat Regine Schönlechner mit der HTL für Lebensmitteltechnologie, Getreide- und Biotechnologie Wels während des Projekts Klimatech getestet. Sie forscht am Institut für Lebensmitteltechnologie an der Boku Wien. Finanziert wurde das Projekt von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft. Das Ergebnis: Die Mischung macht’s.

Das Gluten und damit das Eiweiß ist einzigartig im Weizen, erklärt Schönlechner. Es macht Semmeln luftig und Nudeln elastisch. Weizen durch klimafitte Getreide wie Sorghum oder Hirse zu ersetzen sei schwierig, "da muss man viel tüfteln und ganz anders backen".

Für das Forschungsprojekt hat sie den Weizen zu einem gewissen Teil reduziert und mit Sorghum und Hirse ersetzt. Beide Getreidearten gelten als klimafit. Sie wachsen auch bei Hitze und Trockenheit. Die neue Mehlmischung scheint zu funktionieren – "die Produkte sind wirklich gut geworden", sagt Schönlechner. Die Basis sei gelegt, zukünftig müsse aber noch viel an der optimalen Mischung gearbeitet werden.

Ob die Kaisersemmel ohne Weizen jemals fluffig wird, darf bezweifelt werden.
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Ferdinand Lembacher von der Landwirtschaftskammer bezweifelt hingegen, dass Weizen seinen Stellenwert in der ackerbaulichen Tradition verlieren wird. Eine Semmel ohne Weizen kann er sich nicht vorstellen. Obwohl auch Weizen bei übermäßiger Hitze und Trockenheit an Ertrag verliere, erweise er sich im Vergleich zu alternativen Pflanzenarten als relativ ertragsstabil. Hirse und Amaranth seien jedenfalls keine gleichwertigen Alternativen. Das liege auch daran, dass Amaranth botanisch betrachtet kein Getreide sei und daher vollkommen andere Eigenschaften habe.

Veganes Ei in Schale geworfen

Pro Kopf haben die Österreicherinnen und Österreicher 2021 233 Hühnereier gegessen. Pro Woche sind das vier bis fünf Eier. Das ist um drei Prozent mehr als im Vorjahr, trotzdem werden pflanzliche Alternativen immer wichtiger.

Darauf deutet eine Studie der Boston Consulting Group hin. Die Autoren erwarten sogar einen "rapiden Anstieg" des veganen Eierkonsums. Aktuell würden weltweit 25.000 Tonnen Ei-Ersatz-Produkte konsumiert. Den Analysen zufolge könnte diese Zahl bis 2035 auf acht Millionen Tonnen ansteigen. Das entspricht rund zehn Prozent der derzeit gegessenen Hühnereier.

Die Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass im Jahr 2035 jede zehnte Portion Fleisch, Eier oder Milch aus einer pflanzlichen Alternative bestehen wird. Laut ihren Berechnungen könnte bis dahin mit pflanzlichem Fleisch und Eiern allein mehr als eine Milliarde Tonnen CO2 eingespart werden.

An pflanzlichen Ei-Alternativen wird weltweit getüftelt. Marktführer ist laut der Studie Just Egg, ein US-amerikanisches Unternehmen, das auf Mungobohnen setzt. Die Produkte sind in Europa noch nicht erhältlich. Trotzdem finden sich vegane Eier schon länger in gutsortierten Supermarktregalen. Der Tiroler Hersteller My Ey rührt pflanzliches Pulver mit Wasser etwa zu Eierspeise. Seine Rezeptur soll schmecken wie das Original, wenngleich keine der Zutaten daran erinnern.

Neben Gewürzen wie Pfeffer, Muskat oder Kurkuma finden sich auch Kartoffel- und Erbsenprotein, Johannisbrotkernmehl und Mais. Es sei eine geeignete Alternative zum Kochen und Backen. Rezepte für Sellerie- oder Zucchinischnitzel – deren Panier wie bei der tierischen Variante aus Mehl, Ei und Semmelbröseln zuzubereiten ist – finden sich auf der Website.

233 Eier haben die Österreicherinnen und Österreicher pro Kopf 2021 gegessen.
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In Schale gehüllt

Vegane Ei-Alternativen gibt es aber nicht nur in Pulverform. Eine Schweizer Supermarktkette hat mit "V Love The Boiled" etwa hartgekochte Eier aus Sojaprotein im Sortiment. Lediglich das vegane rohe Ei scheint noch auf sich warten zu lassen. Daran arbeitet aktuell das Start-up Neggst in Berlin. Das Ziel: pflanzliches Eigelb und Dotter getrennt in einer Schale – genau wie Hühnereier – zu verkaufen.

Das Start-up stellt bereits flüssige vegane Eier etwa für Eierspeisen her. Die Zutaten sollen soweit möglich dieselben bleiben, sagt Neggst-CEO Veronica Garcia-Arteaga im Gespräch mit dem STANDARD. Auch in Schale geworfen, werden sich also Erbsenprotein und Ackerbohnen in der Zutatenliste finden. Dotter soll sich durch Karotten und Süßkartoffel gelb, Eiweiß durch Mineralstoffe weiß färben. Für die passende Eierkonsistenz soll Geliermittel, unter anderem aus Algen, sorgen. Woraus die Schale gefertigt werden soll, ist noch unklar. Getestet werde derzeit biologisch abbaubares Polymer, sprich Plastik, oder auch eine Verpackung aus Mineralen wie Kalzium, das der Hühnereischale ähnlich ist.

Ersteres müsste wahrscheinlich aufgeschraubt, Letzteres könnte aufschlagen werden. So oder so, der Inhalt soll jedenfalls verquirlt und das Schnitzel durch die vegane Eier-Masse gezogen werden können. (Julia Beirer, Philip Pramer, 2.4.2023)