Die Aussichten für das südlich von San Francisco, im Bild die Golden Gate Bridge, gelegene Silicon Valley haben sich seit dem Vorjahr stark eingetrübt.

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Jahrelang war die Technologiebranche der Wachstumsmotor der US-Wirtschaft schlechthin. Der Trend zur Digitalisierung schuf Riesen wie Amazon, Google oder Apple und gab auch vielen Start-ups in Silicon Valley die Chance, selbst ein sogenanntes Einhorn zu werden, wie junge Unternehmen mit Milliardenbewertung bezeichnet werden. Schließlich saß das Geld der Financiers angesichts ultratiefer Zinsen locker, zumal die Lockdowns der Corona-Krise ab 2020 für einen zusätzlichen Schub sorgten.

Doch der Wind hat längst gedreht – die Pandemie ist ebenso vorüber wie die Zeit des billigen Geldes. Die Folge waren abreißendes Wachstum und einbrechende Börsenkurse bei den Technologieriesen, die mit Massenentlassungen gegenzusteuern versuchen. Dazu kommt mit der Silicon Valley Bank eine Institution der kalifornischen Start-up-Schmiede ins Trudeln.

Milliarden versenkt

An der US-Technologiebörse Nasdaq, wo die Bank unter SVB Financial Group gelistet ist, brach der Kurs vergangenen Donnerstag um 60 Prozent binnen 24 Stunden ein. Zuvor hatte das Finanzinstitut überraschend eingeräumt, seine Kapitalposition durch die Ausgabe neuer Aktien stärken zu müssen. Denn das Geldhaus hatte mit US-Staatsanleihen und hypothekarisch gesicherten Wertpapieren aufgrund steigender Zinsen 1,8 Milliarden Dollar versenkt. Die Folge: Die Bank wurde am Freitag von einer kalifornischen Regulierungsbehörde geschlossen, die Aktie vom Handel ausgesetzt. Laut dem US-Nachrichtenportal Axios habe die SVB kurz vor ihrem Kollaps noch Jahresboni ausgezahlt. Über das Wochenende hatte der Zusammenbruch mancherorts zu hektischer Betriebsamkeit und Krisensitzungen in den USA wie in Großbritannien geführt. Es soll verhindert werden, dass die Pleite weitere Firmen in Mitleidenschaft zieht. An den Finanzmärkten geht die Sorge vor weiteren Zusammenbrüchen um.

Im Krisenmodus

Die britische Zentralbank (BoE) hatte bereits am Freitag mitgeteilt, dass sie vorhabe, den britischen Arm der SVB in ein Insolvenzverfahren zu überführen. Mehr als 250 Chefs von Technologiefirmen in Großbritannien rückten am Wochenende aus und forderten die Regierung in London in einem Brief zum Eingreifen auf. "Die Regierung behandelt dieses Thema mit hoher Priorität", beteuerte Finanzminister Jeremy Hunt umgehend. Man arbeite "mit Hochdruck an einer Lösung, um Schäden für einige unserer vielversprechendsten Unternehmen in Großbritannien zu vermeiden oder zu minimieren".

In den USA forderten 3500 Firmenchefs und Gründer die Politik auf, Kundeneinlagen abzusichern. Die Gehaltszahlungen vieler Firmen seien in Gefahr, damit 100.000 Jobs bedroht. Die US-Notenbank Fed kündigte für heute Montag eine Sitzung ihres Gouverneursrats unter Ausschluss der Öffentlichkeit an. Es werde dabei in erster Linie um Vorschuss- und Diskontsätze gehen, ließe die Fed wissen. Die Kreditvergabe der Fed über das sogenannte Diskontfenster spielt eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Liquidität und Stabilität des Bankensystems. Durch den einfachen Zugang zu Finanzmitteln helfe es den Banken, ihre Liquiditätsrisiken effizient zu verwalten und Maßnahmen zu vermeiden, die negative Folgen für ihre Kunden hätten – besonders in Zeiten von Marktstress. Es geht also darum, den reibungslosen Kreditfluss an Haushalte und Unternehmen zu gewährleisten und ganz generell der extremen Unruhe an den Finanzmärkten entgegenzuwirken.

