Stillen und Kuscheln ist gerade für Kaiserschnittbabys besonders wichtig. So wird das mütterliche Mikrobiom auf sie übertragen.

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Das Mikrobiom ist derzeit eines der ganz großen medizinischen Forschungsgebiete. Die Ansammlung aus Bakterien, Viren und anderen Lebewesen, die auf unserer Haut, den Schleimhäuten, in der Lunge und im Darm leben, bestimmt wesentlich mit, wie es um unseren Stoffwechsel, um die psychische Befindlichkeit und auch um die Gesundheit generell steht – immerhin beeinflusst das Darmmikrobiom auch das Immunsystem.

Die Besiedlung mit Mikroben passiert im Zuge der Geburt auf mehreren Wegen. Vaginalsekret, während das Baby durch den Geburtskanal gepresst wird, Hautkontakt und auch Muttermilch wirken zusammen, um das Neugeborene mit einem Arsenal an Mikroben auszustatten. Vor allem die vaginale Geburt ist in diesem Zusammenhang wichtig, zumindest haben zahlreiche Untersuchungen und Studien darauf hingewiesen. Kinder, die durch Kaiserschnitt auf die Welt kommen, entwickeln nämlich später häufiger Infektionen oder auch Autoimmunerkrankungen wie Allergien oder Diabetes Typ 1. Deshalb hat man die Methode des Vaginal Seeding entwickelt: Man entnimmt der Mutter mit Tupfer oder Gaze Vaginalsekret und streicht damit über Mund und Nase des durch Kaiserschnitt geborenen Babys.

Wie gut das funktioniert, wurde etwa hier untersucht und diskutiert. Nun hat man festgestellt, dass es gar nicht nötig zu sein scheint. Das zeigt eine soeben im Fachjournal Cell Host & Microbe präsentierte Studie eines niederländischen Forschungsteams in Utrecht. Denn wenn der Vaginalkontakt aufgrund einer Sectio fehlt, gleichen die anderen Mikrobenquellen das aus.

Stillen nach Kaiserschnitt besonders wichtig

In ihrer Arbeit gingen die Forschenden der Frage nach, inwieweit Mikroben aus verschiedenen Nischen – also Quellen wie Nase, Haut, Muttermilch, Stuhl und weitere, die eine charakteristische Zusammensetzung an Mikroben aufweisen – zur Besiedlung des Babys beitragen. Dafür analysierten sie Proben von 120 Mutter-Kind-Paaren. Den Müttern entnahmen sie Proben aus dem Nasen-Rachen-Raum, dem Speichel, der Muttermilch, der Haut, dem Vaginalsekret und aus dem Stuhl, und zwar kurz vor und bis zu einen Monat nach der Geburt. Bei den Neugeborenen wurden Abstriche vom Nasen-Rachen-Raum, Speichel, der Haut und aus Stuhlproben entnommen. Anhand der Sequenzierdaten konnten sie nachverfolgen, welche Mikrobenarten direkt von der Mutter zum Kind weitergegeben wurden.

Im Durchschnitt stammen 58,5 Prozent der Mikrobenzusammensetzung bei Säuglingen von der Mutter, und zwar unabhängig von der Entbindungsmethode. Allerdings stellten die Forschenden Unterschiede fest, woher die Babys die Anteile an mütterlichen Mikroben erhielten. Vaginal entbundene Babys erhalten bereits während der Geburt Mikroben aus dem Vaginal- und Darmsekret, während Kinder nach einer Kaiserschnittgeburt mehr Mikroben durch die Muttermilch übertragen bekommen. Deshalb sei das Stillen nach einer Sectio besonders wichtig, betonen die Autorinnen und Autoren.

Verändertes Vaginalmikrobiom vor der Geburt

Grundsätzlich handelt es sich dabei um eine sehr solide durchgeführte Studie, beurteilt Christoph Härtel, Direktor der Kinderklinik am Universitätsklinikum Würzburg. Er erklärt: "Wir wissen, dass Kaiserschnittkinder ein etwas erhöhtes Risiko für Asthma und Fettleibigkeit im Vergleich zu vaginal geborenen Kindern haben." Ein Grund dafür könnte ein etwas anderes Mikrobiom am Lebensbeginn sein. Ein zweiter möglicher Grund ist die Beeinflussung des mütterlichen Mikrobioms durch ein Antibiotikum, das um die Geburt herum verabreicht wird.

