Die dramatischen Szenen vom Rückzug der Nato-Truppen aus Afghanistan im Jahr 2021 sind allseits bekannt: Um den Kabuler Flughafen, wo bis Ende August eine Luftbrücke – vornehmlich von den USA – errichtet wurde, sammelten sich Menschenmassen, die aus dem Land flüchten wollten. Wie eine aktuelle Aussage eines bei einem Anschlag verwundeten Veteranen vor dem US-Kongress zeigt, war auch das US-Militär auf diese Situation nicht vorbereitet.

Sergeant Tyler Vargas-Andrew wurde kurz vor dem Abzug der US-Truppen bei einem Anschlag vor dem Kabuler Flughafen schwer verletzt.
Foto: AP Photo/Andrew Harnik

Am Mittwoch wurden in dem republikanisch geführten Ausschuss ehemalige und aktive Militärs zu dem Abzug befragt. Einer davon war der Marine Sergeant Tyler Vargas-Andrew, der ab dem 19. August 2021 beim Abbey Gate des Kabuler Flughafens stationiert war, einem der damaligen Zugangspunkte zum Gelände. Vargas-Andrew beschrieb die Situation der folgenden sieben Tage als "surreal und als ein "Chaos", in dem man von der Menge an Leuten, die in den Flughafen drängten, schier überfordert gewesen sei.

Bei seinem Einsatz habe er Menschen beobachtet, die sich aus lauter Verzweiflung an den zur Absicherung des Geländes montierten Stacheldrahtzäunen ihr Leben nehmen wollten, um der Folter durch die Taliban zu entgehen. In einer Distanz von weniger als 150 Metern befand sich demnach ein Posten der Taliban, bei dem diese "regelmäßig Personen ermordeten". Das habe seine Truppe auch gemeldet, eine Antwort mit Anweisungen blieb aber aus. So seien Afghanen und Afghaninnen schutzlos den Milizen der Taliban ausgeliefert worden.

Ein vermeidbarer Anschlag?

Am 26. August 2021 ereignete sich ein Anschlag vor dem Eingangstor des Flughafens, bei dem über 150 afghanische Zivilistinnen und Zivilisten sowie 13 US-Soldaten starben. Der Veteran schilderte, dass sie zuvor vor einem Selbstmordattentat gewarnt worden seien, auch Personenbeschreibungen der mutmaßlichen Täter seien mitgeteilt worden.

Mehrere Soldaten, darunter er selbst, konnten demnach zwei Verdächtige ausmachen. Doch ihr Antrag auf Einschreiten sei nicht genehmigt worden. Ein Vorgesetzter, der hinzugezogen und mit weiteren Beweisen konfrontiert wurde, antwortete demnach auf das Ersuchen um Freigabe mit dem Satz "I don't know". Schlussendlich waren die Verdächtigen nicht mehr auszumachen. Als Vargas-Andrew noch am gleichen Tag mit weiteren US-Truppen ausgeschickt wurde, um einen Übersetzer und dessen Familie durch das Tor zu schleusen, kam es zu einem Anschlag, den er nur schwer verletzt überlebte.

Krieg ohne geklärte Verantwortung

Bei dem Abzug der Truppen habe es einen "unentschuldbaren Mangel" an Verantwortung gegeben, der in seiner Fahrlässigkeit "eine Katastrophe" gewesen sei, zog Vargas-Andrew nun Bilanz.

Fast zwei Jahre nach dem Rückzug aus Afghanistan wird in den USA weiterhin über die Verantwortung für die Vorgänge gestritten. Der 20 Jahre dauernde Krieg wurde nach dem von George W. Bush angeordneten Einmarsch 2001 von Präsidenten beider US-Parteien (Republikaner und Demokraten) weitergeführt. Der Beginn des Abzugs wurde dann durch ein Abkommen des damaligen Präsidenten Donald Trump mit den Taliban in Gang gesetzt, während die finale Umsetzung unter Joe Bidens Präsidentschaft erfolgte.

Indes verschlechtert sich nicht nur die wirtschaftliche Situation des Landes zunehmend, sondern auch jene der Bevölkerung. So wird der Zugang zum Bildungsbereich und zur gesellschaftlichen Teilhabe für Frauen auf Grundlagen der Scharia immer weiter eingeschränkt. (Tizian Rupp, 9.3.2023)