Auf 3000 m² Fläche hat sich Polestar ein Designzentrum eingerichtet. Klar und schnörkellos wie die Formgebung der Autos.
Foto: Polestar

"Neu" muss nicht immer heißen: auf die grüne Wiese gebaut. Wiederverwertung und -verwendung ist in der Baulichkeit mitunter die bessere, nachhaltigere Lösung, schon, um potenzielle architektonische Fragwürdigkeiten hintanzuhalten. Der konkrete Fall ist das neue, das erste eigene Designstudio für Polestar.

Das Designstudio belegt den rechten Flügel des ehemaligen Volvo-Konzern-Hauptquartiers in Göteborg-Torslanda aus den frühen 1980er-Jahren.
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Polestar, Volvos Submarke und dort einst ein Hinweis für Performance-Gerätschaft, die heute und künftig ausschließlich Elektrofahrzeuge baut, hat sich in Torslanda, Göteborg, ein Kreativzentrum zugelegt, in dem ein Österreicher "residiert", der aus Graz stammende Chefdesigner Maximilian Missoni. Untergebracht ist es im ehemaligen Hauptquartier des Volvo-Konzerns, errichtet 1982 bis 1984.

Polestar-Chef Thomas Ingenlath stammt aus Krefeld und wurde dort von Architektur Ludwig Mies van der Rohes geprägt – im Bild Rohes "Haus Lange". Diesen Typus glaubt er in dem Bau in Torslanda wiedergefunden zu haben.
Foto: imago / Florian Monheim

Polestar-Chef Thomas Ingenlath schildert den Hergang. Er selbst stamme aus Krefeld und sei dort von frühen Gebäuden Mies van der Rohes geprägt worden. Diesen Typus von Architektur habe er vor elf Jahren, als er Designchef bei Volvo wurde, auf diesem Hügel wiedergefunden.

Die minimalistische Eleganz des Baues passe zur eigenen Philosophie, glaubt Polestar – und erwartet sich Abstrahleffekte auf das Design der Autos.
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Damit landen wir im Hier und Jetzt: Knapp ein Drittel des Gebäudes auf dem Feldherrenhügel ist nun Polestars Designstudio, damit ist auch physisch die Trennung zu Volvo vollzogen. Ein Drittel nutzt Volvo Schweden, der Rest steht leer. In seiner minimalistischen Eleganz passe es bestens zur Philosophie des Hauses, so Ingenlath weiter, und beim Umbau zum Designzentrum sei man "respektvoll zu diesem Gebäude" gewesen. Zur Wechselwirkung zwischen Mensch und Baulichkeit: "Ich bin überzeugt, diese Umgebung wird einen positiven Impact auf das Design unserer Autos haben."

Auf zwei Etagen arbeiten 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, maximal 120 wären auf den 3000 m² Arbeitsfläche unterzubringen.
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Zur Veranschaulichung der Größenordnung: Von den 10.000 m² Fläche stehen Polestar 3000 zur Verfügung, der rechte Gebäudeflügel. Übersiedelt wurde Ende 2022, auf zwei Etagen arbeiten 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, etliche außer Haus kommen noch hinzu, die maximale Personalkapazität liege bei 120, führt Missoni aus – "und wir sind extrem international". Für die behutsame Adaptierung der Baulichkeit zeichnet übrigens der Chefdesigner, diesbezüglich erblich "vorbelastet", höchstpersönlich verantwortlich. Am besten macht man eben alles selbst.

Das Designzentrum umfasst einen speziellen Ausstellungsbereich, eine Lehm-Werkstatt, ein Material- und Farblabor, ein Auditorium sowie mehrere digitale Studiobereiche, Büroflächen, Virtual Reality- und Besprechungsräume.
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Im Vergleich zur arrivierten Premiumkonkurrenz mutet das recht bescheiden an, es gilt die Losung "Klein, aber fein". Von der Skizze auf Papier über Computeranimation, das virtuelle, vernetzte Arbeiten mit Datenbrillen etc.: Es ist alles da, was ein Autodesignzentrum heutzutage ausmacht. Sauber, ganz in Weiß, kurze Wege zum Austausch, kreative Atmosphäre: Das passt zur Aufbruchstimmung. Polestar wird 2026 mit fünf Modellen eine komplette Palette aufweisen. Polestar 3 und 4 starteten ihre stilistische Karriere noch in Volvo-Umgebung – 5 und 6 werden schon maßgeblich hier geprägt. Schlicht und elegant. Mies van der Rohe nach skandinavischer Art. Was das alles gekostet hat? "Kein Kommentar."


