Alma Zadić, Karoline Edtstadler und Karl Nehammer nutzen Tiktok gerne und intensiv.

Foto: Screenshots Tiktok

Verfassungs- und Europaministerin Karoline Edtstadler ist die unumstrittene Tiktok-Königin in der Regierung. Mit ihren über 21.000 Followern hat sie mehr Anhänger auf der Videoplattform als alle ihre Amtskollegen und Amtskolleginnen zusammen. Dabei gibt es viel vom üblichen Polit-Content auf Social Media: Zusammengeschnittene Videos aus Interviews oder Bewegtbilder von offiziellen Anlässen, in denen sich die Ministerin in Szene setzt.

Aber auch Privates mischt Edtstadler gerne in ihre Videos – und das kommt bei ihren Fans an. Die Ministerin beim Kebabschneiden, beim Skifahren oder süße Clips von Hund Struppi beim Spielen im Büro. Sogar mehr oder weniger ernst gemeinte Heiratsanträge kommentiert die 41-Jährige nicht ohne Schmäh. Über eine Viertelmillion Menschen haben zumindest einmal ein Video der Ministerin gelikt.

Verbote im Westen

Das alles wäre auch nicht weiter bemerkenswert, wäre da nicht die Plattform Tiktok selbst, die immer mehr in Kritik steht. In den USA und Kanada wurde Staatsdienern die Nutzung der App auf dienstlichen Handys bereits verboten. In Europa gibt es ähnliche Bestrebungen: So dürfen Mitarbeitende der EU-Kommission die App auf Dienstgeräten nicht mehr nutzen.

Aber nicht nur das: Angestellte müssen die App auch bis zum 15. März von privaten Geräten löschen, auf denen Apps der EU-Kommission genutzt werden. Vergangenen Dienstag zog das EU-Parlament nach und verbannte die App von dienstlich genutzten Smartphones. Außerdem empfahl das Parlament seinen Mitgliedern und Angestellten "dringend", Tiktok von ihren privaten Geräten zu entfernen.

Auch der Europäische Rat hat ähnliche Pläne, wie CNN berichtet. Das bedeutet, dass Tiktok auf Dienstgeräten der drei großen EU-Institutionen deinstalliert werden muss. Mittlerweile zogen auch andere Länder nach: So hat das Außenministerium in Lettland die Nutzung der App verboten, ebenso wie das Verteidigungsministerium in Dänemark. In Italien werden ähnliche Schritte erwogen. In Österreich prüft das Innenministerium, inwiefern die App ein Sicherheitsrisiko darstellt.

Das große Schweigen in Österreich

Dabei wird die App gerne und ausgiebig von Regierungsmitgliedern genutzt. Die eingangs erwähnte Verfassungsministerin hat insgesamt 125 Videos veröffentlicht.

Justizministerin Alma Zadić nutzt die App ebenfalls sehr intensiv und wirbt gemeinsam mit Influencerinnen und Influencern für eine Kampagne gegen Hass im Netz oder verrät im Gespräch mit einer Podcasterin, dass ihre Lieblingsredewendung "Heast Oida" ist. Die Grenzen zwischen dienstlicher und privater Nutzung verschwimmen auch bei der Justizministerin: Treffen mit ausländischen Amtskolleginnen und Amtskollegen wechseln sich mit Videos über Ballkleider oder die Ministerin beim Sport ab.

Selbst Bundeskanzler Karl Nehammer verwendet Tiktok gerne. Hier dominieren aber weniger private Inhalte, sondern Videos von Staatsbesuchen und Nehammer, der sich direkt an das Publikum wendet. Zu einem möglichen Tiktok-Verbot und der Frage, ob der Kanzler seine Präsenz auf der umstrittenen Plattform aufrechterhält, wollte man sich im Bundeskanzleramt nicht äußern. Ähnlich schweigsam ist man im Justizministerium: Man wolle einem Verbot nicht vorgreifen. Ob und wie die Ministerin weiterhin die App nutzen wird, wollte man nicht kommentieren.

