Der Fachkräftemangel ergibt sich aus vielen Versäumnissen, dem zögerlichen Abschied von alten Strukturen und Arbeitsbildern – aber auch aus demografischen und gesellschaftlichen Entwicklungen.
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"Wir müssen auch das Management wachrütteln. Recruiting ist ein Transformationsjob geworden." Barbara Schalk-Steiner, ÖBB
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Barbara Schalk-Steiner schlägt alle in der Fachgemeinschaft der Personalverantwortlichen: Die Recruitingchefin der ÖBB sucht bei aktuell 42.000 Beschäftigten in den kommenden drei Jahren 17.000 neue Leute. Eisenbahn-spezifisches Personal, Zugbegleitung, Verschieber, aber auch SAP-Fachleute, Projektmanagerinnen. "Ich habe auch Respekt vor diesen Zahlen", sagt Schalk-Steiner, die im Vorjahr rund 4000 Einstellungen verbuchte.

Die Corona-Falle

"Wir sind nicht ganz unschuldig an dem ganzen Dilemma. Viele machen’s gut. Es gibt aber schwarze Schafe." Michael Kröger, Verkehrsbüro
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Michael Kröger, Geschäftsführer des Hotelleriebereichs des größten heimischen Tourismuskonzerns Verkehrsbüro, fehlen zwar auch rundum Arbeitskräfte, bei aktuell rund 1000 Mitarbeitenden in 25 Betrieben (neben Hotels gehören auch zwei Campingplätze in Wien dazu). Mit 130 ausgeschriebenen Stellen sind die quantitativen Dimensionen aber ganz andere.

Er hat andere Bedingungen: Während der Pandemie hat die Branche sehr viele Leute verloren. Auch wenn das Verkehrsbüro fast alle in Kurzarbeit mitgenommen hat – attraktiver wurde dieser Dienstleistungsbereich nicht. "Es gilt jetzt, Menschen zurückzugewinnen."

Den aktuellen Kollektivvertragsabschluss von 9,3 Prozent hält Kröger dafür für zweckdienlich. Aber es gehe um das Wie der Menschenbehandlung. "Wir sind nicht ganz unschuldig am Dilemma", sagt er, "viele machen’s gut, aber es gibt auch schwarze Schafe." Diese müssten auf der Strecke bleiben und würden letztlich gar niemanden mehr gewinnen können.

Ein Rezept für alle Betriebe hat er nicht, aber das Verkehrsbüro setze auf Öffnung, Schnuppertage, die Möglichkeit sich Berufe im Alltag anzusehen – und auch die Lehrlingsausbildung als internen Fachkräftepool. In den Bassena-Hotels sucht das Verkehrsbüro Quereinsteiger und bildet sie aus. Kröger: "Das wird im Parkhotel nicht gut klappen, hier schon."

Probleme der Lehrlingsausbildungen

"Wir verfallen in Aktionismus, erfinden neue Lehrberufe. Jetzt entdecken alle die Lehrlingsausbildung." Robert Frasch, Lehrlingspower
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"Anwesende allesamt ausgenommen", beginnt Robert Frasch seine klare Rede vor dem rund 80-köpfigen Fachauditorium der Personalverantwortlichen beim Frühlingstreffen des HR-Circle in Wien. Frasch begleitet mit seiner Firma lehrlingspower.at Unternehmen bei der Lehrlingssuche und -ausbildung: "Jetzt entdecken plötzlich alle die Lehrlingsausbildung. Und es soll ganz schnell gehen."

Er ortet Aktionismus und zu viele neue Lehrberufe (rund 240 aktuell gesamt). Betriebe wüssten oft gar nicht, wie sie was ausbilden sollten. Schnell werde man den Mangel an Fach- und Arbeitskräften aber nicht drehen können, denn "die Geister, die wir riefen, die rächen sich jetzt". Welche?

Das ständige Ausloben höherer Bildung beispielsweise. Dazu komme, dass vielerorts die Lehrlingsausbildung aufgrund von Kapazitätsproblemen zurückgefahren werde. Warum? Vereinzelte "Jubelmeldungen" über "mehr Lehranfänger" will er mit Vorsicht genießen. Es hätten sich neue Dilemmata aufgetan. "Weil aufgrund fehlenden Personals das Geschäft am Laufen gehalten werden muss und die Ressourcen dann eben fehlen." Da ist Frasch schnell auch bei der Frage nach der Qualität der Lehrausbildungen.

Ein gutes Rezept für alle? Das hat er bereit. Frasch berichtet, dass vor allem die Ansprache der Eltern die Recruiting-Pipeline fülle. In manchen Betrieben etwa filmen bereits Lehrlinge ihre Eltern, um dieses Material wiederum an Eltern zu verbreiten, die mit ihren 14-Jährigen gerade vor Bildungs- und Ausbildungsentscheidungen stehen. Kanäle für Eltern bespielen, Eltern in den Betrieb einladen, rät er. Tiktok sei dafür nicht geeignet.

IT-Kräfte: Schneller Wechsel, hohe Kosten

"Fachkräftemangel ist in der IT ein altes Thema. Wir haben nicht nur einen War for Talents, auch einen um Gehälter." Myriam Mokhareghi, BRZ
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Myriam Mokhareghi, Personalchefin im Bundesrechenzentrum, ist Not gewohnt. "Fachkräftemangel ist in der IT ein altes Thema, es handelt sich nur immer um andere Teilbereiche", sagt sie. Aktuell sei SAP international das größte Mangelthema. Mit rund 1700 Mitarbeitenden sucht sie quasi laufend einige Hundert neue – ein großer Druck, weil beim Auftraggeber Bund Digitalisierungsschritte und Pensionierungswellen den Bedarf anschieben.

Zudem, sagt sie, seien ITler "bekannt für ihre hohe Wechselbereitschaft. Wir haben nicht nur einen War for Talents, auch einen Kampf um Gehälter." Auch sie setzt auf Unternehmenskultur. Man habe im BRZ eine ungewöhnlich hohe Bleiberate, mache beim Gagenlizitieren nicht wirklich mit, biete Sicherheit und Nachhaltigkeit.

Lernsätze für alle Branchen

Einigkeit herrscht in vielen Punkten, quer durch die Branchen und unterschiedlichen Problemstellungen: Heute bewerbe man sich als Firma bei Kandidatinnen und Kandidaten. Automatisierte Antworten und lange Zeiträume vom Einlangen bis zur individuellen Antwort gehen gar nicht mehr.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Botschafter – was sie berichten, ist ausschlaggebend. Individuelle Maßschneidern an die jeweiligen Bedürfnisse müsse genau besprochen werden, und: Wenn das Top-Management selbst beim besten Recruiting dann on the Job die Versprechen nicht wahrmachen könne, sei alles umsonst. Barbara Schalk-Steiner formuliert das selbstbewusst so: "Recruiting ist ein Transformationsjob geworden." (Karin Bauer, 14.03.2023)