Alles "Untergangsirrsinn"? Bundeskanzler Karl Nehammer teilte bei seiner Rede am Freitag gegen Klimaaktivismus aus.

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Es waren umstrittene Worte, mit denen Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am vergangenen Freitag in seiner Rede an die Nation aufhorchen ließ. In Bezug auf den Klimaschutz sagte er: "Es gibt mittlerweile herausragende Autoren, die ganz bewusst zeigen, dass dieser Untergangsirrsinn nirgendwo hinführt." Viel wichtiger sei es, "Perspektiven für Menschen" zu schaffen, "sodass Win-win-Situationen entstehen können".

Wer sind diese "herausragenden Autoren", von denen Nehammer spricht? Jene, die angeblich einen Weltuntergangsirrsinn belegen? DER STANDARD hat das Kanzleramt um eine Leseliste gebeten, aber keine Antwort bekommen.

"Weltuntergangsirrsinn"

Im sogenannten Kanzlergespräch am vergangenen Wochenende und via Twitter wurde aber zumindest einer der Namen publik, auf die Nehammer sich bezogen hatte: der konservative US-Klimapublizist Michael Shellenberger. Er ist Autor eines vieldiskutierten Buches aus dem Jahr 2020, "Apocalypse Never".

Darin schreibt Shellenberger gegen den angeblichen "Umweltalarmismus" der Klima- und Umweltschutzbewegung ebenso an wie gegen "Umweltkolonialismus" – also das Eingreifen der westlichen Welt in die Belange des Globalen Südens, vorgeblich aus Umwelt- und Klimaschutzgründen.

Shellenberger ist mit solchen Positionen kein Einzelkämpfer, sondern gehört, wenn man so will, einer Denkschule an. Sie hat sich in den USA um einen Thinktank in Oakland, Kalifornien organisiert: das Breakthrough-Institut ("Durchbruch"). Die Vertreter dieser Geisteshaltung nennen sich "Ökomodernisten". Shellenberger, selbst ehemaliger Waldschützer und PR-Fachmann, zählte im Jahr 2002 als damals 37-Jähriger zu den Mitgründern des Breakthrough-Instituts.

Durchbruch durch Innovation?

Zu den selbsterklärten Ökomodernisten zählen neben Shellenberger etwa der US-Autor Ted Nordhaus und der US-Dokumentarfilmer Robert Stone. Aber was wollen sie genau? Das zeigt ein Dokument, dass im Jahr 2015 mit großem Tamtam präsentiert wurde: das "Ökomodernistische Manifest". Zentraler Satz darin: "Technologische Prozesse sind für die wirtschaftliche Modernisierung und den Umweltschutz von zentraler Bedeutung."

Die Ökomodernisten leugnen die menschengemachte Erderhitzung nicht. Auch stellen sie die Notwendigkeit von Klimaschutz nicht grundsätzlich infrage (Es brauche "eine CO2-freie Welt mit kleinem Fußabdruck", liest man im Manifest). Aber: Es brauche dafür keinerlei politische Regulierung. Die Politik solle nicht verbieten und vorschreiben, sondern sich lediglich darauf beschränken, zukunftsträchtige Technologien zu fördern.

Der Wirtschaft ihren Lauf lassen

Man müsse der Wirtschaft ihren Lauf lassen, argumentiert Ökomodernisten wie Shellenberger. Immerhin seien die Computer auch nicht deshalb hochgekommen, weil die Regierung eine Steuer auf Schreibmaschinen einführte, erklärte er im Jahr 2009 im Gespräch mit dem US-Radio NPR. Und dass Internet entstand nicht, weil die Regierung Telegrafen verteuerte.

Diese Haltung gießen Shellenberger und die Ökomodernisten in vielgelesene Sachbücher und tingeln damit durch Talkshows konservativer TV-Sender, beispielsweise Fox News. Konkret wird im Ökomodernistischen Manifest für den Ausbau der Solarkraft und Atomkraft plädiert, um das Klima-, Umwelt- und Biodiversitätsproblem unserer Ära zu lösen. Daneben verspricht man sich von der Kernfusion und von CO2-Abscheidungstechnologien große Potenziale.

Eine amerikanische Ideologie

"Amerikaner lieben das", erklärte Shellenberger einst auf Radio NPR die Motivation für sein Engagement. "Das ist, was Amerikaner tun; das ist ein großer Teil von dem, was wir sind: Wir erfinden Zeug." Innovation statt Alarmismus, dieses Motto zieht sich seit vielen Jahren durch die Kommunikation der Ökomodernisten.

Allerdings: Mit Verweis auf die immer höhere CO2-Konzentration in der Atmosphäre und die rapide zunehmenden Temperaturen, Hitzetage und -jahre weist die überwiegende Mehrheit der Klimaforscher die Weltsicht der Ökomodernisten scharf zurück. Ein bisschen Technologieförderung reicht bei weitem nicht, um das Weltklima zu retten. Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku), nennt Vorstöße à la Shellenberger "völlig verrückt": "Das steht einem wissenschaftlichen Konsens diametral entgegen, der sich längst etabliert hat."

Auch der Weltklimarat IPCC konstatiert: "Innovation und selbst schneller technologischer Wandel werden nicht genug sein, um die Paris-Ziele zu erreichen. Es sind weitere Veränderungen in den Bereichen Produktion und Konsum notwendig, wie auch Verhaltensänderungen."

Fragwürdige Finanzierung

Es ist aber nicht nur die Ideologie, die die Gegner der Ökomodernisten auf den Plan ruft. Moniert wird auch immer wieder, dass der Thinktank verstecktes Lobbying im Sinne seiner Sponsoren betreibe. Beispielsweise betont das Institut immer wieder das zukunftsträchtige Potenzial der industrialisierten Landwirtschaft – und erhielt zugleich lange Zeit Spenden von der US-amerikanischen Nathan Cumming Foundation, die der US-Lebensmittelindustrie nahesteht.

Der US-Umweltjournalist Paul D. Thacker warf dem Thinktank im Jahr 2014 nicht nur "mangelnde intellektuelle Strenge" vor. Er sei auch "eine Quasi-Lobbying-Organisation mit wenig Transparenz im Finanzierungsbereich". (Joseph Gepp, 14.3.2023)