Ein Curry, noch ofenwarm, eine halbe Stunde nach Bestellung vom Wirt auf den eigenen Tisch. Ein paar kühle Getränke dazu flugs bis vor die Haustür. Die Kosten der Zustellung waren kaum der Rede wert. Die Corona-Zeit hat Lieferdiensten rund ums Essen einen Höhenflug beschert. Konsumenten holten sich die Welt bequem und günstig in die eigenen vier Wände. Botendienste schossen im urbanen Raum wie die Schwammerln aus dem Boden. Betreiber digitaler Plattformen versprachen Mitarbeitern Freiheit auf zwei und vier Rädern.

Frisches Essen bis vor die Haustür: Corona gab Botendiensten Rückenwind. Doch der Boom bremste sich ein, der Markt konzentriert sich.
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Mittlerweile spielt sich das Leben wieder in Restaurants, Bars und Beiseln ab. In die junge Lieferbranche kehrte Ernüchterung ein. So schnell, wie sie kamen, sind viele Anbieter auch schon wieder weg. Doch die Geister, die sie rief, wird vor allem die Gastronomie nicht mehr los.

Starke Abhängigkeit

Viele Betriebe suchten ihr Glück in der Zustellung und erzielen damit mittlerweile bis zu 70 Prozent ihres Geschäfts. Sich ein Onlineportal aufzubauen und im Web laut die Werbetrommel für sich zu schlagen konnten sich nur wenige Wirte leisten. Was bleibt, sind teils enorme Abhängigkeiten – in erster Linie von internationalen Plattformriesen.

Diese kochen nun freilich zunehmend ihr eigenes Süppchen. Lange wurde im Dienste starker Marktpräsenz ohne Rücksicht auf Verluste expandiert. Nun werden Partner zum einen vermehrt zur Kasse gebeten – zum anderen über eigene effiziente Küchen an verkehrstechnisch guten Lagen ausgebremst. Beides sorgt in der Branche für heftiges Brodeln. Offene Debatten darüber gab es bisher nur selten. Zu sehr befürchteten Wirte, gute Onlineplatzierungen zu verlieren. Mittlerweile jedoch schrecken viele vor Kritik nicht mehr zurück. Zumal wie berichtet auch die Wettbewerbsbehörde Konzerne wie Mjam und Lieferando im Visier hat.

In der Verlustspirale

Eva Eckert hat beschlossen, sich kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen. Und sie ist überzeugt davon, mit ihren Problemen nicht allein zu sein. Eckert führt unter dem Namen Biofood ein indisches Restaurant in Wien-Meidling. "Mjam verschlingt und verbrennt Partner, um das Geschäft am Laufen zu halten", sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD.

Betriebe wie der Ihre würden in eine Verlustspirale gepresst. Sich auf Minusgeschäfte einlassen oder alle Verträge kündigen – etwas anderes bleibe einem nicht mehr übrig.

Eckert erzählt von Provisionen je Bestellung, die von anfangs 4,5 auf 30 Prozent gestiegen seien. Wer viele Kunden bediene, könne Mjam herunterhandeln. Dafür müsse man der Plattform im Gegenzug Exklusivität zusichern. Schwer im Magen liegen der Gastronomin vor allem die jüngsten Änderungen der allgemeinen Geschäftsbedingungen.

Neue Richtlinien würden es ihr nunmehr verbieten, die Fahrzeiten und Mindestumsätze pro Lieferung selbst festzulegen. Sei sie etwa nicht dazu bereit, ein Chicken-Curry um zehn Euro gratis zuzustellen, drohe ihr eine Pönale von fünf Euro.

"Zusteller essen Lieferungen"

Geradezu bizarr sei, dass sie demnach, wenn der Kunde es wünsche, Dipsaucen im Wert von einem Euro über die Autobahn bis nach Gießhübl liefern müsse – für eine Liefergebühr von 4,90 Euro. Mit Ökologie habe dies, von Schleuderpreisen abgesehen, mit denen Wirte konfrontiert seien, nichts mehr zu tun.

Mjam biete Gastronomen an, sie mit allen nötigen Lebensmitteln zu versorgen. "Doch lasse ich mich darauf ein, dann sind wir zu 200 Prozent ausgeliefert." Auf der Strecke bleiben ihrer Ansicht nach nicht nur Restaurants, sondern auch Boten.

Lieferungen würden immer wieder als unzustellbar gelten, berichtet Eckert. Tatsächlich würden diese von Zustellern gegessen, wenn es die Situation erlaube, was sie angesichts der geringen Entlohnung verstehe, wie die Wirtin hinzufügt. "Es gibt hier massive Fehler im System."

