Die Geschichte mit dem Gold klingt natürlich magisch: Findige Köche ersannen die goldgelbe Panier, um die in Adelskreisen geschätzten, mit Blattgold veredelten Speisen nachzuahmen. Deutlich profaner, aber auch wahrscheinlicher ist folgende Theorie: Es ging um Resteverwertung.

Früher purzelten die Semmeln nicht für wenige Cent aus dem Backautomaten im Discounter, der Getreideanbau war mühsam, gemahlen wurde mit Naturkraft und gebacken in Handarbeit. Brot war kostbar.

So kostbar, dass man sich zweimal überlegt hat, mit wem man es teilt. Der deutsche Kumpane oder auch der französische Freund – copain – sind eine Kombination aus den lateinischen Wörtern com (mit, zusammen) und panis (Brot). Gegessen wurde Brot nur mit treuen Gefährten.

Man muss aber gar nicht bis in die Zeit der Römer zurückreisen. Eine Freundin erzählte oft von ihrem Opa, der nach der Jause die Brotkrumen mit dem Handrücken zusammenkehrte und in den Mund kippte.

Wer über Resteverwertung redet, landet schnell beim Brot. Backwaren machen ein Fünftel der hierzulande weggeschmissenen Lebensmittel aus: rund 210.000 Tonnen. Weil das alles immer sehr abstrakt klingt, hier ein Vergleich: Um die Menge zu transportieren, bräuchte man ungefähr 12.000 Lkws. Ein Stau von Wien bis Linz.

So viel Paniertes kann man gar nicht essen. Was in Bäckereien übrig bleibt, wird oft an Tiere oder Biogasanlagen verfüttert. Immerhin: Manch ein altes Brot wird als Granola wiedergeboren, als Gin oder Bier (in Wien etwa kooperiert die Lieisinger Bäckerei Szihn mit der 100 Blumen Brauerei). Und bei Ströck gibt es seit einigen Jahren das Wiederbrot, gebacken teils aus Roggenbrot vom Vortag.

Ins Wiederbrot von Ströck kommt Roggenbrot vom Vortag.
Foto: Ströck/Lukas Lorenz

Crumbler für die Bäckereien

In Frankreich, wo das Wegwerfen von Lebensmitteln seit 2016 (ein weltweites Novum) gesetzlich verboten ist, arbeiten immer mehr Bäckereien mit dem Crumbler. Einer Maschine, die trockenes Altbrot frisst und es in feinstes Recyclingmehl verwandelt. Macht einen Höllenlärm, ist aber so klein, dass sie selbst in die kleinste Backstube passt.

Erfunden hat sie Franck Wallet, eigentlich Stadtplaner, privat aber schon immer als Lebensmittelretter unterwegs. Weil selbst die Hilfsorganisationen nicht all das übrig gebliebene Brot verwerten können und das Trocknen und Mahlen für viele Bäckereien logistisch zu aufwendig ist, kam ihm die Idee, eine Art Gartenhäcksler für Brot zu entwickeln.

Seitdem werden landesweit Brote, Kekse – gar das französische Heiligtum Baguette – aus altem Brot gebacken. Die Maschine frisst aber längst nicht nur klassisch französisches, helles Weißbrot. Je dunkler das Brot, je mehr Körner, so der Erfinder, desto besser. Wie beim Wiederbrot von Ströck gilt: Die Röststoffe der Kruste bringen extra Geschmack. Zudem kann das alte Brot mehr Wasser binden, wodurch der Teig des neuen saftiger wird und das Gebäck länger frisch bleibt.

Brotreste lassen sich auch daheim verwerten, nicht nur als Knödel.
Foto: Getty Images/Istockphoto

Wer ist schuld am Backwaren-Überfluss? Die Kundschaft, die volle Regale will? Oder die Industrie, die uns mit Überfluss verzieht? Ein klassisches Henne-Ei-Problem. Nur wenige Bäckereien trauen sich, ihre Kundschaft mit leeren Regalen zu konfrontieren. Fest steht aber auch, dass die große Mehrheit im eigenen Haushalt weggeworfen wird. 16 Kilogramm, oder: 300 Semmeln pro Person und Jahr. Statt also auf Bäcker zu schimpfen, kann man anfangen, selbst mit Recyclingmehl zu backen. Das geht auch daheim wunderbar!

Brotmehl daheim verwerten

Mein Heim-Crumbler besteht aus einem simplen Pürierstab mit aufsetzbarem Mixbecher. Ich schneide trockenes Brot (rechtzeitig – bevor es steinhart wird) in kleine Würfel, die ich dann bei Bedarf vermahle. Der Vorteil: Man kann das alte Brot einfach einlagern und dann verwerten, wenn einen die spontane Backlust überkommt oder der nächste Geburtstag ansteht. Ganz ohne frisches Mehl geht es – zumindest beim Brot – nicht. Es braucht die Enzyme, um aufzugehen. Immerhin: Es soll französische Bäcker geben, die in ihren Broten 50 Prozent durch Altmehl ersetzen. Bei flachen Kuchen und Keksen jedoch kann die Recyclingquote theoretisch bei 100 Prozent liegen.

Mein derzeitiges Lieblingsrezept sind Schokobrownies mit Mandel-Topping. Man schmilzt 160 Gramm Schokolade (bei mir gilt: je dunkler, desto besser), mischt sie mit 100 Gramm Kokosöl, 30 Gramm Kakao, 100 Gramm Brotmehl, 80 Gramm Zucker, zwei Eiern und etwas Vanille. Obendrauf kommen ein paar Kleckse Mandelmus (Tahin schmeckt auch gut!) und ein paar Meersalzflocken. Nach einer guten halben Stunde bei 180 Grad kommt das gerettete Brot als Schokoglück aus dem Ofen.

Ebenfalls schön ist die Resteidee des Wiener Restaurants Alma: Dort wird die übrig gebliebene Focaccia als Bröselboden für Cheesecake genutzt. Praktisch und köstlich, denn die Brösel bilden einen leicht salzigen Gegenspieler zur fettig-süßen Frischkäsemasse. Und man kann mit altem Brot auch herzhaft "backen": Im alten Italien, als Erdäpfel noch unbekannt waren oder skeptisch beäugt wurden, wurden Gnocchi aus Brot gemacht. Zanzarelli nennen sich diese Vorläufer, in denen sich außer Brotbröseln auch Milch, Käse und gemahlene Mandeln fanden. In Umbrien isst man bis heute Gnocchetti collescipolani: drei Teile Mehl, zwei Teile Brotkrumen und "acqua quanto basta". Einfach, nachhaltig, günstig – cucina povera at it’s best. (Verena Carola Mayer, 12.3.2023)