"Zusammenleben" – eine feine Dokumentation über Menschen, die hier ankommen möchten.

Foto: Filmladen

Trotz ernster Themen wird bei Integrationskursen auch viel gelacht.

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Utopische Orte sind zuweilen ganz unscheinbar. In Thomas Fürhapters Zusammenleben entfaltet sich in den nackten Unterrichtsräumen einer Wiener Integrationsinitiative die Möglichkeit einer gemeinsamen Welt. Hierher kommen unterschiedliche Menschen mit Migrationshintergrund, um sich über Österreich auszutauschen. Vortragende erklären ihnen Land und Leute von Handgeben bis Hitler.

Orientierungskurs "Deutsche in Österreich"

Oft wird Integration als sinnleerer, abstrakter Begriff in der politischen Rede bemüht. Hier steht sie in Kursen wie "Aufenthaltsrecht" oder "100 Jahre Republik Österreich" ganz entspannt auf dem Programm. Die Kulturvermittlung passiert in vielen Herkunftssprachen von Farsi und Paschtu über Arabisch bis hin zu Gebärdensprache und Hochdeutsch. Denn auch bundesdeutsche Immigranten können sich im Orientierungskurs "Deutsche in Österreich" erklären lassen, was ein ergebnisoffenes "Jo eh" bedeuten kann und wie es sich mit dem "Sozialkleber Kaffee und der Tschick" verhält.

Wer bei einer Integrationsdoku nur bierernste Kopftuchdiskussionen erwartet, hat die Rechnung ohne den interkulturellen Schmäh der Neuankömmlinge und Vortragenden gemacht. Die gibt es zwar auch – samt Kompromissvorschlag eines Teilnehmers für ein Kopftuch in österreichischen Nationalfarben. Aber neben nüchtern vermittelten Themen wie häusliche Gewalt, Frauenrechte, demokratische Teilhabe oder Nationalsozialismus stellt die Doku vor allem alltägliche Integrationsprobleme in den Vordergrund, von der Geburt bis hin zum Tod.

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Unfreundlichkeit ist nicht automatisch rassistisch

Da wird eine Gruppe junger Männer über Klitoris und Selbstbefriedigung aufgeklärt, ohne es bei den offiziellen "Respektwörtern" zu belassen. Chinesische Einwanderer werden an Begrüßungsumarmungen gewöhnt und Spanier über die fehlende Leidenschaft hinweggetröstet ("Der Wiener ist von Natur aus unnahbar"). Man müsse eben geduldig sein. Unfreundlichkeit sei in Wien nicht automatisch rassistisch, sondern zuweilen ganz normal. Regisseur Thomas Fürhapter ist minimalistisch unterwegs. Doch wenn sich die Protagonisten untereinander die richtigen Fragen stellen, funktioniert der Cinéma-Vérité-Stil. Die Kamera ist unbeteiligte Dritte bei vielen Gesprächen, im Schnitt entspannt, aber inhaltlich dicht aneinandergereiht.

Hier sind jene sogenannten "Integrationswilligen" zu hören, die von so manchem Politiker vermisst werden. Das eigentliche Herz von Zusammenleben liegt aber im Austausch der Einwanderer. Sie reden über das Alleinsein fernab der Familie und alltägliche Demütigungen. Das geteilte Leid kommt hier buchstäblich zur Sprache. Ein junger Mann spricht aus, was vielen Neo-Wienern hier ins Gesicht geschrieben steht: "Ich hasse es, bis zum Lebensende Migrant und allein zu sein. Warum müssen wir Migranten sein?" (Marian Wilhelm, 11.3.2023)