"Er unterstützt den Krieg. Er ist mein Feind", sagt der 51-jährige Guttsait (li). Pozdnyakov (49/re.) propagiert den "Dienst am Vaterland."

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Für den Russen Stanislav Pozdnyakov (li.), hier gegen den US-Amerikaner Tim Morehouse, war Barcelona 1992 nur der Anfang. Er holte insgesamt viermal Olympiagold.

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7. August 1992, Barcelona, drittletzter Tag der Olympischen Sommerspiele. Dass das GUS-Team der sowjetischen Nachfolgestaaten den Sieg im Medaillenspiegel davontragen wird, steht so gut wie fest, doch Gold schadet nie. Auf der Planche im Palacio de la Metalurgia ist das Team-Finale im Säbelfechten weit gediehen, GUS liegt gegen Ungarn 8:3 voran, und Vadym Guttsait kann gegen Peter Abay schon alles klarmachen.

Der 20-jährige Guttsait, 1991 bereits WM-Zweiter (Team) und Dritter (Einzel), wird seiner Favoritenrolle gerecht, siegt 5:3, holt den neunten Punkt. Der Erste, der ihm jubelnd um den Hals fällt, ist Stanislav Pozdnyakov, noch um zwei Jahre jünger, ebenfalls Olympiadebütant. Zwei der fünf GUS-Fechter sind Ukrainer, drei sind Russen, Guttsait stammt aus Kiew, Pozdnyakov aus Nowosibirsk. Doch das spielt hier und jetzt, im August 1992 in Barcelona, keine Rolle. Aus dem gemeinsamen Erfolg sollte eine jahrelange innige Freundschaft entstehen. "Wir haben uns respektiert", sagt Guttsait. "Wir haben uns geliebt, wir waren wie Brüder."

Unterschiedliche Typen

Hannes Hradez war, wenn auch nicht in Barcelona, zu dieser Zeit der beste Säbelfechter Österreichs. Er hat mehrmals gegen Guttsait wie gegen Pozdnyakov gefochten. Der Ukrainer sei aus eher ärmlichen Verhältnissen gekommen, sagt er, wohingegen Pozdnyakov stets ein gewissermaßen "Sir-haftes Auftreten" an den Tag legte. Der Russe jedenfalls wurde der "weit erfolgreichere". Insgesamt vier Olympiasiege Pozdnyakovs, drei im Team und einer solo, sowie zehn WM- und 13 EM-Titel unterstreichen es.

Hradez, der heute die Fechtsektion des Wiener Sportclubs leitet, ist "nicht erinnerlich", dass er Guttsait einmal geschlagen hätte, ein Sieg über Pozdnyakov blieb ihm sehr wohl im Gedächtnis. Diesem Erfolg in Athen lag freilich zugrunde, dass für kurze Zeit auch im Säbelfechten Doppeltreffer gezählt wurden, was Hradez zugutekam. So oder so legte Pozdnyakov eine Bilderbuchkarriere hin. Auf dem Weg zu seinem größten Triumph, im Olympia-Viertelfinale 1996 in Atlanta, stand just Guttsait am anderen Ende der Fechtbahn. Es wogte hin und her, bei 14:14 war es schließlich Pozdnyakov, der den entscheidenden Treffer landete. Er holte Gold, Guttsait beschied sich mit Rang sechs.

Der Ukrainer wurde später Funktionär und Kampfrichter. Der Russe blieb länger aktiv, ehe er ebenfalls die Funktionärslaufbahn einschlug. Noch 2008 in Peking trat er olympisch an, kurz zuvor hatte er seinen letzten EM-Titel geholt. Da war seine Tochter schon elf Jahre alt. Sofia Podznyakova sollte in die Fußstapfen ihres Vaters treten und 2021 in Tokio olympisches Gold erobern – im Säbelfechten.

Kontakt abgebrochen

Mittlerweile stehen Guttsait und Pozdnyakov als Präsidenten den olympischen Komitees ihrer Heimatländer vor. Guttsait ist zudem Minister für Jugend und Sport. Ihre Freundschaft hatte schon mit der russischen Krim-Annexion 2014 gelitten. Von innig konnte keine Rede mehr sein, doch eine Gesprächsbasis gab es noch. Seit einem Jahr, seit der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, gibt es keine Basis mehr. Schon mehr als 231 ukrainische Sportlerinnen und Sportler sind in diesem Krieg ums Leben gekommen.

Der ehemalige Armeeoffizier Pozdnyakov hatte sich hinter Putin gestellt und erklärt: "Der Dienst am Vaterland ist eine ehrenvolle Pflicht für jeden Bürger, einschließlich der Mitglieder der Nationalmannschaften." Seinen Posten als Präsident des europäischen Verbands musste Pozdnyakov daraufhin räumen. "Er unterstützt den Krieg, er ist mein Feind", sagt Vadym Guttsait. "Für mich existiert er nicht mehr." Der 7. August 1992, er liegt sehr weit zurück. (Fritz Neumann, 9.3.2023)