Interview mit Maximilian Missoni

"Hausherr" Maximilian Missoni im Gespräch im neuen Design-Studio.
Foto: Polestar

STANDARD: Außergewöhnliche Situation bei Polestar: Markenchef Thomas Ingenlath (seit 2012 Volvo-Chefdesigner, seit 2017 zudem Polestar-Chef; Anm.) selbst ist ein Designer, Sie sind der Chefdesigner: Förderlich oder hinderlich?

Missoni: Die klassische Frage, krieg’ ich öfter. Ist auch ziemlich einzigartig. Auf keinen Fall hinderlich. Für mich ist es sogar so, dass mein Leben als Designchef sich manchmal fast zu einfach anfühlt, weil man für gewisse Lösungen, die für uns Designer selbstverständlich sind, aber nicht für jeden unmittelbar begreifbar sind, immer ein offenes Ohr findet. Das ist schon hilfreich.

STANDARD: Mit dem Design-Zentrum ist die Trennung von Volvo auch in diesem Kapitel vollzogen. Wie radikal werden sich die Wege im Erscheinungsbild trennen?

Mit dem Polestar 3, der gegen Jahresende in den Handel kommt, beschreitet die Marke erstmals ganze eigenständige Designwege abseits von Volvo.
Foto: Polestar

Missoni: Das Polestar-Design ist jetzt schon sehr, sehr eigenständig. Die Leute gucken: Was ist das jetzt für eine Marke? Das ist nicht mehr Volvo, sondern eigenständig. Und das Feedback, das wir bis jetzt bekommen haben, bestätigt: Wir haben es geschafft, eine Marke zu positionieren vom Design her, die nicht wirklich irgendwo anders aneckt.

STANDARD: Was unternehmen Sie, das Volvo nicht oder anders tut, um den Polestar-Modellen "skandinavische" Identität zu verleihen und ist das angesichts des chinesischen Eigentümers nicht schlichtweg Etikettenschwindel, sprich: lediglich ein verkaufsförderndes Marketinginstrument?

Missoni: Man sieht das hier ja ganz deutlich: Wir können und wollen uns nicht der Kultur entziehen, in der wir leben und arbeiten. Gerade die skandinavische Identität ist enorm stark, wenn man hier lebt, erkennt man das. Die Skandinavier selbst merken das gar nicht so, weil die leben das. Aber wenn man als Externer hierherkommt, merkt man, wie stark dieser "Scandinavian Design-Flavour" ist. Wie prägend das auch ist für uns. Das atmen wir einfach ein und es durchläuft sozusagen unsere Kreativitätsschleife. Ich würde sagen, dass das auf keinen Fall mit Marketing zu tun hat. Bei Volvo geht das bis hin zu den Materialien und dem hier üblichen besonderen Umgang mit der Natur, also Skandinavisches direkt übersetzt. Wir gehen eher durch die Technologieschiene ran. Natürlich ist Sustainability, Nachhaltigkeit – was in Skandinavien extrem hoch angesiedelt ist – bei uns ein extrem wichtiger Wert, allerdings sehen wir das eher durch die technologische Brille.

STANDARD: Apropos: Welche gestalterischen Schwierigkeiten und Möglichkeiten eröffnen Ihnen rezyklierte Materialien und der forcierte Einsatz etwa von Naturfasern?

Missoni: Wir sehen uns an, was die Zulieferer an rezyklierten, neuen Materialien, Naturfasern, Wolle und Leder etc. anbieten. Dann setzen wir das möglichst originalgetreu um, auch mittels Kennzeichnung, um mit diesen Materialien eine neue Begehrlichkeit zu schaffen. Das ist die Richtung, in die wir gehen. Nachhaltige Materialien aufregend und begehrlich machen, darum geht es.

STANDARD: Und die Schwierigkeiten?

