Tangwälder können 30 Meter vom Meeresboden an die Oberfläche wachsen.
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Fahles Licht und meterhohe Pflanzen, die sich kerzengerade an die Oberfläche drängen: Wälder existieren nicht nur an Land, sondern auch im Wasser. Ein besonderes Walderlebnis bieten Kelpwälder, auch Tang- oder Algenwald genannt. Die bis zu dreißig Meter hohen Braunalgen ragen lianenartig in die Höhe und bieten nicht nur Taucherinnen und Tauchern eine einzigartig-mystische Unterwasserlandschaft. Sie sind auch Heimat und Rückzugsort zahlreicher Fischarten.

Wettlauf ums Licht

Der Kelpwald zeichnet sich – genau wie Wälder an Land – durch seinen Schichtenbau aus: Die Wurzeln haften wie "Pratzen eines Löwen" am Felsen. Der Stiel erinnert an einen dicken Gartenschlauch. An der Wasseroberfläche bilden sich blattähnliche Wedel. Dazwischen wachsen kleine gasgefüllte Kügelchen: "Auch Wasserpflanzen betreiben Photosynthese. Die Auftriebskugerln helfen der Alge bei der Lichtaufnahme. Durch das Gas treibt es sie wie eine Boje ständig nach oben, also näher zum Licht", erklärt Daniel Abed-Navandi, Meeresbiologe und stellvertretender Direktor des Hauses des Meeres Wien.

Der Kampf um das Licht ist im Wettbewerb zwischen verschiedenen Arten ein wichtiger Mechanismus. Es gibt sogar saisonale Schwankungen: Im Herbst und Winter zieht sich die Pflanze zurück, verbleibt aber an Ort und Stelle und treibt im Sommer wieder aus. Bei Stürmen reißen die Wurzeln häufig aus, sodass mehr Licht zum Boden gelangt.

Karge Felsen, niedrige Temperaturen

Kelpwälder gedeihen nur unter gewissen Bedingungen. Einige Faktoren wie kalte Temperaturen oder die Verfügbarkeit von Nährstoffen sind für ihre Entstehung essenziell. Weil ihre Wurzeln auf sandigem Boden nicht haften, existieren die Algen lediglich an felsigen Küstengebieten.

Seeotter schränken die für Tangwälder schädlichen Seeigel-Population ein – wurden jedoch lange Zeit aufgrund ihres wertvollen Pelzes gejagt.
Foto: LAURA RAUCH

"Außerdem benötigen Kelpwälder zum Wachsen verschiedene Nährsalze. Wachstumsfördernde Stickstoff- und Phosphorverbindungen sind jedoch begrenzt. Erst wenn düngerreiches Wasser aus der Tiefsee in Küstengebiete strömt, enthält das Wasser genügend Nährstoffe. In der Dunkelheit verbraucht diese beiden Stoffe niemand", sagt Abed-Navandi. Kelpwälder existieren deshalb nur bei "Upwelling", also in sogenannten Auftriebsgebieten. Die schönsten und größten Tangwälder sind deshalb an der Küste von Mexiko bis Kalifornien zu finden. Aber auch im Norden Europas sowie an der afrikanischen Westküste sind Bestände bekannt.

Besonders empfindlich reagieren die Pflanzen auf eine erhöhte Wassertemperatur: "Kelpwälder verschwinden bei einer Temperatur von über 21 Grad Celsius, weshalb sie durch die vom Klimawandel verursachte Erderwärmung zunehmend gefährdet sind", sagt Abed-Navandi. Dabei könnte der Erhalt der Wälder sogar helfen, den Klimawandel einzudämmen. Einige Studien deuten darauf hin, dass Kelp wesentlich zur Kohlenstoffbindung beträgt und somit CO2-Emissionen verringert.

Stabilität schafft Diversität

Egal ob Seepferdchen, Rochen, Krebs oder Hai – Kelpwälder bilden ein artenreiches Ökosystem und fungieren für viele Meerestiere als Nahrungsquelle, Versteck oder Kinderstube. Manche Forscherinnen und Forscher bezeichnen die Algenwälder sogar als submarines Gegenstück zum Regenwald. Abed-Navandi bestätigt: "Es gibt viele Arten, die sich darauf spezialisiert haben, in diesem stabilen Lebensraum zu leben."

Auch die Meeresbewohner folgen dem Schichtprinzip. Der Meeresboden ist von Schwämmen und Moostierchen bedeckt. Im Mittelbau sind verschiedene Fischarten, vor allem Fleischfresser zu finden. Da das Wasser innerhalb des Waldes besonders langsam fließt, sammelt sich vermehrt Plankton an. Dieser Umstand lockt wiederum große Meeressäuger wie Wale an die obere Waldschicht.

Empfindliches Gleichgewicht

Trotz Fraßhemmstoffen wie Tanninen knabbert das ein oder andere Tier an den großen Blättern der Tangwälder. Die Beziehung zwischen Kelpwäldern, Seeigeln und Seeottern zeigt, dass im Meer häufig ein empfindliches Gleichgewicht herrscht. Seeigel haben spezielle Darmbakterien ausgebildet, die die Giftstoffe der Algen unschädlich machen. "Bei einer Überpopulation von Seeigeln kann aus einem Kelpwald in kürzester Zeit ein kahlgefressener Felsen werden. Die Tiere verspeisen Unmengen an Braunalgen", gibt Abed-Navandi zu bedenken. Das heißt: je mehr Seeigel, desto weniger Kelpwälder.

Seeigel verspeisen Unmengen an Braunalgen, was den Bestand der Tangwälder rapide vermindert.
Foto: A. Kroh, NHM Wien

"Seeigel werden wiederum hauptsächlich von Seeottern, aber auch Hummern gefressen, was die Population einschränkt." Bis zum "Marine Mammal Protection Act" 1972 wurde aufgrund ihres wasserabweisenden Pelz Jagd auf Seeotter gemacht, was zu einer Überpopulation von Seeigeln und dem Verschwinden vieler Kelpwälder führte. Abed-Navandi ist sich sicher: "Das Seeotter-Jagdverbot sorgt für ein Gleichgewicht in der Nahrungskette. Allerdings sollte auch bei Hummer über verschärfte Fanggesetze nachgedacht werden – den Tangwäldern zuliebe."

Lebensraum schützen

Auch wir Menschen tragen neben dem Klimawandel und Seeigeln zum Verschwinden der Kelpwälder bei. Durch küstennahe Firmen und die dadurch verursachte Einleitung von Pestiziden ins Meer wird das empfindliche Ökosystem gestört. Selbst Dünger kann den Wäldern schaden, da die wenigsten Düngemittel an Wasserpflanzen getestet werden. Zusätzlich kann das Eingreifen in die Hydrographie, also beispielsweise das Versetzen von Hafenmole, um Stürme abzuwenden, eine verstärkte Sedimentation verursachen. Bei einer zu großen Menge an Ablagerungen, können die Wurzeln des Tangs in Folge nicht mehr am Meeresboden haften.

Für Abed-Navandi ist der Schlüssel zum Schutz der Kelpwälder vor allem "lebensraumspezifisches Denken". Auch in seinem kürzlich erschienenen Buch "Lebensräume im Mittelmeer" widmet sich der Forscher unter anderem den einzigartigen Braunalgen. "Erst wenn alle Faktoren berücksichtigt werden, können wir diesem diversen Lebensraum gerecht werden." (Anna Tratter, 17.3.2023)