Das war eine normale Überfahrt, sagte der Kapitän, nachdem die Drake-Passage fast geschafft war. Schlimmer geht natürlich immer auf dieser berüchtigten Meeresstraße, die über die Jahrhunderte zum Schiffsfriedhof geworden ist. "Unser Schiff ist mit der modernsten Technik ausgestattet, um die Überfahrt möglichst sicher zu machen", sagte Bent Ivar Gangdal, ein drahtiger Mann, dessen trockener Humor in über 20 Jahren Seefahrt geformt wurde. Aber Ozean bleibe eben Ozean, und die Drake-Passage nehme da eine besondere Stellung ein, die man nie unterschätzen dürfe. "Wenn man an die Entdecker denkt, die hier mit Segelschiffen durchgekommen sind: absolut verrückt. Die wussten nicht, worauf sie sich einließen. Was sicher besser so war."

In kompletter Stille ziehen eisige Landschaften an den Bullaugen vorbei, die See ist zwischendurch spiegelglatt.
Collage: Tobias Burger, Lukas Friesenbichler, Foto: Getty Images

Sieben bis acht Meter hohe Wellen, die von allen Seiten kommen, reichen aus, ein 140 Meter langes und 23,6 Meter breites Schiff durchzuwogen. Als Passagier ist es sozusagen – auch wenn man in einer komfortablen Kajüte und nicht wie in alten Zeiten in einer Hängematte oder Koje reist – der Preis, den man zahlt, um in die Welt des Eises und der Ewigkeit zu gelangen. Das Wogen der Wellen schiebt sich in den Kopf, in den Magen, die Sinne lahmen, die Orientierung ist dahin. Und dann nach rund 600 Seemeilen und zwei Tagen auf der MS Fridtjof Nansen wähnt man sich plötzlich in einem Wachtraum.

Eingehend vorbereitet

Aus dem grauweißen Schleier aus Nebel, Wolken, Regen und Gischt schälen sich am Morgen weiße Felsen und Hügel heraus, eine unwirkliche karge und raue Landschaft, wie aus einem Fantasyfilm. Winter Island heißt die Insel, die sich nahezu an der nördlichen Spitze der Antarktischen Halbinsel befindet, die wiederum rund 1.200 Kilometer wie ein gekrümmter Wurm aus dem antarktischen Kontinent herausragt und sich der Südspitze Südamerikas entgegenreckt.

Der Blick in den Orne Harbour mit der MS Fridtjof Nansen in der Bucht. Dort befindet sich eine große Kolonie von Zügelpinguinen.
Foto: Ingo Petz

Es ist die erste Station dieser Reise, und augenblicklich machen sich Geschäftigkeit und Vorfreude auf die ersten Landgänge auf dem Schiff breit, auf dem sich 345 Gäste aus 31 Nationen und 153 Crewmitglieder befinden. Viele von ihnen steigen über die Treppen hinunter zu Deck 3, wo sich später auch die Gäste in Gruppen organisiert treffen werden, um ihren ersten Landgang anzutreten.

In schweren gelben Regenanzügen und mit breiten Schutzbrillen auf den Köpfen sehen sie aus wie Astronauten, hier sind sie nun die Antarktonauten. Schlauchboote werden zu Wasser gelassen, andere sind bereits auf dem Weg zu den Landungsstellen, wo Wege abgesteckt und gesichert werden müssen.

Während der Überfahrt wird der Gast auf diese Landgänge eingehend vorbereitet, was man darf und was man nicht darf – sitzen zum Beispiel, um keine Parasiten einzuschleppen, auch Essen muss an Bord bleiben, zu vorbeiwatschelnden Pinguinen mindestens fünf Meter Abstand halten, nichts mitnehmen, auch keinen noch so kleinen Stein. Zudem muss man die Kleidung, die man trägt, mit einem Vakuumsauger reinigen, um möglichst keine störenden Partikel in die so fragile Natur zu tragen. Man erhält spezielle Gummistiefel, die nach Ende der Fahrt von den Gästen penibel gereinigt werden.

Wissenschaft zum Teilen

Grundsätzlich werden Passagiere auf dem Weg in die Antarktis thematisch eingeschworen, von Experten in der Crew und von Wissenschaftern an Bord. Sie werden eingeladen, damit sie ihr Wissen mit den Gästen teilen. Gleichzeitig können sie die Fahrt für ihre Forschungsprojekte nutzen. So gibt es Vorträge und Inputs zur Entstehung der Antarktis, zur Zeit der großen Erforscher, über Packeis oder Eisberge, dazu, welche Arten von Pinguinen es gibt, welche Vogelarten und Robben, welche Auswirkungen der Klimawandel hat, oder auch über die Bestände des Krills, dieser kleinen Supergarnele, die in einer direkten Nahrungskette zwischen Walen und dem sauerstoffproduzierenden Phytoplankton steht und der Schlüssel zu einem komplexen Ökosystem ist.

