Heißt die Zukunft der SPÖ Hans Peter Doskozil? Seine Politik im heimatlichen Burgenland hat viele Facetten – und auch einige Gegner in der eigenen Partei.

APA/ROBERT JAEGER

Nur der Größte ist als Vorbild gut genug. Auf den Spuren des Überkanzlers Bruno Kreisky sieht Roland Fürst, ein Kind der damaligen Zeit, Burgenlands Sozialdemokraten wandeln. Von der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich bis zur Zweiklassenmedizin: Mit Hans Peter Doskozil, sagt sein Landesgeschäftsführer und Vordenker, sei ein ideologisch gefestigter Macher angetreten, um eine konservative Ordnung zu brechen.

Doch noch andere in der SPÖ fühlen sich an alte Tage erinnert – im negativen Sinn. Den Kritikerinnen und Kritikern gilt so manches, das Doskozil als Modell für ganz Österreich preist, als hoffnungslos retro. Zeit für eine Bestandsaufnahme: Was macht burgenländische Schlüsselprojekte so umstritten?

Lohnerhöhung mit Tücken

"Kampf für einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn": So lautet ein Dauerbrenner von Doskozils ungebetenen Ratschlägen an die SPÖ-Spitze. Für seine Landesbediensteten gilt aktuell eine Untergrenze von 2000 Euro netto, dafür fallen spätere Anstiege moderater aus – womit das Modell in ein paar Jahren laut Fürst nicht mehr kosten soll als früher. Bedienstete mit eher niedrigem Salär seien die großen Gewinner, sagt Personalvertreter Wolfgang Toth: "Eine Reinigungskraft ist früher nicht einmal nach 35 Jahren auf ein derartiges Niveau gekommen."

Davon können Belegschaften in der Privatwirtschaft nur träumen. In der Gastronomie etwa liegen die niedrigsten Einstiegsgehälter für Angestellte bei 1629 Euro brutto, also 1338 Euro netto. Einen gesetzlichen Mindestlohn gibt es nicht, die Vertreter der Arbeitgeber und -nehmer handeln die Gehälter in Kollektivverträgen aus. Die Gewerkschaft drängt zwar auf höhere Untergrenzen, hat aber nur schleppenden Erfolg.

Doch Kollektivverträge bergen andere Vorteile. Einerseits werden Betriebe nicht mit zu hohen Steigerungen überfordert, die zum Verlust der Konkurrenzfähigkeit und Kündigungswellen führen könnten. Andererseits sind die Einkommen verlässlich abgesichert – einen gesetzlichen Mindestlohn hingegen könnte eine neoliberale Regierung auch wieder senken. In der Gewerkschaft stoßen Doskozils Eingriffsgelüste deshalb auf viel Widerspruch: Die erfolgreiche Sozialpartnerschaft drohe ausgehebelt zu werden.

Schaffen und Häuslbauen

Dass "Dosko" seine Lieblingsidee gern gegen die von der Bundes-SPÖ propagierte Arbeitszeitverkürzung ausspielt, sieht Nikolaus Kowall als Indiz für eine Ideologie, die den Sechzigerjahren entsprungen scheine. Materialistische Umverteilung zum unteren Drittel dürfe in einem sozialdemokratischen Programm nicht fehlen, sagt der in der Partei aktive Ökonom. Doch für die anderen beiden Drittel sei Arbeitsverkürzung – mehr Lebensqualität statt Geld – in einer Überflussgesellschaft das Gebot der Stunde. In Doskozils Unverständnis dafür offenbare sich eine "Schaffe, schaffe, Häusle baue"-Politik auf Burgenländisch.

Auf nicht weniger Skepsis stößt ein anderes Leuchtturmprojekt. Wer einen Angehörigen pflegt, kann sich zwecks finanzieller Absicherung beim Land anstellen lassen. Doch das Modell hat keinesfalls jene Tragweite, die das Getöse darum suggeriert. Lediglich 272 Menschen nützen es derzeit, gerechnet hatte das Land mit 600. Für viele zahlt sich die Anstellung wohl schlicht nicht aus, weil im Gegenzug ein Gutteil von Pflegegeld und Einkommen abgeliefert werden muss. Eine Reform sei auf dem Weg, verspricht Fürst, denn auch das gehöre zum eigenen Anspruch: eine Fehlerkultur zu pflegen.