"Einziger Weg, die Jungen zu erreichen"

Warum die Regierung auf eine potenziell problematische App setzt, ist dennoch schnell erklärt: Das Publikum ist dort. 62 Prozent der Jugendlichen nutzen Social Media als primäre Informationsquelle – und in dieser Zielgruppe hat Tiktok eine Reichweite von 73 Prozent. Deshalb sind Plattformen wie Tiktok oft die einzige Möglichkeit, wie man junge Menschen erreichen kann, hieß es aus dem Kabinett von Karoline Edtstadler – das einzige Kabinett übrigens, das Fragen zu Tiktok beantwortet.

Die Ministerin habe die App aber nicht auf ihrem Diensthandy installiert, betont man dort. Der Social-Media-Auftritt wird von der ÖVP-Bundespartei betrieben. "Sollte eine Löschung für alle Diensthandys notwendig sein, werden dem natürlich auch alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nachkommen müssen", hieß es aus dem Büro von Edtstadler. Aber: Auch in Zukunft will die Ministerin ihren Tiktok-Account weiterbetreiben, um mit jungen Menschen in Kontakt zu treten. Man werde sich aber an die Ergebnisse der aktuell laufenden Untersuchung im Innenministerium über die Risiken der App halten.

Verbot wohl in den kommenden Tagen

Innenminister Gerhard Karner ist zwar nicht auf dem Kurzvideodienst aktiv, sein Kabinett prüft aber gerade ein mögliches Verbot der App für Staatsdiener. Und das könnte früher kommen als erwartet: Zwar könne man kein genaues Datum nennen, aber die Entscheidung, ob die App verboten wird, werde in den kommenden Tagen fallen, hieß es aus dem Ministerium. Die Entscheidung dürfte dabei zuungunsten von Tiktok ausfallen: Man werde sich auch in Österreich bewegen müssen, hieß es hinter vorgehaltener Hand aus Regierungskreisen.

Tiktok: "Debatte beruht auf Fehlinformationen"

Tiktok ist naturgemäß mit der Verbotsdebatte wenig glücklich: "Es ist enttäuschend zu sehen, dass andere Regierungsstellen und Institutionen Tiktok auf den Geräten ihrer Mitarbeiter verbieten, ohne dass es dafür Überlegungen oder Beweise gibt."

Die Verbote würden auf "grundlegenden Fehlinformationen" beruhen. Tiktok betonte, dass man sich gerne mit den Verantwortlichen treffe, um die Bemühungen der Videoplattform in Sachen Datenschutz zu besprechen. "Diese Verbote sind fehlgeleitet und tragen nicht zum Datenschutz oder zur Sicherheit bei", erklärte ein Sprecher. Welche "Fehlinformationen" genau vorliegen, blieb offen.

Heftige Kritik in den USA und Europa

Der Darstellung, das chinesische Unternehmen bemühe sich um den Schutz der persönlichen Daten der Nutzerinnen und Nutzer, wird vor allem in den USA und in der Europäischen Union widersprochen: EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton habe Tiktok-Chef Shou Zi Chew bei einem Treffen im Jänner 19 "eklatante Verstöße" gegen den Digital Services Act (DSA) der EU aufgelistet. Der Tiktok-Chef habe daraufhin "ein wenig überrascht" gewirkt, hieß es. Thierry stellte daraufhin ein Totalverbot der App in Europa in den Raum.

Der zum in Peking ansässigen Bytedance-Konzern gehörenden Internetplattform Tiktok werden schon lange unzureichende Datensicherheit und ein Mangel an Schutz junger Nutzerinnen und Nutzer vorgeworfen. Befürchtet wird etwa, dass der chinesische Staat Zugriff auf Tiktok-Daten haben könnte. Tiktok weist das zurück.