In Workshops kann man Navigation lernen oder erfahren, was Pinguinfedern von den Federn anderer Vögel unterscheidet. Gäste können sich direkt an sogenannten Citizen-Science-Programmen beteiligen, Vögel und Wale identifizieren, fotografieren. Manche haben sogar das Glück, mit den Wissenschaftern hinausfahren zu können, um Buckelwale zu beobachten und DNA-Proben zu nehmen, damit sich nachverfolgen lässt, welche Wale wo in der Welt unterwegs sind.

Manche haben sogar das Glück, mit den Wissenschaftern hinausfahren zu können, um Buckelwale zu beobachten und DNA-Proben zu nehmen.
Foto: Ingo Petz

Susana Caballero erforscht die Gruppe von Buckelwalen, die vor der kolumbianischen Küste – in der Fachsprache Breeding Stock G – ihre Jungen zur Welt bringt und dann den weiten Weg in die Antarktis macht, um sich dort, im Krill-Schlaraffenland, Fett und damit Energie anzufressen. "Da vorn, auf 14 Uhr, ein Wal!", ruft sie. In der Ferne erheben sich weiße Felsen und Gletscherwände. Der Fahrer nimmt Kurs auf, bremst ab, um die Wale nicht zu erschrecken. Kein Wal mehr zu sehen, abgetaucht. "Wahrscheinlich ist es eine Mutter mit ihrem Kleinen, die vorsichtig ist." Bei dieser Fahrt gelingt es nicht, eine DNA-Probe zu ergattern. "Für unsere Forschungen sind diese Fahrten mit Hurtigruten unglaublich wichtig", sagt Susana. "Wissenschaft hat nicht immer so viel Geld, in Kolumbien kann man sonst nur mit den Forschungsschiffen der Navy in die Antarktis, und dort sind die Plätze begrenzt."

Kein Halligalli

Bei dieser Reise ist auch eine Gruppe von Studierenden der Meeresbiologie der schottischen Universität St. Andrews an Bord, deren Daten zu den Walbeobachtungen in ein Projekt fließen, das auswertet, wo sich die meisten Wale an der Antarktischen Halbinsel aufhalten und welche Wege sie bei ihren Futterzügen nehmen. Diese Daten gehen auch an die IAATO, den Internationalen Verband der Antarktis-Reiseveranstalter, um wiederum Strecken für die Schiffe festzulegen, damit sie den Walen möglichst nicht zu nahe kommen.

Halligalli wie Theater oder Konzerte gibt es an Bord nicht, alles ist darauf ausgerichtet, die Antarktis und ihren Wert kennen und schätzen zu lernen. Dazu gehört aber auch, dass man sich auf dem Explorer Deck in einen Sessel lehnen und in die blau und grün schimmernden Gletscher und von Eis bepackten Berge des Lemaire-Kanals eintauchen kann, wie in einem Kino. Und immer dann, wenn irgendwo ein Buckelwal oder ein Orca gesichtet wird, geht ein Rufen, dann ein Raunen durch das Schiff. "Da, Steuerbord, zwei, drei Wale!" Handys und Kameras werden gezückt, Augen leuchten wie zu Weihnachten, und dann wird es auch schon ganz still, wenn alle den Walen hinterherstarren, als würde man so Verbindung aufnehmen können mit einer anderen Zeit, die viele Millionen Jahre zurückliegt, als alles entstand.

Eis und Tränen

Viele Forscher, die dem Eis und dieser Natur auch in brutalen Überlebenskämpfen ausgesetzt waren, haben ihre Zeit in der Antarktis als eine göttliche, spirituelle Erfahrung beschrieben. Manchmal ertappt man sich selbst dabei, wie einen im Angesicht dieser erschlagenden Natur die Tränen in die Augen schießen, plötzlich und unvermittelt.

