Die Astrophysikerin Suzanna Randall könnte bald zur Pionierin werden.
Foto: Marek & Beier

Noch nie war eine deutschsprachige Frau im All. Suzanna Randall könnte die Erste sein, die den Flug zur Internationalen Raumstation ISS antritt. Auch beruflich beschäftigt sie sich mit dem Weltraum, erforscht blaue pulsierende Unterzwergsterne. Daneben macht die Astrophysikerin im Rahmen der privaten Initiative "Die Astronautin" eine Ausbildung zur Astronautin. Geplant ist ein Kurzaufenthalt von etwa zehn Tagen auf der ISS, der spätestens 2023 stattfinden soll. Für Randall könnte damit ein langgehegter Kindheitstraum in Erfüllung gehen.

STANDARD: Der "Kleine Prinz", die Figur von Antoine de Saint-Exupéry, auf die Sie im Vorwort zu Ihrem Buch Bezug nehmen, schaut in die Sterne und denkt dabei an einen alten Freund. An wen denken Sie, wenn Sie in den Sternenhimmel schauen?

Randall: Ich denke nicht an Menschen. Eher daran, dass es in einem parallelen Universum vielleicht einen Planeten wie die Erde gibt, außer dass der Himmel rosa ist. Das hat etwas sehr Mystisches. Allerdings nicht in München, hier sieht man ungefähr drei Sterne. Ich bin sehr verwöhnt von den Sternenhimmeln durch Teleskope. Da ist es schwer, mich in Bayern mit einem Nachthimmel zu beeindrucken.

STANDARD: Sie arbeiten als Astrophysikerin an der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Garching bei München und könnten bald als erste deutsche Frau zur Internationalen Raumstation ISS fliegen. Haben Sie schon als Kind vom Weltall geträumt?

Randall: Mit neun saß ich mit meinen Eltern beim Frühstück, als ich das Bild von Phobos in der Zeitung gesehen habe, dem größeren der beiden Marsmonde. Das war ein ganz schlechtes Schwarz-Weiß-Bild. Da habe ich verstanden, dass es den Weltraum gibt. Und dass wir dort hinfliegen können.

STANDARD: Sie waren auch fasziniert von den rot leuchtenden Bildern des Pferdekopfnebels, einem Nebel im Sternbild Orion. Weshalb eigentlich?

Randall: Mich hat das Andersartige gereizt. Zu wissen, dass es etwas gibt, das außerhalb meiner eigenen Welt liegt. In meinem Zimmer hatte ich ein Poster von Bon Jovi und daneben Bilder von Galaxien. Als Teenager wollte ich die erste Frau auf dem Mars sein, damit wurde ich manchmal aufgezogen.

STANDARD: Sie fordern eine Frauenquote, nicht nur im All. Warum?

Randall: Früher dachte ich, wir Frauen schaffen das. Ich war Anfang 20, hatte mein Astrophysikstudium abgeschlossen, mir stand die Welt offen. Inzwischen gibt es mehr Abiturientinnen als Abiturienten, bei den Studierenden ist es ähnlich. Aber in den höheren Ebenen fällt das rapide ab. Obwohl wir genug Zeit hatten, dass Frauen hätten nachkommen können. Da, wo Frauen unterrepräsentiert sind, bin ich für eine Quote. Weil sich sonst leider nichts ändert. Das habe ich am eigenen Leib erfahren.

STANDARD: Unter einem der "Terra X"-Videos, die Sie fürs ZDF moderieren, schrieb ein 14-jähriges Mädchen: "Seit ich elf Jahre alt bin, will ich Astronautin werden. Ich habe fast 200 Franken für mein Teleskop ausgegeben und war in einem coolen Museum über das All und Astronauten. Das Problem ist, ich bin nicht so gut in Mathe und Russisch. Ich hoffe, du kannst mir helfen." Welchen Rat geben Sie Mädchen und jungen Frauen wie ihr?

Randall: Gib nicht auf! Ich stand in Physik bis zur zehnten Klasse auf einer Vier. Der naturwissenschaftliche Unterricht an meiner Schule war grottenschlecht. Hier müsste man ansetzen, Begeisterung wecken und nicht wegen einer schlechten Note sagen: Du kannst das nicht.

Im Rahmen der privaten Initiative "Die Astronautin" wird Suzanna Randall zur Astronautin ausgebildet. Heuer soll es für sie noch zur internationalen Raumstation ISS gehen, so der Plan.
Foto: Reuters/Pyotr Dubrov/Roscosmos

STANDARD: Für Ihre Doktorarbeit haben Sie pulsierende blaue Unterzwergsterne erforscht. Wie haben Sie Freundinnen und Freunden erklärt, worum es dabei geht?

Randall: Ganz einfach: Die Sonne ist vergleichsweise klein, ein Zwergstern. Das heißt, Unterzwergsterne sind kleiner als die Sonne. Blau heißt, sie sind sehr heiß. Blaue Sterne sind heißer als rote, das ist umgekehrt wie beim Wasserhahn. Und pulsierend heißt, dass sie abwechselnd heller und dunkler werden wie eine Lampe, an deren Dimmer man herumspielt. Aber ganz ehrlich: Die meisten interessieren sich eher am Rande für die Details von dem, was ich mache.

STANDARD: In unserer Galaxie leuchten über 100 Milliarden Sterne. Haben Sie einen Lieblingsstern?

