Kenzaburō Ōe war seit jungen Jahren Pazifist.

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Tokio – Er nannte sich selbst einmal "schwarzes Schaf" der japanischen Literatur und war gerade deshalb einer der wichtigsten Autoren Japans nach dem Krieg. 1994 wurde Kenzaburō Ōe denn auch mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Im Westen, wo er damals wenig bekannt war, kam das hingegen für viele überraschend. Wie jetzt von seinem Verlag Kodansha mitgeteilt wurde, ist Ōe schon Anfang März 88-jährig verstorben.

Viele von Oes Werken drehen sich um seinen 1963 mit einer Anomalie des Schädelknochens auf die Welt gekommenen Sohn. Zentrales Werk hierzu ist das schon im Jahr nach dessen Geburt erschienene "Eine persönliche Erfahrung". Über das Leben mit dem geistig behinderten Kind schrieb Ōe auch im Abstand vieler Jahrzehnte noch, zuletzt in "Licht scheint auf mein Dach" (2014): nachdenklich und zu Anfang darum ringend, den Sohn annehmen zu können.

Europäisch geprägt

Kollektive Erfahrungen prägen hingegen den als wichtigstes Werk Ōes geltenden Roman "Der stumme Schrei" (1967). Hierin befasste Ōe sich mit der Geschichte seines Landes und dessen Veränderung in politischer, industrieller und kultureller Hinsicht unter dem westlichen Einfluss seit der Öffnung im 19. Jahrhundert anhand zweier rivalisierender Brüder.

Die ungebremst um sich greifende Verwestlichung Japans sah Ōe nämlich kritisch. Zugleich war er selbst stark von amerikanischer und europäischer Kultur geprägt, vom französischen Existenzialismus, Thomas Mann oder Goethe sowie den US-amerikanischen Autoren Faulkner und Mailer beeindruckt. Die wiederum anerkannten auch ihn. Mit dem ebenso sozialkritischen Günther Grass unterhielt Ōe einen 1995 veröffentlichten Briefwechsel, Henry Miller verglich ihn mit Dostojewski. Ōes Werke liegen im Fischer-Verlag umfassend auf Deutsch vor, zuletzt sind "Der nasse Tod" (2018) und "Der Tag, an dem Er selbst mir die Tränen abgewischt" (2019) über den Tod seines Vaters erschienen.

Protest und Kritik

Geboren 1935 in Uchiko auf der Insel Shikoku im Südwesten Japans, wurde Ōe früh zum Pazifisten. Davon kündet bereits die Erzählung "Der Fang" (1958) über einen US-Piloten, dessen Flieger nahe einem abgelegenen Dorf abgeschossen wird. Ōe wurde dafür als einer der jüngsten Gewinner jemals mit 23 Jahren mit dem Akutagawa-Preis ausgezeichnet. Auch der Atombombenabwurf auf Hiroshima, als er zehn Jahre alt war, sollte ihn sein Leben lang prägen. Hiroshima sei "eine Katastrophe, die noch dramatischer als Naturkatastrophen ist, weil sie von Menschen gemacht ist", sagte er.

Er leitete aus dieser Zerstörung auch seinen Protest gegen Atomkraftwerke ab. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima infolge eines Tsunamis 2011 forderte Ōe sein Land zum Ausstieg aus der Nutzung der Atomkraft auf. Auch gegen jüngste Schritte der japanischen Regierung zur härteren Bestrafung von Geheimnisverrat sowie einer Stärkung des japanischen Militärs meldete er sich zuletzt zu Wort. Sein Auftreten machte Ōe in Japan ebenso bedeutend wie auch kontrovers. (wurm, 13.3.2023)