Umstrittener Pflegecoup

An den grundsätzlichen Einwänden ändert das wohl nichts. Die Anstellung hat zweifellos manchen Familien geholfen, gilt Kritikerinnen in der SPÖ wie in der Expertenschaft aber gesamtgesellschaftlich als rückwärtsgewandt: Der Staat solle professionelle Leistungen ausbauen, statt neue Anreize zu setzen, dass die Pflege erst recht wieder den Frauen in den Familien aufgebürdet wird. Vor der Realität, dass die meisten zu Hause umsorgt werden wollen, könne man nicht die Augen verschließen, halten die Burgenländer entgegen. Außerdem gebe es ja noch andere Pflegeangebote.

Auch bei selbigen rührt Doskozil kräftig um. Die mobile Pflege wird monopolisiert, für jede Region soll nur noch ein Anbieter zuständig sein. Damit werde eine bewährte Versorgung samt Wahlfreiheit für die Kunden ausgehebelt, wetterten nicht nur SPÖ-ferne Pflegeorganisationen, sondern auch die sozialdemokratische Volkshilfe. Ob sich die Warnungen bewahrheiten oder tatsächlich mehr Effizienz Einzug hält, wird die Zukunft weisen.

In durchwegs positivem Licht erscheint durch eine sozialdemokratische Brille hingegen ein anderer Schritt: Dass "mit der Not der Menschen" keine Gewinne gemacht werden können (Doskozil), fördert das Land nur noch Pflegeleistungen gemeinnütziger Anbieter.

Herz für Eigentümer

Für seine Vorhaben in einer anderen brennenden Frage gilt dieses Urteil nicht. Das Land soll selbst soziale Wohnbauten errichten, deren künftige Mieter das Recht haben, ihre Wohnungen jederzeit und im Wesentlichen zu den Herstellungskosten zu kaufen. Was laut dem Erfinder Eigentum zu "fairen Bedingungen" bieten soll, widerspreche dem sozialdemokratischen Anspruch, preislich gestützte Mietwohnungen als Ressource über die Generationen hinweg zu erhalten, sagen Kritiker in der SPÖ. Stellvertretend für sie der Ökonom Kowall: "Eigentumswohnungen konzentrieren sich früher oder später immer in einer begrenzten Zahl von Händen."

Bei einem weiteren Ansatz zur Beschaffung leistbaren Wohnraums musste Doskozil – Stichwort: Fehlerkultur – zurückrudern. Die ausgerufene "Baulandmobilisierung" hat zum Ziel, dass ungenütztes Bauland nicht mehr als Spekulationsobjekt dienen kann – ein klassisch linkes Anliegen. Gelingen sollte dies mit einer jährlichen Abgabe von 0,5 bis 2,5 Prozent des Quadratmeterpreises für unbebaute Grundstücke ab 300 Quadratmeter, sofern diese verkehrlich erschlossen sind.

Um den Südburgenländern eine taugliche Alternative zum Auto zu bieten, ließ Doskozil ein Busunternehmen gründen. Doch es regen sich Zweifel, ob das östlichste Bundesland wirklich das Geld hat, das sein Regent freudvoll ausgibt.
Foto: Verkehrsbetriebe Burgenland

Land schickt Busse aus

Ausgenommen waren Grundstücke von unter 30-Jährigen, außerdem gab es Toleranzfristen von drei Jahren nach Erlangen und fünf Jahren nach Umwidmung. Der Protest aus der Bevölkerung war dennoch so heftig, dass weitere Ausnahmen folgten. Kinder, Enkelkinder und Personen bis 45 Jahre bleiben nun ebenfalls verschont, das Gleiche gilt, wenn das Grundstück der Garten hinter dem eigenen Haus ist.

Um den Bewohnerinnen und Bewohnern im Südburgenland die Mobilität zu erleichtern, errichtete Doskozil mit den Verkehrsbetrieben Burgenland ein landeseigenes Busunternehmen. Der Service wird angenommen, die Fahrgastzahlen steigen, das Netz wächst stetig. In Ergänzung dazu sollen künftig Burgenländische Anruf-Sammeltaxis – kurz Bast – die letzte Meile abdecken und so ein lückenloses Öffinetz bilden.

