Brigitte Ederer deklariert sich gleich zu Beginn des Gesprächs als Unterstützerin von Pamela Rendi-Wagner. Ein rasches Ende der Debatte um die Frage, wer die SPÖ künftig führen soll, sei essenziell, sagt Ederer. Viele Funktionärinnen und Funktionäre litten unter der Auseinandersetzung zwischen Rendi-Wagner und dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, die SPÖ reduziere sich nur noch auf diesen Kampf, mit Themen komme sie nicht mehr durch.

Brigitte Ederer ist Unterstützerin von Pamela Rendi-Wagner. Vergangenes Jahr hielten sie gemeinsam ein Hintergrundgespräch zum Thema "Plan für eine neue Industriepolitik in Österreich".
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Apropos Themen: Inhaltlich kann sich Ederer, ehemalige Wiener Finanzstadträtin und Siemens-Europa-Chefin, nicht recht für Doskozils "Modell Burgenland" erwärmen. Dass dies, wie Doskozil selbst wirbt, auf ganz Österreich umgewälzt werden könnte, sieht Ederer skeptisch.

STANDARD: Was wird am Mittwoch bei der Sitzung des Bundesparteipräsidiums herauskommen?

Ederer: Das weiß ich nicht. Ich weiß nur: Es muss sehr rasch eine Klärung stattfinden. Alle Sozialdemokraten leiden darunter. Und wir müssen uns so schnell wie möglich wieder darauf konzentrieren, dass die wahren Gegner der Sozialdemokratie nicht in den eigenen Reihen sind, sondern außerhalb. Konkurrent Nummer eins um die Gunst der Wählerinnen und Wähler ist die FPÖ, mit der man sich zurzeit zu wenig beschäftigt.

STANDARD: Ist der Konflikt zwischen Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil ein rein persönlicher, oder geht es auch um Inhalte?

Ederer: Es geht um die Frage, was die beiden trennt. Und das liegt klar auf der Hand. Rendi-Wagner hat einen teamorientierten Führungsstil, Doskozils Stil ist sehr auf seine Person konzentriert, und er glaubt, er könne auf der rechten Seite Wähler an sich binden. Ich denke, dass er in diesem Punkt irrt: Einige Menschen mögen vielleicht in Umfragen sagen, dass sie ihn gut finden – aber wählen werden sie am Ende trotzdem die FPÖ.

STANDARD: Er präsentiert aber auch ein Konzept, das "Modell Burgenland", das anhand dieses Beispiels zeigen soll, wie man auch das ganze Land mit sozialdemokratischen Inhalten regieren könnte.

Ederer: Das sogenannte "Modell Burgenland" gibt öffentliches Geld in einigen wenigen Bereichen aus, aber es ändert nichts an den strukturellen Problemen im Land. Leider kratzt dieses Modell nur an manchen Stellen an der Oberfläche.

STANDARD: Inwiefern?

Ederer: Nehmen Sie etwa das Beispiel Mindestlohn. Hier bekommt eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern, jene im öffentlichen Dienst, signifikant mehr Gehalt als alle anderen. Gegen die niedrigen Löhne und Gehälter in der Privatwirtschaft ist das kein wirksames Mittel, es schafft nur zwei Klassen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Zudem ist es Tradition in Österreich, dass die Sozialpartner verlässlich den Ausgleich zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen schaffen.

STANDARD: Mehr Geld für Pflegepersonal und Ärzte klingt nicht schlecht.

Ederer: Zweifellos. Aber das funktioniert ja nur auf regionaler Ebene. Solange die Ärztinnen und Ärzte sehen, dass sie im Burgenland erheblich mehr verdienen, werden sie sich überlegen, dorthin zu wechseln. Sobald alle in ganz Österreich gleich viel bekommen, funktioniert das System nicht mehr. Das ist zu kurz gedacht.

STANDARD: Kritiker sagen auch, dies sei zu teuer.

Ederer: Das kommt dazu. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, wer am Ende die Kosten trägt – entweder die Steuerzahler oder die Konsumenten. Der bessere Plan wäre, zu überlegen, wie man Armut an der Wurzel bekämpft. Denn das ist das größte Problem in unserer Gesellschaft. Arme Kinder haben nachgewiesenermaßen viel weniger Chancen im Leben. Das muss die Sozialdemokratie bekämpfen.

STANDARD: Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Jobgarantie für Langzeitarbeitslose, die der niederösterreichische SPÖ-Chef Sven Hergovich bei den Verhandlungen mit der ÖVP forderte?

Ederer: Das halte ich für eine sehr wichtige Maßnahme, und mich wundert, dass diese Initiative in den burgenländischen Vorschlägen nicht vorkommt.

STANDARD: Tut Doskozil nicht genau das, was Bruno Kreisky in den 1970er-Jahren gemacht hat? Tut er nicht das, was man unter einem klar linken Kurs versteht?

Ederer: Doskozils Modell für Wirtschaft und Arbeitsmarkt ist retro, kein Gesamtmodell, und auf wichtige Themen wurde dabei komplett vergessen: die Förderung von Innovation, Investieren in zukunftsträchtige Technologien, Bekämpfung des Arbeitskräftemangels.

STANDARD: Was halten Sie von seiner Initiative zu Mietkauf und Eigentumsbildung?

Ederer. Das empfinde ich als relativ populistisch und nicht im Sinne der Sozialdemokratie. Die SPÖ stand immer dafür, dass Wohnungen über die Generationen erhalten bleiben – zu leistbaren Preisen. Mietkauf führt dazu, dass die Eigentümer am Ende sehr großes Interesse daran haben, dass Immobilienpreise steigen. Das macht es für nachfolgende Generationen schwieriger.

STANDARD: Die Anstellung von pflegenden Angehörigen ist ebenfalls ein burgenländisches Leuchtturmprojekt.

Ederer: Eines, das wieder nicht durchdacht wurde. Frauen werden damit als Pflegerinnen einzementiert, und es ist die Frage, was mit den Pflegenden geschieht, wenn die Gepflegten sterben. Sind sie dann arbeitslos oder müssen sie andere Pflegebedürftige umsorgen? Ist die wöchentliche Arbeitszeit geregelt, gibt es Ruhe- und Urlaubszeiten? Ich glaube, dass der Zuspruch zu diesem Modell im Burgenland auch deshalb nicht so groß ist, weil diese Fragen nicht geklärt sind. Ich befürchte, hier agiert die Politik im Burgenland an den Bedürfnissen der Menschen vorbei.

STANDARD: Leiden Sie persönlich auch unter dem Streit zwischen Doskozil und Rendi-Wagner?
Ederer: Natürlich empfinde ich das als furchtbar. Am schlimmsten ist, dass die SPÖ mit Themen nicht durchkommt. Das habe ich persönlich erlebt. Wir haben mit der Bundesparteivorsitzenden eine Industrieinitiative vorgestellt. Das Echo war sehr positiv, die Medien haben das sehr interessiert aufgegriffen. Drei Tage später wurde die Umfrage aus dem Burgenland veröffentlicht, die Doskozil vor Rendi-Wagner sieht – und schon waren unsere Inhalte wieder nicht mehr interessant. Das passiert ständig, und das muss so schnell wie möglich aufhören. (Petra Stuiber, 13.3.2023)