"Unter dieser Vorstellung entstanden die Ideen zum Vaginal Seeding, also das Einreiben der Kaiserschnittkinder mit Sekret des mütterlichen Geburtskanals nach der Geburt. Wir wissen nämlich, dass sich in den letzten vier Wochen vor der Geburt das Mikrobiom der Mutter im Geburtskanal verändert, um dem Kind bei der Geburt den bestmöglichen Boost an 'guten' Bakterien zu verpassen." Wenn diese erste Saat fehlt, dann besiedelt sich das Kind erst einmal eher mit Hautbakterien der Mutter.

Hier liefert die Studie für Härtel einen positiven Ansatz, was Eltern von Kaiserschnittkindern für ihre Babys tun können: "Viel Kuscheln, viel Stillen. Damit kann das fehlende erste Mikrobiom des Geburtskanals kompensiert werden. Dafür liefert diese Studie nun auch wissenschaftliche Beweise." Ohnehin sei nicht bewiesen, ob das Vaginal Seeding zum Beispiel einen langfristigen positiven Effekt auf das Risiko für Asthma oder Fettleibigkeit habe. "Das Seeding hat im Studienkontext positive Effekte auf die Etablierung des Mikrobioms gezeigt, aber es birgt auch eventuelle Risiken wie die Übertragung von Viren, weshalb diese Methode von den Fachgesellschaften bisher auch noch nicht empfohlen wird."

Hilfspfad mütterliche Haut

Nun gibt es erste wissenschaftliche Hinweise, dass Stillen und Kuscheln einen ähnlichen Effekt auf das Mikrobiom haben kann – neben vielen anderen positiven Effekten. Die Daten zeigen nämlich, dass Kaiserschnittkinder sehr stark vom Stillen profitieren und viel schneller das mütterliche Mikrobiom annehmen als vaginal entbundene Kinder. Härtel betont außerdem: "Das viele Kuscheln, also der Kontakt mit der Haut der Mutter, sorgt für eine höhere Diversität des reifenden Mikrobioms, die auch wieder schützend ist. Es wäre interessant, zu untersuchen, ob die Kinder, die viele Kuschel- und Stilleinheiten hatten, dann später unter anderem auch weniger Asthma entwickeln."

Je nachdem, ob ein Kind gestillt wird oder nicht, sieht man Unterschiede in den sogenannten Pionierbakterien, also bei den ersten Bakterienarten, die das Kind besiedeln, weil sich die erste Übertragung unterscheidet. "Man kann das Mikrobiom allerdings nicht isoliert betrachten, sondern muss es als Teil eines komplexen, interaktiven Systems denken. Immunsystem, Stoffwechsel und Mikrobiom reifen gemeinsam im intensiven Austausch untereinander." Die Mikroben erzeugen dabei Stoffwechselprodukte, die wiederum zur Entwicklung von Organen beitragen.

Unterm Strich könne man wohl nicht sagen, dass man alle Probleme nur durch das Stillen lösen kann, meint der Experte: "Stillen kann die Darmbesiedlung zwar fast eins zu eins günstig beeinflussen, und es reduziert das Asthmarisiko, wir wissen aber nicht, ob unterschiedliche Pionierbakterien als 'erste Saat' die entscheidende Rolle dafür spielen." Dafür seien langfristige Studien nötig, die dann auch Auswirkungen auf andere Bereiche wie das Immunsystem oder den Stoffwechsel einbeziehen. Was die Studie belegt, ist, dass Kaiserschnittkinder über 'Hilfspfade' wie die mütterliche Haut oder Muttermilch ein gesundes Mikrobiom erhalten könnten. Und das ist grundsätzlich eine positive Nachricht. (kru, 9.3.2023)