"So attraktiv wie möglich"

Mjam selbst weist auf Anfrage scharf zurück, Restaurants in exklusive Partnerschaften zu drängen. Sich über die Plattform mit Lebensmitteln beliefern, ließe sich derzeit weniger als ein Prozent der Partner. Etwaiges Fehlverhalten der Boten und Botinnen bzw. entsprechende Konsequenzen würden geprüft.

Ziel der technischen Umstellung der Liefergebühren und Mindestbestellmengen sei es, die Dienstleistung für Restaurants wie Kunden so attraktiv wie möglich zu machen. Man stelle dafür nun 25 verschiedene Modelle zur Verfügung. Änderungen und Anpassungen des gewählten Modells seien möglich.

Pönalen würden fällig, wenn ein Restaurant Kunden Bestellungen bestätige, danach aber storniere. Stornierungen ärgerten Konsumenten und verursachten administrativen Aufwand, heißt es aus dem Unternehmen. Letztlich würden Fahrer und Fahrerinnen auch für stornierte Bestellungen bezahlt. Zudem könnten Wirte Gästen proaktiv mitteilen, wenn sie aktuell nicht verfügbar seien.

Geisterküchen

Peter Dobcak, Obmann der Wiener Gastronomen, sind Beschwerden über Lieferdienste nicht fremd. Er begrüßt die Prüfung durch Kartellwächter. "Es ist eine Marktmacht entstanden, die sich als Monopol bezeichnen lässt."

Kosten, die seiner Branche aufgeladen würden, seien das eine, sagt Dobcak. Das andere aber seien sogenannte Ghost-Kitchens, die der Gastronomie darüber hinaus ihr ureigenes Geschäft abgruben.

Dahinter stecken Betriebe, häufig im Dunstkreis oder Besitz der Plattformökonomie, die Speisen kochen und ausliefern lassen. Gäste bedienen sie an Ort und Stelle keine, womit sich die Kosten für Personal und Mieten erheblich reduzieren.

Hinter manch einem Mexikaner, Italiener, Griechen oder Asiaten verbirgt sich folglich ein und dieselbe Küche. Ein Keller oder ein aufgelassener Kebabstand genügen. Für die Kunden sorgen schmackhafte Webauftritte, für die Logistik Mjam. Unter einem Dach lässt sich Kulinarik aus aller Frauen Länder bündeln.

Was Fans des Konzepts als weitgehend risikoarmes Experimentierfeld betrachten, stößt Dobcak bitter auf. Auch Mario Pulker sind virtuelle Betriebe ein Dorn im Auge. Der oberste österreichische Gastronomievertreter ortet Möglichkeiten, rechtlich einzuschreiten: Es könne nicht sein, dass hier etwa mit italienischen Restaurants geworben werde, die aber tatsächlich nicht existierten.

Vorspiegelung falscher Tatsachen

Wenn dahinter eine Werksküche stehe, die nebenbei Pizza backe, sei das eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, warnt Pulker. Er appelliert an seine Zunft, mehr Informationen zu liefern – über Orte vermeintlicher Dark Kitchens ebenso wie über widrige Vertragsbedingungen.

Auf der Plattform von Mjam seien derzeit drei Ghost Kitchen gelistet, zwei in Wien und eine in Graz, lässt das Unternehmen wissen. Mjam selbst betreibe keine.

Berndt Querfeld sieht die virtuelle Konkurrenz entspannter, sofern die Qualität der Küche stimme. Er überlege selbst, in Alterlaa, unterlegt von einer guten Geschichte, das eine oder andere ausschließlich für die Zustellung zu produzieren, sagt der Wiener Cafetier. Zulieferdienste wie Mjam vergleicht er mit Kraken, die letztlich aber weniger böse seien, als viele dachten.

"Liefern ist teuer. Kein Wirt kann auf seine Speisen 30 Prozent Rabatt geben." Es brauche dafür daher professionelle Dienstleister. Sein Restaurant Landtmann arbeitete in der Corona-Zeit mit Mjam zusammen.

Warum er die Partnerschaft wieder kündigte? Als Wirt müsse man sich dazu verpflichten, Essen innerhalb einer Viertelstunde abholbereit zu machen, sonst stünden Radler in der Küche herum und Strafen an.

Eckert will Wirte hingegen mobilisieren, sich vereint gegen Missstände bei Lieferdiensten zu wehren. Zugleich versucht sie, Gäste auf ihre eigene Homepage umzulenken. "Viele Konsumenten wollen Systeme wie diese nicht unterstützen." (Verena Kainrath, 9.3.2023)

Der Artikel wurde am 10.3. um 10:30 um die Stellungnahme von Mjam ergänzt.