Missoni: Diese Materialien sind erst einmal nur in geringen Mengen verfügbar, weil die Zulieferer noch nicht in größeren Mengen produzieren, das heißt, der Kostendruck ist für gewöhnlich am Anfang höher. Da muss man eben Überzeugungsarbeit leisten und über kleinere Stückzahlen diese Materialien sukzessive in die Großserie rüberbringen.

STANDARD: Zum Nachhaltigkeits-Schwerpunkt zählt auch Ihr "Project Zero".

Polestar 0: Bis Ende des Jahrzehnts will Polestar ein rundum klimaneutrales Fahrzeug realisieren.
Foto: Polestar

Missoni: Richtig. Bis 2030 werden wir ein klimaneutrales Auto mit Netto-Null-Emissionen bauen, Arbeitstitel: Polestar 0.

STANDARD: Kommen wir zur Innenraumgestaltung. Tesla hat mit diesen alles dominierenden zentralen Tablets begonnen, ästhetisch ist das meist eine Zumutung, die Proportionen geraten völlig durcheinander. Muss das sein?

Missoni: Das ist ein Trend, der meiner Meinung nach richtig ist, denn es ist einfach angenehmer, größere Touch-Flächen zu haben, größere Landkarten …

STANDARD: … weil man damit eine bessere Trefferwahrscheinlichkeit hat …

Der Polestar 3 geht den Trend mit: Die Infotainment-Tablets in den Autos werden immer größer. Da geraten oft die Proportionen durcheinander.
Foto: Polestar

Missoni: … richtig. Das heißt: Die Größe spielt tatsächlich eine Rolle. Und je größer die werden, desto schwerer wird es ästhetisch. Manche Firmen haben versucht, ein großes Tablet einzubauen in ein Dashboard (Armaturenbrett), das wird sehr, sehr klobig. Das im Prinzip vorzulagern und schweben zu lassen, halte ich für die richtige Lösung, und wir tun dies tatsächlich mit dem Centerstack-Display – das ist das große – und auch auf der Lenksäule mit dem kleinen Fahrerdisplay. Beide schweben im Raum, ich halte das für eine ästhetisch sehr ansprechende Lösung.

STANDARD: VW bei ID.3, 4 und 5 wären weniger gelungene Beispiele. Generell: Die Gestensteuerung hat sich als Irrweg entpuppt, das Touchscreen-Bedienungsdesaster greift immer mehr um sich. Lässt sich das durch intelligente Sprachsteuerung überhaupt noch kompensieren bzw. lassen sich immer komplexere Inhalte noch klug und selbsterklärend vermitteln?

Intuitive Bedienbarkeit von Touchscreens sieht Missoni als Pflichtübung. Skepsis ist angebracht, man lässt sich aber gerne eines Besseren belehren. Bei der Sprachbedienung setzt Polestar auf Google.
Foto: Polestar

Missoni: Das ist bei uns ein Kernwert der Marke, komplexe Dinge – und solche haben wir – so umzusetzen auch über das Vehikel Design, dass sie intuitiv erlebbar und bedienbar sind. Wir legen großen Wert darauf, dass diese Sachen, auch die zugehörigen Symbole, sehr einfach und klar sind. Das ist das eine. Sprachbedienung: Wir haben uns relativ früh dazu entschieden, mit Google gemeinsame Sache zu machen, …

STANDARD: … und sich damit dem IT-Riesen auszuliefern …

Missoni: … wir waren die erste Marke, die – im Polestar 2 – diese Kollaboration eingegangen ist.

STANDARD: Dann kam Renault.

Missoni: Volvo natürlich auch. Inzwischen gibt es noch mehr. Wie sich über das Feedback herausstellt, ist das eine super Sache, weil diese Sprachbedienung einfach top ist. Google ist da nicht zu schlagen. Wir haben bei Volvo ein paar Jahre eine Eigenentwicklung versucht, die ist gescheitert.

STANDARD: Noch einmal Polestar 3: Verstehen Sie die Kritik an SUVS?

