Zwischen meckernder Barbie, einem Bassbariton aus Mordor und Björk als Satans ältester Schwester: Kunstfigur Fever Ray.

Foto: Nina Andersson

Dass Karin Dreijer aus Stockholm ein zwischen den Welten, Geschlechts- und Bühnenidentitäten sowie heiß und kalt und S und M wandelnder Mensch ist, der sich mit Schmerzen gut auskennt, hat zuletzt zum großen Leidensepos Plunge von 2017 geführt. Dessen Cover zeigte den Kopf der seit einigen Jahren als nonbinär lebenden Person wahlweise als Haupt voll Blut und Wunden – oder als traurigen Menschen, dem mit Schoko-Dessertsauce aus der Spritztube mit bewährter nordischer Kirchenniederbrenner- und Satansklauenschrift der Künstlername Fever Ray ins Gesicht gemalt wurde.

Gefallen wollte hier natürlich niemand. Verstören? Ja, bitte, das unbedingt! Der Kunstgriff, politische Zustände mit Privatem und hier immer wieder auch mit der Libido kurzzuschließen, führte zu einem kalten, abstoßenden, spannenden wie verspannten, unruhigen wie unrunden und immer wieder äußerst beeindruckenden Album. Von wegen: "Perverts define my fuck history."

Fever Ray

Der kalte, klirrende und flirrende Sound fungiert nun auch als Markenzeichen des neuen Albums Radical Romantics. Die tausend elektronisch harsch bearbeiteten Zungen Karin Dreijers jagen das Publikum in den einzelnen Songs von einer meckernden Barbiepuppe mit Mordlust in den Augen über eine neuerliche Belastungsstörung von Satans ältester Schwester Björk bis zum führenden Bassbariton aus dem Opernhaus in Mordor und zurück. Im Club unten im Keller wütet inzwischen die Meute zu dumpf pumpenden Tribal- und Technobeats eines DJs, der seinen Leuten gern ein rhythmisches Haxl stellt.

Das Blut gefriert

Der synthetische Pop Fever Rays kreist dazu um Themen wie Rassismus, Sexismus und überhaupt das Leben als Randgruppe oder Alien nicht nur bei den skandinavischen Weltmeistern in Sachen repressive Toleranz: "Free abortions and clean water / Destroy nuclear / Destroy boring." Ja, im supersauberen Schweden kann man schon einmal ein wenig unrund bezüglich der Gesamtsituation laufen: "This country makes it hard to fuck." Mit "destroy nuclear" ist übrigens die "nuclear family" gemeint. Die traditionelle Kleinfamilie als laut Dreijer Kern allen Übels im Kapitalismus muss demnach zerstört werden. Ein Anliegen, das sich durch das gesamte Werk von Fever Ray und The Knife zieht.

Schon gemeinsam mit Zwillingsbruder Olof Dreijer versuchte sich Karin im Duo The Knife von den Nullerjahren herauf bis zuletzt auf dem ebenfalls von Gender Studies, feministischem und queerem Rüstzeug unterfütterten Album Shaking the Habitual (2013) als verstörende Kraft im Elektronikgenre. Die meisten Leute werden Fever Ray allerdings dank des Titelsongs der Fernsehserie Vikings kennen: If I Had A Heart.

Auf Fever Rays neuem Album Radical Romantics kommt es noch dazu zu einer im Titel steckenden Wurzelbehandlung in Sachen Libido und der gern mit ihr assoziierten "Liebe". Vom promiskuitiven Tinder-Knutschen oder unschuldigen Blümchensex über Tachteln in der strengen Kammer bis zur "Higher Love" mit den berühmten Flugzeugen im Bauch ist alles möglich.

Fever Ray

Als zweifache Helikoptermutter, die einst ihre Elternschaft noch binär begann, dient die Liebe Dreijer als eine Versuchsanordnung mit offenem Ausgang. Im Falle ihres aktuellen Songs Even It Out geht es etwa darum, dass man die Kinder der 47-jährigen Dreijer in der Schule nicht ungestraft mobbt. Liebe wird dann kälter als der Tod: "This is for Zacharias / Who bullied my kid in high school / There’s no room for you / And we know where you live / One day we might come after you / Taking back what’s ours – and then we cut, cut, cut, cut!" Der nächste Elternsprechtag wird spannend.

Nach einer Sendbotin des Untergangs mit Pestmaske oder einer körperlich wie eine Wachskerze zerrinnenden Person mit monströser Gummimaske wählt Karin Dreijer aktuell ein genderfluides glatzköpfiges Alien mit von grünem Blut unterlaufenen Augen als Bühnenidentität. Produziert haben die Stücke neben Bruder Olof Dreijer unter anderen auch Trent Reznor und Atticus Ross von Nine Inch Nails. Niemand lacht. Das Blut gefriert. (Christian Schachinger, 14.3.2023)