ORF-General Roland Weißmann dürfte demnächst eine Ethikkommission bestellen, um einen neuen "Code of Conduct" für den ORF und sein Personal auszuarbeiten.

Foto: APA / Tobias Steinmaurer

London/Wien – Gary Linekers regierungskritischer Tweet über die britische Asylpolitik brachte dem ehemaligen Topstürmer und Moderator von "Match of the Day" eine – zumindest vorübergehende – Bildschirmsperre der BBC ein. Beim ebenso öffentlich-rechtlichen ORF soll demnächst eine "Ethikkommission" die bestehenden Verhaltensregeln für ORF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter überarbeiten – nach Chat-Affären und Rücktritten des TV-Chefredakteurs und des Landesdirektors in Niederösterreich, freilich wegen Politiknähe.

"Keine Zweifel" an Objektivität und Ausgewogenheit

Wie die britische Mutter allen öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat auch der ORF Social-Media- und Verhaltensregeln für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sollen, so die Social-Media-Leitlinien aus 2019, "keine Zweifel" etwa durch Posts auf Social Media oder auch Auftritte aufkommen lassen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ORF objektiv, ausgewogen und unparteiisch arbeiten.

Die Social-Media-Guidelines für Journalistinnen und Journalisten des ORF stammen aus dem Jahr 2012, sie orientierten sich etwa an den Vorgaben der BBC; 2019 wurden sie durch Social-Media-Leitlinien ergänzt. Twitter-Größe Armin Wolf kommentierte die Ergänzung 2019, er hätte diese nicht gebraucht. Er denke, dass er sich auf Twitter seit zehn Jahren ziemlich genauso verhalten habe, da er schon vor den Guidelines gewusst habe, wo er arbeite.

Die Social-Media-Leitlinien des ORF

"Eine exakte Trennung zwischen Beruf und Privatleben ist in sozialen Medien kaum möglich", heißt es in den Leitlinien aus 2019: Selbst bei privater Nutzung könnten ORF-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Repräsentanten des ORF wahrgenommen werden. Die Leitlinien geben etwa wörtlich vor:

  1. "Öffentliche Äußerungen, mit denen demonstrativ Sympathie oder Antipathie gegenüber politischen Institutionen, deren Vertreter/innen oder Mitgliedern zum Ausdruck gebracht wird, sind mit den gesetzlichen Vorgaben unvereinbar und daher unzulässig."
  2. "Öffentliche Äußerungen, die kritische Auseinandersetzungen oder persönliche Wertungen (Zustimmung, Ablehnung) über Dritte enthalten, sollen sachlich begründet und formuliert: werden."
  3. "In keinem Fall dürfen öffentliche Äußerungen geeignet sein, Zweifel an der Glaubwürdigkeit, Objektivität oder Unabhängigkeit des ORF oder seiner Mitarbeiter/innen aufkommen zu lassen."

Code of Conduct

Der ORF-Generaldirektor kündigte schon im November den Redakteurinnen und Redakteuren der ORF-Information an, er werde "eine Ethikkommission bestehend aus unabhängigen Expertinnen und Experten einrichten und damit beauftragen, in Zusammenarbeit mit dem ORF-Ethikrat einen Code of Conduct zu erarbeiten, der die bestehenden Verhaltensregeln des ORF zusammenfasst und gegebenenfalls Ergänzungen und Nachschärfungen vorsieht. Der Schwerpunkt soll dabei auf dem Umgang mit politischen Entscheidungsträgern und -trägerinnen im journalistischen Kontext liegen."

Schrom, Ziegler, Russwurm

Die "Ethikkommission" hat Weißmann aus aktuellem Anlass angekündigt, dem bald andere, ähnlich aufsehenerregende folgten.

  • Anlass Schrom Angekündigt hat ORF-General Roland Weißmann eine solche "Ethikkommission" im November, als TV-Chefredakteur Matthias Schrom nach Bekanntwerden seiner Chats mit dem damaligen Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache aus dem Jahr 2019 zurücktrat.
  • Bestätigung Ziegler – Wenige Wochen darauf schien der nächste Fall die Pläne für eine solche Kommission zu bestätigen: DER STANDARD und andere Medien veröffentlichten Mitte Dezember Dokumente über Amtsführung von Robert Ziegler als Chefredakteur des Landesstudios Niederösterreich mit starker Schlagseite Richtung Landeshauptfraupartei ÖVP Niederösterreich. Noch bevor eine Evaluierungskommission ihren Bericht über einige erhärtete Vorwürfe dem ORF-Chef formell übermittelte, trat Ziegler Anfang Februar 2023 zurück.
  • Russwurm und die ÖVP – Zwischendurch stellte die mit dem ORF identifizierte Vera Russwurm den ORF Anfang Jänner 2023 vor die Frage, ob die aktuellen Verhaltensregeln greifen. Russwurm, die eine wöchentliche Sendung im ORF hat, moderierte den Wahlkampfauftrakt der ÖVP Niederösterreich; der ORF konnte wie bei früheren Fällen nur darauf verweisen, dass Russwurm keine Mitarbeiterin ist und die Verhaltensregeln hier nicht greifen. Die familieneigene Produktionsfirma Hofpower liefert die Talksendung "Vera" dem ORF zu.

In den vergangenen Tagen kam ORF-General Roland Weißmann mehrfach auf die geplante Ethikkommission zu sprechen, etwa im "Report"-Interview über die geplante ORF-Haushaltsabgabe oder im ORF-Publikumsrat.

Bei diesen Gelegenheiten erklärte er, eine internationale Medienmanagerin werde diese Kommission leiten – noch ohne deren Namen zu nennen. Eine Möglichkeit wäre etwa Ingrid Deltenre, sie leitete 2004 bis 2009 das Schweizer Fernsehen als Direktorin, von 2010 bis 2017 war sie Generaldirektion der Europäischen Rundfunkunion EBU, einem Zusammenschluss von öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen.

Die Ethikkommission wird Weißmann wohl in gut einer Woche bekanntgeben, wenn sein oberstes Aufsichtsgremium Stiftungsrat wieder tagt.

Regeln für Podiumsdiskussionen

2019 twitterte Armin Wolf aus Anlass der neuen Social-Media-Leitlinien auch: "Es gibt keine Guidelines für Podiumsdiskussionen, Vorträge oder Interviews mit ORF-Journalist*innen."

Allgemeine Verhaltensregeln für ORF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter etwa für öffentliche Auftritte und Engagement gibt es seit 2011 in Form eines Verhaltenskodex. Ein interner Ethikrat, besetzt paritätisch aus Vertretern der Geschäftsführung und der Belegschaft, wacht über die Einhaltung und beurteilt mögliche Verstöße.

Restriktivere Regeln für Nebenjobs

Erst im Februar hat ORF-General Weißmann per interner Mitteilung die Regeln für Nebenbeschäftigungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verschärft. Anlass könnten Diskussionen um Russwurms Einsatz für die ÖVP Niederösterreich, eine Moderation bei der Wirtschaftskammer, aber etwa auch Eigenwerbung einer Moderatorin des ORF Niederösterreich gewesen sein – deren Moderationstätigkeit etwa Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) auf ihrer Website würdigte.

Nebenbetätigungen bei Kammern, politischen Institutionen und parteinahen Interessensvertretungen sind laut Weißmanns Vorgabe bis auf weiteres von den Verantwortlichen abzulehnen. Alle weiteren Tätigkeiten abseits des ORF sollen derzeit "besonders restriktiv" geprüft werden. Diese Vorgabe gilt, bis die Ethikkommission zu neuen Ergebnissen und Regeln gekommen ist. (fid, 13.3.2023)