In Bachmut stehen nur mehr wenige Häuser, die meisten Bewohner sind geflohen. Jene, die noch geblieben sind, haben nicht mehr genug Wasser.

Foto: AP Photo/Libkos, File

Drohnenaufnahmen zeigen die Geisterstadt, die einmal eine Stadt im Aufbruch war.

Foto: AP

Von der ostukrainischen Stadt ist nicht mehr viel übrig,

Foto: AP

Bachmut war im Aufbruch. Die typische Kleinstadt im Osten der Ukraine war gerade dabei, den schwarzen Staub der umliegenden Minen und Schwerindustrie abzuschütteln, als russische Bomben den Ruß wieder auf sie regnen ließen. "Ein wenig deprimierend" sei Bachmut im Jahr 2021 schon noch gewesen, erinnert sich Yehor Tereschtschenko. Aber eben im Aufbruch.

Der nun 28-jährige Arzt war damals aus der Hauptstadt Kiew zurück in den Donbass gezogen. Sein Elternhaus in Pokrowsk liegt eineinhalb Autostunden westlich von Bachmut. Tereschtschenko wollte wieder praktisch arbeiten – in Kiew war er an der Universität Assistenzprofessor gewesen. In der 70.000-Einwohner-Stadt im Osten der Ukraine begann der Onkologe in einer der modernsten Abteilungen des Landes, erzählt Tereschtschenko dem STANDARD am Telefon.

"Zweites Leben" für Gebäude

Bachmut, das nun die wohl symbolträchtigste Stadt im russischen Angriffskrieg in der Ukraine ist, hatte während Tereschtschenkos Umzug noch den postsowjetischen Touch. Viele Häuserblöcke aus der Zeit standen leer, wie er sich erinnert. Nach und nach erhielten sie aber ein "zweites Leben". Die gesamte Region habe sich geöffnet: "Es gab viele Events, die auch Leute aus Kiew oder Lwiw anlockten." Neue Cafés eröffneten im Stadtzentrum, eine bürgerliche Mittelschicht begann sich zu formen.

Nachdem die Stadt 2014 – noch unter ihrem damaligen Namen Artemiwsk – gegen prorussische Separatistentruppen verteidigt werden konnte, flossen Fördergelder, sagt Tereschtschenko. Die Wasserversorgung wurde rundumerneuert, das Stadtbild aufgewertet, die Krankenhäuser erhielten neue Ausrüstung und hochwertige Medikamente: "Man konnte in Bachmut verschiedene Krebsarten gut behandeln", sagt der Arzt.

Knattern und Schüsse

Und dann marschierte die russische Armee in der Ukraine ein. "Ich hatte um sechs Uhr in der Früh eigentlich Fahrstunden für meinen Führerschein", erinnert sich Tereschtschenko an den 24. Februar 2022. Eine Freundin rief ihn an und erzählt vom Kriegsbeginn. "Sie hatte Angst um mich, weil ich im Osten war – so nahe an den Separatistengebieten", sagt er: "Doch dann kamen die Russen vor allem vom Norden und schlussendlich hatte ich mehr Angst um meine Freundin, die sich dort befand."

Bachmut wurde aber bald zum symbolischen Ort, der eingenommen oder gehalten werden musste. Die Stadt begann sich ab da erneut zu verändern. Das Knattern von Maschinengewehren und der Knall von Pistolenschüssen vermischte sich zu einer neuen Geräuschkulisse.

Schlaf trotz Explosionen

Tereschtschenko erzählt von heftigen Explosionen, die ihn in der Nacht hochschrecken ließen. Wie er dann mit den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern des Wohnblocks am Gang schlief. Oder es versuchte. "Ich war nach solchen Nächten immer extrem erschöpft", sagt der Arzt. "Irgendwann habe ich beschlossen, einfach im Bett zu bleiben. Das war vielleicht nicht schlau aber ich konnte besser schlafen."

In Bachmut sind die Gebäude niedrig, nur manche – wie das Krankenhaus – hatten mehrere Stockwerke. Von denen konnte man den aufsteigenden Rauch der Umgebung sehen, erinnert sich Tereschtschenko. Und an die Triagen. Die grüne, schwarze und rote Zone, in denen die Verletzten des Krieges je nach Verletzungsgrad behandelt wurden. Ging der junge Arzt vor dem russischen Einmarsch nach Dienstschluss immer noch laufen – "Bachmut hatte wunderschöne Strecken" – meldete er sich nun gemeinsam mit seiner Kollegin nach der Schicht auf der Onkologie noch auf der Traumatologie. "Dort gab es einen relativ jungen, ausgezeichneten Abteilungsleiter", erzählt Tereschtschenko. Mithilfe von Fachärztinnen und -ärzten aus den USA und Israel unterrichtete er die Grundlagen von Medizin im Kampfeinsatz.

Krankenhaus evakuiert

Als klar wurde, dass die Patienten eher durch Bomben sterben würden als den Krebs, evakuierten sie die Onkologie. Das war im April: "Nur wenige Tage zuvor wurde Butscha befreit, das erste Grauen drang an die Öffentlichkeit", erinnert sich Tereschtschenko. Bachmut hatte die letzte Onkologie der Region. 70 Patientinnen in einer Abteilung, die eigentlich auf 40 ausgelegt war. Auch der Arzt packte seine Sachen und floh über Dnipro zurück in die Hauptstadt Kiew. Er unterrichtet wieder an der Uni, bringt den jungen Menschen vor allem Einsatzmedizin bei. "Ich will das gar nicht", sagt Tereschtechenko, "aber so können sie im Notfall zumindest helfen."

In Kiew betreut er auch weiterhin Patienten. Zuletzt sei ein älteres Paar aus Bachmut ins Uni-Krankenhaus gekommen. Ihm musste ein Bein abgenommen werden, weil seine Diabetes nicht behandelt werden konnte. Bei ihr wurde ein schwerer Beinbruch festgestellt, die Frau war durch russischen Beschuss verletzt worden. "Wir riefen die Polizei, die solche Verbrechen immer aufnimmt", erzählt der Arzt: "Doch sie wollte nicht reden. Zu schwer war ihr Trauma. Mir hat sie dann erzählt, dass sie noch immer die Raketen und Explosionen hören kann."

Kontakt hatte Tereschtschenko auch noch zu dem Paar, das seine Wohnung übernommen hat: "Sie haben mir erzählt, dass es weder Wasser noch genügend Nahrungsmittel gibt. Die Frau hat eine Schusswunde am Hals, und die Straßenkämpfe kamen näher." Das war vor zwei Wochen. Seitdem gab es kein Lebenszeichen. (Bianca Blei, 14.3.2023)