Neu-Delhi gilt seit einigen Jahren als die Hauptstadt mit der schlechtesten Luft der Welt. Die hohe Luftverschmutzung ist für eine hohe Zahl vorzeitiger Todesfälle verantwortlich. Im Winter erreicht die Feinstaubbelastung Werte von mehr als 500 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Zum Vergleich: Peking ist ebenfalls smoggeplagt, kommt aber auf nur 70 Mikrogramm Partikel pro Kubikmeter. In Wien sind es acht bis 28 Mikrogramm. Die WHO empfiehlt zehn Mikrogramm, als Grenzwert gilt bei uns 35 Mikrogramm.

Der von Smog verhüllte Akshardham-Tempel in Neu-Delhi in diesem Winter. Die Feinstaubwerte in der indischen Hauptstadt sind weit jenseits aller Grenzwerte und erreichten zuletzt fast 600 Mikrogramm pro Kubikmeter.

Das Seltsame bei den Werten in Neu-Delhi ist, dass sie in der Nacht am höchsten sind. "Die chemischen Prozesse, die nachts in der Luft ablaufen, sind einzigartig in der indischen Hauptstadt und wurden bisher nirgendwo sonst auf der Welt beobachtet", sagt Imad El Haddad, Atmosphärenchemiker am Paul-Scherrer-Institut in Villingen in der Schweiz.

Mit einem Forschungsteam des Labors für Atmosphärenchemie am PSI gemeinsam mit indischen Forschenden (unter anderem vom Indian Institute of Technology) hat El Haddad nun den Auslöser für die hohen Feinstaubwerte ermittelt.

Holz- und Plastikverbrennung

Die Messungen für die Studie, die nun im Fachblatt "Nature Geoscience" erschien, wurden im Jänner und Februar 2019 durchgeführt. Die nächsten gut drei Jahre dienten der Auswertung. Das Hauptergebnis: Ursache für die Feinstaubkatastrophe sind – nicht ganz überraschend – die Dämpfe, die bei der Holzverbrennung entstehen. Das Verbrennen von Holz ist für rund 400 Millionen Menschen in der indischen Ganges-Tiefebene eine gängige Praxis bei Kochen und Heizen. Da es dafür keine Beschränkungen gibt, werden auch andere Dinge als Holz verbrannt, manchmal auch Plastik und andere Abfälle.

Überraschend sind aber die Prozesse der Feinstaubentstehung. Bei solchen Bränden entsteht ein Gasgemisch mit unzähligen chemischen Verbindungen, beispielsweise Kresol, das unsere Nase als typischen Brandgeruch wahrnimmt, sowie zuckerähnlichen Molekülen aus der verbrannten Zellulose im Holz. Diese Moleküle sind mit bloßem Auge in der Luft nicht zu erkennen, auch nicht in hohen Konzentrationen.

Mit Einbruch der Nacht sinkt die Temperatur in Neu-Delhi jedoch so schnell, dass einige der Gasmoleküle kondensieren und sich innerhalb weniger Stunden zu Partikeln von bis zu 200 Nanometern zusammenballen, die als grauer Dunst wahrgenommen werden können. "Die Kondensation von einem Gas zur Partikelphase ähnelt der Bildung von Wassertröpfchen auf Küchenoberflächen, wenn man kocht. Die Partikel in der Atmosphäre wirken wie große Oberflächen, an denen Gase kondensieren können", sagt Lubna Dada, Atmosphärenwissenschafterin am PSI und eine der Co-Autorinnen der Studie.

Andere Partikelbildung als in Peking

In Peking kommt es auf andere Weise zur Partikelbildung: Dort reagieren die Gase aus Emissionen von Verkehr und der Verbrennung von Holz tagsüber in der Atmosphäre, wenn sie dem Licht ausgesetzt sind. Das führt zur Bildung von weniger flüchtigen Arten von Dampf, die während des Dunstes Partikel bilden können. Solche Prozesse wären eigentlich auch für Neu-Delhi zu erwarten, aber das Gegenteil ist der Fall.

Die Dunstbildung aus der Kondensation direkt emittierter Dämpfe erfolgt dort nachts ohne Photooxidation, angetrieben durch erhöhte Emissionen in Verbindung mit einem starken Temperaturrückgang. "Wir haben zum ersten Mal gezeigt, dass halbflüchtige Gase nachts solche Partikel bilden können und zur Dunstbildung beitragen", fügt El Haddad hinzu.

Mehr Bewusstsein für die Luftqualität

Immerhin: Das Bewusstsein für die Schwere der Luftverschmutzung hat in Indien zuletzt zugenommen, und das Land hat ein ehrgeiziges Programm für saubere Luft initiiert. In dem von der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit finanzierten Projekt haben sich die PSI-Forschenden mit lokalen Forschenden zusammengetan und ihr Wissen in beide Richtungen geteilt, um die Quellen der Luftverschmutzung zu ermitteln.

Bis das Problem gelöst wird, dürfte aber noch viel Wasser den Ganges hinunterfließen. "Wir haben noch einen langen Weg vor uns, um die Luftqualität zu verbessern", sagt Imad El Haddad, "denn das setzt soziale Veränderungen und ein allgemeines öffentliches Bewusstsein voraus." (red, 13.3.2023)