Randall: Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten blauen Unterzwergstern. Den habe ich für mein allererstes Forschungsprojekt beobachtet, es war das erste Mal, dass ich an einem professionellen Teleskop gearbeitet habe. Er heißt EC 20117-4014. Die Zahlen bezeichnen die Himmelskoordinaten. "20117" ist der Längengrad in Stunden, Minuten und Sekunden und "-4014" der Breitengrad in der südlichen Hemisphäre. Um ihn zu sehen, müsste man also auf die Südhalbkugel fahren. Spannender war, als ich eine neue Klasse von pulsierenden Sternen entdeckt habe. Ich habe etwas anderes gesucht und im Kugelsternhaufen Omega Centauri pulsierende, noch heißere Unterzwerge gefunden als die, die man bis dahin kannte.

STANDARD: Angenommen, Sie befinden sich an Bord eines hypermodernen Raumschiffes: Zu welchem Himmelskörper würden Sie gerne reisen?

Randall: In unserem Sonnensystem zum Neptun. Der ist so schön mit seinen grünen und blauen Schlieren. Sonst würde ich gerne ins Zentrum unserer Galaxis reisen und mir das Schwarze Loch dort mal genauer ansehen. Ich will zu gern wissen, was da wirklich passiert. Wobei ich realistischerweise einen Flug ins Schwarze Loch hinein nicht überleben würde.

STANDARD: In einem emotionalen Video von der ISS warnte Alexander Gerst 2019 vor der Zerstörung der Erde, es heißt "Nachricht an meine Enkelkinder". Gibt es einen Planeten, auf den wir Menschen umsiedeln könnten?

Randall: Nach der Erde ist der Mars der lebensfreundlichste Planet im Sonnensystem. Dabei hat er kaum Atmosphäre und ist staubtrocken. Dort wächst nichts. Selbst eine zerstörte Erde wäre tausendmal besser. Sollten wir jemals einen Exoplaneten finden, einen Planeten außerhalb unseres Sonnensystems, der erdähnliche Charakteristiken aufweist, werden wir da nicht so leicht hinkommen. Schon bis zum nächsten Stern, Proxima Centauri, wären wir 75.000 Jahre unterwegs. Nach praktischen Gesichtspunkten gibt es also keine Erde 2.0 für uns.

STANDARD: Viele halten sich für den Mittelpunkt des Universums. Wo liegt er aus wissenschaftlicher Sicht?

Randall: Per definitionem sind wir auf der Erde tatsächlich der Mittelpunkt des beobachtbaren Universums, weil wir in alle Richtungen gleich weit beobachten können. Betrachtet man das gesamte Universum, gibt es allerdings keinen Mittelpunkt. Es hat keinen Rand und weder ein Gravitationszentrum noch ein geometrisches Zentrum.

STANDARD: Sie beschäftigen sich tagtäglich mit Lichtjahre entfernten Galaxien, Schwarzen Löchern und galaktischen Magnetfeldern. Alles Dinge, die man kaum begreifen kann.

Randall: Das ist ja gerade das Faszinierende – dass es Sachen sind, die man sich nicht vorstellen kann. Ein Schwarzes Loch, das kann man umschreiben mit Zahlen, mit Physik, aber wirklich begreifen kann man es als Mensch nicht. Dieses verklärte Bild vom Weltall, das habe ich als Physikerin aber weniger. Wenn ich beruflich Sterne beobachte, sitze ich in einem hellerleuchteten Kontrollraum vor Bildschirmmonitoren und schaue mir Parameter an. Wenn ich dann an meinem Computer Daten reduziere, überlege ich nicht ständig, dass ich auf einem kleinen Planeten lebe, der um die Sonne kreist. Ich komme ins Büro, checke meine E-Mails, und dann ran an die Arbeit.

STANDARD: Jeff Bezos, Richard Branson und Elon Musk – drei Milliardäre streben ins All, und auch der Weltraumtourismus boomt. Zuletzt waren im April 2022 vier Weltraumtouristen auf der ISS: Geht es im All bald zu wie auf dem Mount Everest?

Eine SpaceX Falcon 9 Rakete kurz nach dem Start vom Kennedy Space Center in Cape Canaveral im März 2023.
Foto: AP Photo/Chris O'Meara

Randall: Ich will nicht, dass jeder Milliardär aus Jux und Tollerei hochgeschossen wird, aber kommerzielle Raumfahrt bedeutet auch Fortschritt. Ohne SpaceX, das Weltraumunternehmen von Elon Musk, hätten wir, die westliche Welt, im jetzigen Konflikt mit Russland keine Astronautinnen oder Astronauten auf der Raumstation. In den letzten Jahren war die russische Sojus-Rakete der einzige Weg zur ISS.

STANDARD: In Ihrem Podcast "Kosmos Musik" des Bayerischen Rundfunks sprechen Sie davon, dass Astrophysik und Musik etwas gemeinsam haben: das Übersinnliche. Beides sei nichts, was man essen könne oder Krankheiten heile. Aber es mache glücklich.

Randall: Beides hat etwas Transzendentes. Beides holt mich aus dem Alltag heraus und relativiert die kleinen Probleme, an denen man sich total aufreiben kann. Das hilft, eine andere Perspektive einzunehmen.

STANDARD: Als Jugendliche saßen Sie stundenlang vor dem Radio und haben versucht, Ihr Lieblingslied, "Bed of Roses" von Jon Bon Jovi, auf Kassette aufzunehmen. Gibt es einen Song, der Sie bis heute begleitet?

Randall: "The Show Must Go on" von Queen. Der Song hat mich, als ich zehn, elf Jahre alt war, wahnsinnig berührt. Freddie Mercury hat ihn geschrieben, als er wusste, dass er todkrank ist. Aids. Und trotzdem hat er gesagt, es muss weitergehen. Gerade wenn etwas nicht so läuft, mache ich mir das Lied an. Und singe mit. (INTERVIEW: Katrin Groth, Tim Winter, 20.3.2023)