Leonid Wolkow sorgt für Unruhe in Russlands Oppositon.

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Der Brief wirkt wie ein Dolchstoß, mitten ins Herz der russischen Opposition. Prominente russische Oppositionelle fordern in einem Schreiben an die EU-Kommission die Aufhebung der Sanktionen gegen den Oligarchen Michail Fridman und seine Geschäftspartner. Der Banker sei quasi ein Gutmensch, habe karitative Einrichtungen und auch ukrainische Flüchtlinge unterstützt, heißt es in dem Brief. Kurz: Die Unterzeichner des Bittbriefes glauben nicht, dass Fridman und seine Geschäftspartner "irgendwie mit Putins Regime in Verbindung standen oder für seine Verbrechen verantwortlich gemacht werden sollten."

Zu den Unterzeichnern dieses ungewöhnlichen Schreibens zählt auch der wohl prominenteste Kopf der russischen Opposition im Ausland: Leonid Wolkow, der politische Direktor des Teams des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny. Wolkow führt seit langem öffentlich Listen einflussreicher Russen wegen derer Unterstützung von Putins "Spezialoperation" und fordert Sanktionen gegen sie.

Nawalnys "rechte Hand" lässt Arbeit ruhen

Nach anfänglichem Leugnen veröffentlichte Wolkow nun diesen Brief und sprach zugleich von einem "schweren politischen Fehler". Ziel sei es gewesen, eine Spaltung der russischen Eliten herbeizuführen, so seine dünn klingende Rechtfertigung. "Ich habe mich geirrt", sagt Wolkow. Er kündigte an, seine öffentliche gesellschaftlich-politische Arbeit ruhen zu lassen. Ein Sprecher der EU-Kommission wollte am Freitag den Eingang des Schreibens nicht bestätigen. Grundsätzlich kommentiere man den Prozess, in dem Sanktionen vorbereitet oder angepasst werden, nicht. Dies sei Sache der EU-Staaten, die darüber vertrauliche Gespräche führten, hieß es.

Leonid Wolkow lebt im Exil, im litauischen Vilnius. 2013 leitete er die Kampagne Alexej Nawalnys für dessen Kandidatur als Moskauer Bürgermeister. Bis jetzt war er die rechte Hand des Kremlgegner. Im Oktober 2022 erschien sein Buch "Putinland – der imperiale Wahn, die russische Opposition und die Verblendung des Westens". Warum engagiert sich ausgerechnet ein derart scharfer Kritiker für einen russischen Oligarchen?

Angebliche Geldflüsse

Michail Fridman und Pjotr Awen, dessen Sanktionierung Wolkow gleichfalls aufheben wollte, sind die Gründer der Alfa-Gruppe, einer der größten Finanz- und Industriekonzerne in Russland. Fridman unterstütze Nawalnys Anti-Korruptions FBK sowie auch Wolkow persönlich, zitiert das in Russland verbotenen unabhängigen Internetportals Meduza einen anonymen Informanten aus der russischen Wirtschaft.

Fridman habe sogar "die Sicherheit bezahlt, mit der Wolkows Kinder in die litauische Schule gehen", so Meduzas Informant. Sowohl die Führung der Alfa-Bank als auch Wolkow selbst bestreiten dies kategorisch. "Meine Kinder werden nicht von Sicherheitskräften begleitet", sagt dieser gegenüber Meduza.

Streit in der Opposition

Öffentlich gemacht hatte die Petition für Fridman und seinen Geschäftspartner Awen ein anderer russischer Oppositioneller: Alexej Wenediktow, der frühere Chefredakteur des aufgelösten kremlkritischen Radiosenders Echo Moskwy. Laut Meduza hatte Wenediktow die Öffentlichkeit über die ungewöhnliche Solidarität Wolkows mit Fridman informiert, nachdem Nawalnys Team, darunter auch Wolkow, den angesehenen Journalisten als käuflich dargestellt hatte. Wenediktow wies zurück, für sich selbst von der Stadt Moskau Millionen erhalten zu haben.

Nun führte die Veröffentlichung Wenediktows dazu, dass Wolkow auch sein Amt als Chef von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung niederlegte. Wolkow entschuldigte sich öffentlich bei Nawalny und dem ganzen Team dafür, dass er im Oktober eigenmächtig den Brief unterschrieben hatte. Es bleiben aber die gegenseitigen Vorwürfe im Raum, Gelder aus staatsnahen Quellen erhalten zu haben. Die Beschuldigung, eventuell sogar käuflich zu sein. Ein tiefer Riss geht scheinbar durch die russische Opposition. Und darüber freut sich der Kreml sicherlich. (Jo Angerer aus Moskau, 11.3.2023)