Die 1957 errichtete argentinische Notunterkunft Bahia Dorian am Damoy Point auf der Antarktischen Halbinsel.
Foto: Ingo Petz

Diese Euphorie wird vor allem vor der Anlandung spürbar, wenn man sich die drei, vier Schichten Klamotten überzieht, in die Gummistiefel steigt und dann mit pochendem Herzen Richtung Ableger stapft. Und dann an Land, wenn einem die Stille im Kopf dröhnt, der kalte Wind ins Gesicht schneidet und man den krächzenden Esel- oder Zügelpinguinen bei ihrem banalen Alltagsgeschäft zusehen kann. Die Landgänge sind durch die Vorgaben der IAATO streng reguliert. Auch wenn Sommer auf der Südhalbkugel herrscht – von November bis März ist überhaupt die einzige Zeit, in der solche Schifffahrten möglich sind, da sich dann das Packeis zurückzieht –, sind die Landgänge ein Glücksspiel. "Das Wetter kann sich quasi von jetzt auf gleich ändern", erklärt Torstein Gaustad, der Expeditionsleiter mit der Energie eines Duracell-Häschens. "Wir müssen die meteorologischen Daten immer gut im Blick haben, um die Landgänge möglich zu machen. Das geht nur in den Slots, die uns die IAATO zur Verfügung stellt."

Frage des Gewissens

Es kann also sein, dass an manchen Tagen keine Landungen möglich sind, weil die See zu rau ist, weil es zu stark regnet oder stürmt. Auf dieser Reise ist das Wetter gnädig: An fünf Tagen, die zwischen Winter Island, Orne Harbour, Damoy Point, Cuverville Island und der Telefon Bay von Deception Island liegen, gibt es jeweils mindestens einen Landgang, manchmal sogar zwei.

Natürlich ist so eine extreme Reise in Zeiten des Klimawandels eine Frage des Gewissens: die langen Flüge, und trotz aller strengen Regeln begibt man sich in eine fragile Natur. Die Zahl der Touristinnen und Touristen, die in die Antarktis aufbrechen, steigt – ausgenommen von den Covid-Jahren. Waren es 2012/13 noch 34.316, stieg die Zahl bis 2019/20 auf 74.381. Andererseits ist der Mensch anscheinend so gebaut, dass er Dinge vor allem verinnerlicht, wenn er sie selbst sieht und spürt.

Motoren und Bildschirme

Angesprochen auf dieses Gewissensdilemma, bekam man an Bord vor allem dies von so manchem Gast zu hören: "Ich habe hier Dinge gesehen, die kaum jemand zu Gesicht bekommt. Und ich hoffe, dass ich durch das Gelernte dazu beitragen kann, das Verständnis für den Schutz dieser Natur auch bei meinen Freunden und Bekannten zu stärken." Dieser nicht zu unterschätzende Effekt hat sogar eine Bezeichnung: Botschaftereffekt.

Neue Maßstäbe in Sachen Nachhaltigkeit: Die MS Fridtjof Nansen war das erste Schiff mit Hybridantrieb, 2019 gebaut.
Foto: Hurtigruten

Hurtigruten ist auch einer der Vorreiter, wenn es darum geht, die Nachhaltigkeitsmöglichkeiten für solche Schifffahrten noch mehr zu erforschen und umzusetzen. Die MS Fridtjof Nansen war das erste Schiff mit Hybridantrieb, 2019 gebaut. In Sachen Nachhaltigkeit setzt es für Schiffe dieser Art neue Maßstäbe.

Es folgt eine Führung, dorthin, wo die Motoren des Schiffs untergebracht sind. Die technische Überwachungszentrale befindet sich in einem kleinen Raum, in dem sehr viele Bildschirme hängen. "Natürlich brauchen wir weiterhin Marinediesel", erklärt Chefingenieur Jan Robin Pettersen. "Aber auch durch die Konstruktion des Schiffs verbrauchen wir weniger, und durch unsere Batterieblöcke sparen wir rund 20 Prozent CO2-Emissionen ein." Er zeigt auf ein großes Display. "Wir haben auch ein spezielles Abwassermanagementsystem, mit dem wir Nutzwasser selbst reinigen und aufbereiten und Meerwasser entsalzen können."

Kälte wie Nadeln

Irgendwann heißt es Abschied nehmen. Auf Deception Island erklettern die Passagiere die Caldera eines Vulkans. Der weite Blick hinaus über das weite Wasser, in das sich der Himmel hineinzusenken scheint, schiebt sich in die Herzkammer der Erinnerungen. Am Ende dieser Tour heißt es: Gewand ausziehen und ab ins eiskalte Wasser. Nur die Socken bleiben an, damit man sich von der thermischen Hitze, die hier durch die Erde aufsteigt, nicht die Füße verbrennt.

Kurz taucht man ein, augenblicklich schießt die Kälte wie Nadeln in den Körper. Das Herz bebt, man schaut sich um, und man weiß nicht, wohin mit sich selbst. In der Ferne erahnt man ein paar Robben, wie sie sich an Land laben und offensichtlich kein Interesse an den Gästen haben, die sich wie aufgekratzte Pinguine aus einer anderen Welt benehmen. (RONDO, Ingo Petz, 18.3.2023)