Tiktok versucht zu beruhigen

Bei der Video-App versuchte man die Wogen zu glätten: Im jüngsten Update wurde ein neues "Sicherheitsfeature" für Konsumenten unter 18 Jahren eingeführt. Demnach sollen Jugendliche die Videoplattform nur noch 60 Minuten am Tag benutzen dürfen. Danach wird allerdings die App nicht blockiert. Das Limit ist deaktivierbar. Wer mehr als 100 Minuten an einem Tag auf Tiktok verbringt, wird dazu aufgefordert, selbst ein Bildschirmzeitlimit einzustellen.

Spionagevorwurf

Mängel im Jugendschutz sind aber nur ein Teil des Problems, das westliche Staaten mit der App aus China haben. Sie befürchten nicht weniger als handfeste Spionage im Auftrag Pekings. Der Mutterkonzern Bytedance musste nach anfänglichem Leugnen zugeben, dass Bewegungen mehrerer US-Journalistinnen und US-Journalisten sowie ihrer Angehörigen überwacht werden.

Es gab auch einen internen Codenamen für den Lauschangriff: Project Raven. Bytedance sprach hingegen von "Einzelfällen". Es steht allerdings der Verdacht im Raum, dass die Überwachung systematisch passierte, um eine undichte Stelle innerhalb des Konzerns zu finden. Mitarbeitende von Bytedance hatten Tonaufnahmen von 80 internen Besprechungen an die Newsplattform "Buzzfeed" durchgestochen. Diese belegen, dass aus China wiederholt auf die Daten von US-amerikanischen Tiktok-Nutzenden zugegriffen wurde. Außerdem wird der Plattform vorgeworfen, Falschmeldungen im Auftrag Chinas zu streuen und die Nachrichtenlage im Westen zu manipulieren.

Projekt "Clover" soll Sympathie gewinnen

Tiktok versuchte daraufhin den Anschein zu erwecken, die Plattform hätte sich vom Mutterkonzern gelöst: Angestellte wurden von China nach Singapur und in die USA verlegt. Außerdem wurden intern die Teams umorganisiert, sodass die Angestellten der Videoplattform offiziell nicht mehr für Bytedance arbeiten. Das gilt aber nur für den ausländischen Markt, denn in China werden Tiktok-Entwicklerinnen und -Entwickler nach wie vor von Bytedance angeheuert.

Unter dem Projektnamen "Clover" versucht das Unternehmen gerade, einem möglichen Bann in der Europäischen Union zu entgehen. Dazu gehört, dass die Daten europäischer Nutzer künftig verstärkt in der EU selbst gelagert werden sollen. Bisher sind diese nämlich auf Servern in Singapur und den USA gespeichert. Zu diesem Zweck will Bytedance zwei weitere Rechenzentren in der EU aufbauen. Ein unabhängiger Partner soll den Datenfluss überwachen.

Nähe zu chinesischer KP

Tiktok ist die internationale Variante der 2016 in China gestarteten App Douyin. Bytedance hat, wie viele andere chinesische Unternehmen auch, ein internes Komitee der Kommunistischen Partei Chinas und pflegt darüber hinaus eine strategische Partnerschaft mit dem Ministerium für öffentliche Sicherheit, das in China unter anderem für die Zensur des Internets verantwortlich ist.

Bytedance übernimmt dabei die Öffentlichkeitsarbeit für die Zensurbehörde. In einem Tochterunternehmen von Bytedance wird einer von drei Vorstandssitzen von einer ehemaligen Führungskraft der Cyberspace Administration of China eingenommen. Wu Shugang kontrolliert laut einem Bericht der "Financial Times" Inhalte des Online-Angebots von Bytedance und redet auch in Fragen der Unternehmensstrategie und der Investitionen mit. Laut Bytedance habe Shugang aber keinen Einfluss auf die globalen Aktivitäten des Konzerns.

Die kommunistische Führungsriege hat Bytedance dennoch fest in der Hand: 2018 wurde dem Unternehmen vorgeworfen, Inhalte nicht streng genug im Sinne Pekings zu moderieren. Anschließend wurde Firmengründer Zhang Yming so sehr unter Druck gesetzt, bis dieser eine Stellungnahme verlas, in der er versprach, künftig der Agenda der KP zu dienen. (Peter Zellinger, 9.3.2023)