Die "künstliche" Trennung von der deutschen Strompreiszone hat für Verbraucher und Verbraucherinnen in Österreich im Vorjahr Mehrkosten von kumuliert 1,9 Milliarden Euro zur Folge gehabt.

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Europas Strommärkte sind in den zurückliegenden Monaten erschüttert worden wie seit Beginn der Liberalisierung um die Jahrtausendwende nicht mehr. Gas, das nicht zuletzt aufgrund des russischen Einmarschs in der Ukraine teurer und teurer wurde, hat auch die Strompreise nach oben katapultiert und den Ruf nach einem neuen Strommarktdesign laut werden lassen. Gas spielt eine Schlüsselrolle bei der Stromerzeugung, wenn kein Wind weht, keine Sonne scheint und die Wasserkraft schwächelt. Diese Woche wird die EU-Kommission erste Vorschläge auf den Tisch legen, in welche Richtung das Marktdesign weiterentwickelt werden soll, damit so etwas wie 2022 nie mehr passieren kann.

Bei Österreich fällt zudem ins Gewicht, dass seit Auftrennung der gemeinsamen Strompreiszone mit Deutschland im Oktober 2018 elektrische Energie mit einem Aufschlag gegenüber den Preisen gehandelt wird, die sich an deutschen Börsen bilden. Das ist die Folge eines "künstlichen" Engpasses an der Grenze beider Länder, den die europäische Energieagentur Acer angeordnet hatte. Grund: Jahrelang ist viel billiger Strom aus norddeutschen Windkraftanlagen zu österreichischen Verbrauchern geflossen; die Leitungen sind aber bis heute nicht dafür ausgelegt. Und weil eine Aufspaltung der Preiszone innerhalb Deutschlands politisch nicht durchsetzbar war, kam es zur "künstlichen" Trennung an der Grenze zu Österreich.

Spread hat sich vergrößert

"Der Spread lag nach der Auftrennung meist bei drei bis vier Euro die Megawattstunde (MWh), der Preisunterschied ist im Vorjahresschnitt aber auf über 30 Euro je MWh angewachsen. Der ökonomische Nachteil, der Österreich dadurch entstanden ist, lässt sich allein für 2022 mit 1,9 Milliarden Euro beziffern", sagt der Vorstandsdirektor der Energie Steiermark und frühere E-Control-Chef Martin Graf im Gespräch mit dem STANDARD. "1,9 Milliarden Mehrkosten nicht gegenüber irgendjemanden, sondern gegenüber unserem Exportland Nummer eins." Dies zeige, wie wichtig es sei, beim künftigen Strommarktdesign gezielt darauf zu achten, dass der Wirtschaftsstandort Österreich keine Wettbewerbsnachteile erleidet.

Neben einem forcierten Leitungsausbau, der ebenso wie der zum Aussteigen aus fossilen Energien notwendige weitere Zubau erneuerbarer Energien und der Errichtung von Speichern von einem investitionsfreundlichen Klima abhänge, plädiert Graf für einen Schulterschluss mit Deutschland. Für Österreich als kleiner Volkswirtschaft, die stark mit Deutschland verflochten ist, sei ausschlaggebend, was ebendort passiert. Was dort geschieht, sollte man aber nicht passiv hinnehmen. Österreichs Verantwortungsträger sollten vielmehr eigene Ideen und Vorstellungen in die deutsche Diskussion einbringen, die Konsumenten und Konsumentinnen in Österreich nützen.

Deutschland gibt Gas

In Deutschland passiere gerade viel, sagt Graf – und nennt als Beispiel die Plattform "Klimaneutrales Stromsystem, die am 20. Februar in Berlin mit Akteuren aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gestartet wurde. Deutschland bereite ein Papier auf Basis einer breitflächigen Diskussion vor, um nach den Europawahlen kommendes Jahr ihre Überlegungen für den Energiebereich in die dann zu bildende neue EU-Kommission bestmöglich einbringen zu können. "Sie haben vier Prämissen", sagt Graf. "Gewährleistung der Versorgungssicherheit, Leistbarkeit für Verbraucher und Wirtschaft, insbesondere die energieintensive Industrie, Klimaneutralität und europäische Integration." Letztere nicht nur in Sachen Energieeffizienz, sondern auch zur Stärkung der Versorgungssicherheit, etwa durch mehr Kooperation.

Solaranlagen bringen ihre volle Leistung nur, wenn die Sonne ungetrübt scheint.
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Die Regel, wonach die Preisbildung am Markt in erster Linie auf die erzeugte und tatsächlich gelieferte Strommenge abzielt, wird angesichts der veränderten Bedingungen mit deutlich mehr schwankungsanfälliger Wind- und Solarenergie am Markt nicht länger aufrechterhalten werden können. Contracts for Difference, eine Art Marktprämienmodell, könnte an die Stelle des Energy-only-Marktes treten. Den Mechanismus der Merit Order, wonach die letzte zur Deckung der Nachfrage gerade noch notwendige Erzeugungsanlage – meist ein Gaskraftwerk – den Preis aller anderen bestimmt, wollen aus Mangel an besseren Alternativen die wenigsten ändern.

Rahmenbedingungen

Unternehmen wie Stromerzeuger warten jedenfalls gespannt und mit zunehmender Ungeduld, wie die Weichen für die Strommarktregeln der kommenden Jahre und Jahrzehnte gestellt werden. "Investitionen, die wir jetzt angehen, wirken sich über das Jahr 2030 hinaus aus. Da ist es wichtig zu wissen, ob sich Projekte auch unter einem veränderten rechtlichen Rahmen rechnen", sagt Graf. Die Energie Steiermark allein habe vor, in den kommenden zehn Jahren 1,5 Milliarden Euro in den Ausbau der Netze zu investieren und eine Milliarde in erneuerbare Energien, hauptsächlich Wind und Solar. Graf: "Diese Werte sind mit konkreten Projekten unterlegt und nicht nur so dahingesagt. Bevor wir damit loslegen können, müssen die Rahmenbedingungen bekannt sein, auf die wir und viele andere sich einstellen müssen." (Günther Strobl, 13.3.2023)