Prigoschins Privatarmee ist berüchtigt, weil für sie auch verurteilte Mörder und andere Strafgefangene rekrutiert wurden und sie ohne Rücksicht auf Verluste vorzugehen scheint.

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Das Gericht der Europäischen Union hat EU-Sanktionen gegen die Mutter des Chefs der russischen Privatarmee Wagner für nichtig erklärt. Das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Violetta Prigoschina und ihrem Sohn Jewgeni Prigoschin rechtfertige allein keine Strafmaßnahmen, urteilte das Gericht am Mittwoch in Luxemburg. Von der EU behauptete geschäftliche Beziehungen zwischen den beiden sahen die Richter als nicht erwiesen an.

Violetta Prigoschina wurde vom EU-Rat am 23. Februar 2022 – einen Tag vor dem russischen Überfall auf die Ukraine – mit Einreiseverbot und Kontensperren sanktioniert. Zur Begründung hieß es damals, sie sei auch Eigentümerin des Unternehmens "Concord Management and Consulting LLC", das zur Concord Group gehöre, die von ihrem Sohn gegründet worden sei und sich bis 2019 in dessen Besitz befunden habe. Sie sei zudem Eigentümerin weiterer Unternehmen mit Verbindungen zu ihrem Sohn.

Sie habe Handlungen und politische Strategien unterstützt, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergrüben. Violetta Prigoschina hatte gegen die Sanktionen vor dem Gericht der EU geklagt (T 212/22).

Rückschlag für EU

Für die EU ist das Urteil ein unangenehmer Rückschlag. Sie hatte zuletzt verstärkt auch Familienmitglieder von russischen Oligarchen ins Visier genommen, um die Unterstützung für Russlands Krieg gegen die Ukraine zum Bröckeln zu bringen. Die Annahme war, dass viele der Angehörigen auf Shopping-Touren nach Paris sowie Luxus-Urlaube am Mittelmeer nicht verzichten wollen. Zudem sollte auch der Zugriff auf Vermögenswerte ermöglicht werden, die Oligarchen zum Beispiel an ihre Frau, ihre Eltern oder ihre Kinder übertragen haben.

Die Strafmaßnahmen der EU sehen in der Regel vor, dass alle in der EU vorhandenen Vermögenswerte der Betroffenen eingefroren werden müssen. Zudem dürfen sie nicht mehr in die EU einreisen.

Mit Spannung wird nun erwartet, wie die EU auf das Urteil reagiert. Der Rat der Mitgliedstaaten kann die Entscheidung noch vor dem Europäischen Gerichtshof anfechten. Denkbar ist aber auch, dass die Mitgliedstaaten zügig einen neuen, besser begründeten Sanktionsbeschluss fassen. Die angefochtene Durchführungsverordnung zu den Sanktionen bleibt mindestens so lange gültig, bis die Einspruchsfrist abgelaufen ist.

Weitere Beschwerden anhängig

Ähnliche unangenehme Urteile könnten in der nächsten Zeit folgen. Beim Gericht in Luxemburg sind derzeit Dutzende Klagen von Oligarchen und Familienmitgliedern anhängig. Viele von ihnen argumentieren, dass sie nicht wie von der EU behauptet, den Krieg in der Ukraine unterstützen oder enge Verbindungen zu Präsident Wladimir Putin haben.

Nach Dokumenten, die auf der Website des Gerichtshofes einsehbar sind, verlangen zum Beispiel die zwei Oligarchen Grigorij Bereskin und Gennadij Timtschenko Schadenersatz für einen angeblich erlittenen "immateriellen Schaden". Bereskin macht so geltend, er habe "schwere Reputationsschäden erlitten" und stehe "in keinem Zusammenhang mit den Ereignissen in der Ukraine". Er verlangt offensichtlich symbolisch einen Euro als Ersatz für den immateriellen Schaden.

Der in der Schweiz lebende Timtschenko, der mit Kreml-Chef Putin Eishockey spielte, will hingegen eine Million Euro Schadenersatz von der EU. Er wirft der EU in seiner Klage einen offensichtlichen Beurteilungsfehler vor, was "die Beziehung zwischen dem Kläger und Präsident Putin" angeht. Zudem nennt er als weitere Klagegründe unter anderem die "Verletzung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Schutz und der Begründungspflicht" und einen "Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und gegen die Grundrechte".

Auf der Liste der Kläger in Luxemburg stehen Gerichtsdokumenten zufolge weitere im Westen bekannte Oligarchen, unter ihnen der Ex-Besitzer des englischen Fußballclubs FC Chelsea, Roman Abramowitsch, oder Michail Fridman, Gründer und Manager des großen Finanzkonzerns Alfa-Group.

Abramowitsch fordert dabei wie Timtschenko eine Million Euro "als Ersatz für den entstandenen immateriellen Schaden". Die Summe soll im Fall einer Verurteilung der EU an eine gemeinnützigen Stiftung zugunsten von Kriegsopfern gehen.

"Prominenter russischer Geschäftsmann"

Die Mutter von Wagner-Chef Prigoschin begründete ihre im April eingereichte Klage ähnlich wie viele der Oligarchen. Ihr Anwalt argumentierte darin unter anderem, die EU habe die Pflicht zur Begründung des Sanktionsbeschlusses missachtet und Tatsachenfehler begangen. So bestritt Prigoschina, Eigentümerin von zwei Unternehmen zu sein, die von ihrem Sohn gegründet wurden. Zudem argumentierte sie, dass aus den Verbindungen zu ihrem Sohn nicht geschlossen werden könne, dass sie die territoriale Unversehrtheit der Ukraine in irgendeiner Form beeinträchtigt habe. Das eigentliche Sanktionsziel bestehe darin, indirekt ihren Sohn Jewgeni zu treffen.

Dieser wird von der EU als "prominenter russischer Geschäftsmann mit engen Verbindungen zu Präsident Putin und dem russischen Verteidigungsministerium" bezeichnet und für die Entsendung von Söldnern der Wagner-Gruppe in die Ukraine verantwortlich gemacht. Zudem wird ihm vorgeworfen, von russischen Entscheidungsträgern profitiert zu haben, die für die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ostukraine verantwortlich sind.

So hat Prigoschin laut EU unter anderem das Unternehmen Concord gegründet, das nach der Annexion der Krim und der Besetzung der Ostukraine durch von Russland unterstützte Separatisten umfangreiche öffentliche Aufträge vom russischen Verteidigungsministerium erhalten haben soll.

In der Ukraine ist Prigoschins Privatarmee berüchtigt, weil für sie auch verurteilte Mörder und andere Strafgefangene rekrutiert wurden und sie ohne Rücksicht auf Verluste vorzugehen scheint. In der Ukraine kämpfen die Wagner-Söldner derzeit neben den regulären russischen Soldaten um die Kontrolle der östlichen Stadt Bachmut. (APA, 9.3.2023)