Lehman lässt grüßen

"Ich bitte Sie, Ruhe zu bewahren", hatte auch Bankchef Greg Becker in einer vergangene Woche umgehend einberufenen Telefonkonferenz an Investoren und Analysten appelliert. Doch der Schaden war längst angerichtet und zog global den Bankensektor zu Wochenschluss an der Börse nach unten. Denn die Silicon Valley Bank ist zwar hierzulande weitgehend unbekannt (sie hat etwa in Deutschland eine kleine Zweigstelle, aber keine eigene Tochtergesellschaft, Anm.), mit Kundeneinlagen von 212 Milliarden US-Dollar und 8500 Arbeitskräften aber die Nummer 16 der US-Finanzbranche. Es handelt sich um die zweitgrößte Bankpleite der US-Geschichte nach den Lehman Brothers im Jahr 2008.


Mit der Technologiebranche ist auch die Silicon Valley Bank, Nummer 16 unter den US-Finanzinstituten, unter die Räder geraten.
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Wankende Tech-Branche

Die Bank zählt Tech-Unternehmen zu ihren wichtigsten Kunden, die seit dem vergangenen Jahr mit einer stets sich verschlechternden finanziellen Lage kämpfen – auch weil durch die Zinsanhebung der US-Notenbank Fed die Aufnahme von Krediten teurer wird. Dass Fed-Chef Jerome Powell jüngst beteuerte, wegen der hartnäckig hohen Inflation einen weiterhin straffen Zinserhöhungskurs zu fahren, machte die Aussicht für die Branche nicht besser – damit auch für die Silicon Valley Bank. Ihr Hauptproblem: Im Gegensatz zur Konkurrenz hat sie ganz auf die risikoreiche und nun strauchelnde Tech-Branche gesetzt. Ein Klumpenrisiko, weil besser laufende Branchen den Geschäftsgang nicht stabilisieren konnten.

Auch wenn Bankchef Becker versicherte, dass das Geld bei dem Institut geschützt sei, sollen einige Start-ups ihren Geldgebern empfohlen haben, Kapital von dem Institut vorsichtshalber abzuziehen. Dazu gehört angeblich auch der Founders Fund des umstrittenen US-Tech-Investors Peter Thiel, sagte eine mit den Vorgängen vertraute Person. Wobei der geborene Deutsche dem Silicon Valley in einem Handelsblatt-Interview generell vorhält, seit zehn Jahren in einer Art Schlafwagen unterwegs gewesen zu sein. Je gewinnträchtiger deren Geschäftsmodelle, desto weniger innovativ sei die Branche geworden.

Als Beispiele nennt Thiel Apple, das seit dem Tod von Firmengründer Steve Jobs keine Innovationen hervorgebracht habe. Oder Alphabet, das sich auf dem Erfolg der Suchmaschine Google ausgeruht habe und nun wegen Microsofts Ankündigung, die Technologie von ChatGPT in die eigene Suchmaschine Bing zu integrieren, aufgeschreckt worden sei. "Google ist völlig im Panikmodus", ergänzte Thiel.

Neue Ära

"Diese Party hätte nicht ewig weitergehen können", sagte Margaret O’Mara von der University of Washington im Herbst über die Technologiebranche. Auf den Wachstumsschub wird ihr zufolge eine Zeit der Normalisierung folgen: "Es mag das Ende einer Ära für das Silicon Valley sein, aber es ist wahrscheinlich nicht das Ende von Silicon Valley." Investor Thiel sagt künstlicher Intelligenz wie ChatGPT eine große Zukunft vorher: "Wir erleben eine historische Wende, vielleicht sogar den wichtigsten Moment seit der Markteinführung des iPhone", glaubt Thiel. "Jedenfalls wird dieser Moment das Silicon Valley verändern." (Alexander Hahn, Regina Bruckner 12.3.2023)

Dieser Artikel wurde am 12.3. um 17.00 Uhr aktualisiert