Auch dieses Projekt, ein Beispiel für Doskozils Neigung zur Staatswirtschaft, stößt nicht nur auf Begeisterung. Lokale Busunternehmer klagen über die neue Konkurrenz und darüber, dass Fahrer abgeworben würden. Schließlich verdient man beim Land dank des Mindestlohns besser als in der Privatwirtschaft.

Schlammschlacht am See

Immer geringer wird der Gegenwind gegen ein anderes Unterfangen, das den von ihm selbst kultivierten Ruf des forschen Anpackers stützt. Doskozils Pläne zur Rettung des Neusiedler Sees umfassen drei große Punkte: die Zuleitung von Wasser in den See, das Schilf- und das Schlammmanagement. Bei Ersterem machen ihm die Ungarn einen Strich durch die Zeitrechnung, weil sie nicht so schnell arbeiten, wie er das vorgesehen hat. Beim Schilfmanagement hinkt das Land hinterher, weil das Klimaschutzministerium bremst. Vom Schlamm wurden im Winter allerdings bereits rund 40.000 Kubikmeter aus dem See entfernt, die meisten Hafeneinfahrten sind wieder schiffbar.

Ein Masterplan soll den Neusiedler See vor dem Austrocknen retten: Doskozil kultiviert das Image des Machers, der liegengebliebene Dinge anpackt.
Foto: Guido Gluschitsch

Kritik an dieser Strategie kommt von Umweltschützern – in erster Reihe steht hier der WWF, der den See lieber austrocknen lassen würde. Durch eine Wasserdotation, so die Warnung, könnte der See klar werden, was zu einer riesigen Algenblüte führen dürfte.

Aus einem anderen Grund beschweren sich, so ist zu hören, die Burgenländerinnen und Burgenländer. Sie empfinden die Seerettung als zu langsam. Sie fürchten, dass der See ausgetrocknet sein könnte, bis eine Zuleitung endlich das ersehnte Wasser bringen würde – mit ihrer Meinung nach dramatischen Folgen für den Tourismus, den Weinbau und das Wohlbefinden der Menschen, die den trockenen Schlamm in Form von verwehtem Staub abbekommen könnten.

Dicker Köder für Ärzte

Gesundheitspolitisch für Aufsehen sorgt der Plan, Fachärztinnen und Fachärzte mit den österreichweit höchsten Gehältern anzulocken. Aus Sicht des Burgenlandes ein sinnvoller und logischer Schritt, sagt Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien, doch als Blaupause nur bedingt geeignet. Zu unterschiedlich sind die Problemlagen: Die Großstadt Wien etwa sei als Arbeitsort attraktiv genug, um auf einen derartigen Köder verzichten zu können. Dort gelte es eher, in einzelnen Spitälern Arbeitsklima und Ausbildung zu verbessern.

Stolz ist Doskozil auch auf seine Maßnahmen gegen die Teuerung, speziell den Wärmepreisdeckel, der Heizkosten von bis zu 2000 Euro pro Haushalt kompensiert. Der Begriff der Bedürftigkeit ist dabei weitgefasst: Alle unter einem Haushaltseinkommen von 63.000 Euro netto im Jahr sind dabei – egal, wie viele Personen davon leben. Ein Alleinstehender mit einem Einkommen knapp darunter wird somit gefördert, obwohl er zu den bestverdienenden zehn Prozent gehört.

Warnung vor Pleitegeier

Michael Böheim vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) attestiert dem Modell folglich ähnliche Schwächen wie diversen Maßnahmen der Bundesregierung. Während die "Gießkanne" für jene, die es wirklich brauchen, mitunter zu wenig abwerfe, profitierten auch Menschen, die höhere Energiekosten verkraften könnten. Die Kosten im Ausmaß von 40 Millionen Euro werfen überdies eine Schlüsselfrage auf: Kann sich das Burgenland all das leisten? Die Opposition sieht den Pleitegeier bereits aus dem Post-Haider’schen Kärnten ins Doskozil’sche Burgenland fliegen. Gegner in der SPÖ prophezeien Ähnliches.

Als Glaskugel taugen die nackten Zahlen nicht. Herauslesen lässt sich: Pro Kopf ist der Schuldenstand mit 4322 Euro nach Kärnten und Niederösterreich der dritthöchste der Bundesländer, mit Ausnahme des Sonderfalles Wien. Bei Amtsantritt Doskozils 2019 war das Burgenland "nur" am viertschlechtesten. (Gerald John, Guido Gluschitsch, 11.3.2023)