Beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg sind zahlreiche Verfahren von sanktionierten Personen anhängig. Der Fall Prigoschina ist nicht rechtskräftig, wirft aber Fragen auf, die sich bei Sanktionen immer wieder stellen.

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Einst bekannt als "Putins Koch", der dem russischen Machthaber im weißen Kittel Mahlzeiten servierte, inszeniert sich Jewgeni Prigoschin heute als Kriegsheld mit grünem Tarnanzug und Sturmgewehr. Prigoschin ist Kopf der berüchtigten Militärgruppe Wagner und pflegte bis zuletzt enge Beziehungen zur russischen Regierung.

Nachdem die Europäische Union Prigoschin bereits 2020 mit Sanktionen belegt hatte, nahm sie vor einem Jahr auch seine Mutter Violetta Prigoschina ins Visier und verhängte ein Einreiseverbot und Kontensperren gegen sie. Doch wie das Gericht der Europäischen Union (EuG) vergangene Woche entschieden hat, war das unzulässig. Der EU-Rat habe ein wirtschaftliches Naheverhältnis Prigoschinas zu ihrem Sohn nicht beweisen können, heißt es in dem Urteil. Allein die familiäre Beziehung der beiden könne die Sanktionen nicht rechtfertigen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der EU-Rat könnte bei der zweiten Instanz, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), gegen die Entscheidung des EuG berufen und wird das wohl auch tun. Denn schon jetzt ist klar, dass das Verfahren einen Präzedenzfall schaffen wird. Prigoschina ist nicht die einzige Angehörige von Kreml-nahen Oligarchen oder Politikern, die mit Sanktionen belegt wurde. Und sie ist nicht die einzige, die Klage eingereicht hat. In Luxemburg sind viele weitere Verfahren anhängig.

Verbindung ungewiss

Die EU hatte die Sanktionen gegen Prigoschina einen Tag vor dem russischen Überfall am 24. Februar 2022 verhängt. Sie sei Eigentümerin von Unternehmen mit Verbindungen zu ihrem Sohn. Ihr gehöre etwa das Unternehmen Concord Management and Consulting LLC, das zur Concord Group zählt, die von ihrem Sohn gegründet worden sei. Damit habe sie Handlungen unterstützt, die die "territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine" untergraben, wie es im Sanktionsbeschluss des EU-Rats heißt.

Laut den Luxemburger Richterinnen und Richtern war Prigoschina aber bereits seit 2017 nicht mehr Eigentümerin des Unternehmens. Auch andere wirtschaftliche Verbindungen zu ihrem Sohn konnte der EU-Rat nicht beweisen. Die einzige Verbindung der beiden Personen sei die "familiäre". Das reiche nach der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs allerdings nicht aus, um weitreichende Wirtschaftssanktionen zu rechtfertigen.

Prigoschin sorgte zuletzt mit Kritik an der russischen Armee für Aufsehen. Die Sanktionen gegen ihn persönlich sind aber unumstritten.
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Fall von Sippenhaftung?

Der Fall Prigoschina wirft Fragen auf, die sich bei Sanktionen immer wieder stellen, sagt Christoph Haid, Rechtsanwalt und Partner in der Kanzlei Schönherr. Dürfen Angehörige von Zielpersonen ins Visier genommen werden, weil die Gefahr besteht, dass sie als Strohmänner für ihre Ehepartner, Geschwister und Kinder auftreten? Oder nähert man sich damit einer Art Sippenhaftung an, die mit westlichen Grundrechten schlicht nicht vereinbar ist?

Einfach beantworten ließen sich diese Fragen nur dann, wenn eindeutig wäre, dass ein Oligarch seine Kinder als verlängerten Arm benutzt. Doch von "eindeutig" kann man beim Thema Sanktionen nur in den seltensten Fällen sprechen. Treuhandverträge und mündliche Verträge sind geheim. Der Beweis, wem eine Yacht, eine Villa oder ein Unternehmen tatsächlich gehört, ist für die Behörden in der Praxis oft schwer bis unmöglich.

Welchen Maßstab der Staat dabei anlegen darf, war in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand von Verfahren. 2019 etwa, als der Fall eines Syrers am Obersten Gerichtshof (OGH) in Wien aufschlug: Die Höchstrichter entschieden damals, dass die familiäre Verbindung des Mannes zu einer sanktionierten Person allein nicht ausreiche, um eine Sperre im Grundbuch zu rechtfertigen. Das damalige Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismus (BVT) hätte vielmehr "konkret" darlegen müssen, warum die Immobilie in Wahrheit der sanktionierten Person zuzurechnen sei.

"Problem schwer zu lösen"

Schon in den nächsten Monaten wird sich das Europäische Gericht mit weiteren Fällen befassen. Zum Teil klagen nicht nur Verwandte von Kreml-nahen Personen, sondern auch die Oligarchen selbst. Auf der Liste der Luxemburger Richter stehen Gerichtsdokumenten zufolge unter anderem der Ex-Eigentümer des englischen Fußballklubs Chelsea, Roman Abramowitsch, und Michail Fridman, der Gründer des Finanzkonzerns Alfa Group. Beide bestreiten, dass sie den Krieg in der Ukraine unterstützen.

Gerade bei Personen wie Prigoschins Mutter dürfte der EU-Rat das Risiko in Kauf genommen haben, dass Gerichte den Sanktionsbeschluss aufheben, glaubt Haid. "Ganz sauber wird man das nie hinbekommen. Juristisch ist das Problem extrem schwer zu lösen", sagt der Anwalt. Letztlich müssen Sanktionen mit den EU-Grundrechten vereinbar sein – auch in der Ausnahmesituation eines Krieges. (Jakob Pflügl, 13.3.2023)