Geländegängigkeit, verhältnismäßig wenig aggressives Erscheinungsbild und geringer Verbrauch, so soll der Polestar 3 der SUV-Kritik den Wind aus den Segeln nehmen.
Foto: Polestar

Missoni: Naja: Deshalb haben wir den Polestar 3 ja genauso gestaltet, wie wir ihn gestaltet haben. Um sowohl die positiven Eigenschaften von SUVs zu transportieren als auch die negativen, die Kritikpunkte, zu vermeiden. Dadurch ist das ein effizienter SUV, ich glaube, er repräsentiert das Beste aus beiden Welten. Der kann auch Gelände – die Rede ist von einer Luftfederung mit bis zu 25 Zentimetern Bodenfreiheit, da kann man schon ordentlich in die Natur fahren damit. Die Vorzüge eines SUVs lassen sich ja nicht bestreiten. Aber: Man muss es halt so machen, dass der SUV beim Verbrauch ein effizientes Gefährt wird, und das ist unser Fahrzeug.

STANDARD: Jedenfalls sieht es nicht, wie Thomas Ingenlath bei der Weltpremiere 2022 in Kopenhagen gemeint hat, aus, als würde es "Kinder zum Frühstück verspeisen". Andere Frage: Schon klar, erst einmal müssen Volumensmodelle her, die die Kassen füllen. Aber warum müssen wir bis 2026 auf den emotionellen Höhepunkt der Baureihe warten, den Roadster?

Polestar 6: 2026 ist die Palette mit dem von dieser Studie abgeleiteten Roadster erst einmal komplett.
Foto: Polestar

Missoni: Das ist so in der Autoindustrie: Um gute, solide Produkte zu entwickeln, das dauert. Von den vier Jahren Entwicklungszeit eines neuen Autos braucht es zwei vom weißen Blatt Papier bis zum fertigen Design.

STANDARD: Und allgemein gesprochen: Elektroautos sind alle irgendwie seelenlos, vieles wirkt synthetisch. Wie weit lässt sich da denn, beispielsweise mittels Sounddesign, gegensteuern?

Missoni: Ich bin kein großer Fan von künstlichen Sounds, die nur den Motorensound durch einen synthetischen ersetzen. Das Schöne an Elektroautos ist ja die Stille. Und jeder, der einmal ein E-Auto gefahren ist, weiß auch, dass diese Instant power, der direkte Kraftfluss, diese Beschleunigung, in lautloser Form abläuft, das ist ein Traum. Wir sind jedenfalls ganz, ganz vorsichtig, nur ein Sounddesign zu machen, das den technischen Charakter des Produkts unterstreicht, aber nicht neue Melodien, neue Sounds entwickelt.

STANDARD: Wieweit befruchtet die Historie das aktuelle Gestalten und warum gibt es heute so wenig "ikonisches" Design?

Missoni: Eine Monsterfrage. Unmöglich, die in ein paar Sätzen zu beantworten. Wir haben natürlich schon den Anspruch, möglichst ikonisches Design zu produzieren. Was ich vorhin meinte, mit dieser Dualität im Design – das bedeutet, zwei verschiedene Welten miteinander zu verbinden. Die Ratio und Emotio gleichzeitig anzusprechen. Wenn ich nur rationale Sachen mache, vergesse ich das gleich wieder. Da findet keine biochemische Reaktion statt. Ich muss also beides zusammenbringen, dann verknüpfen sich neue Synapsen und das Ding bleibt in Erinnerung. Ich finde, da sind wir gut unterwegs.

STANDARD: Bei all der technisch immer komplexer werdenden computerbasierten Designarbeit, all den Simulationswerkzeugen: Wie viel Wert hat für Sie das klassische Handwerk noch, das Zeichnen auf Papier, das Modellieren in Ton?

Am Anfang des Gestaltungsprozesses steht immer noch die traditionelle Handskizze.
Foto: Polestar

Missoni: Wir alle arbeiten am Anfang noch mit der Skizze. Allerding: Viele meiner Designer machen das auf dem Tablet. Es ist schon noch eine Handskizze, aber ich kann auch gleich die digitalen Möglichkeiten nutzen. Und wir stehen hier beim Interview unter einer Lichtdecke, die es erlaubt, mit Clay zu modellieren. Wir haben da drinnen in dem Raum (deutet nach nebenan; Anm.) auch die ganzen Utensilien. Weil ich immer noch der Meinung bin, dass wir im Designprozess dieses Physische bewahren sollen. Wir arbeiten zwar fast ausschließlich digital, aber ich möchte, dass wir diese Chance haben und wir nutzen das auch regelmäßig. (Andreas Stockinger, 15.3.2022)