Im Jahr 2021 gaben die Eidgenossen laut einer Aufstellung der Allianz pro Schiene pro Einwohner 413 Euro für Bahninvestitionen aus.

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Wer mit einem ICE der Deutschen Bahn in die Schweiz reist, dem droht doppeltes Ungemach. So muss ein Passagier mit der fast obligaten Verspätung innerhalb des deutschen Streckennetzes rechnen. Sobald diese Verzögerung eine bestimmte Dauer überschreitet, verweigern die Schweizer dem deutschen ICE die Einfahrt nach Basel SBB. Für den ICE ist dann Endstation in Basel Badischer Bahnhof, den die Deutsche Bahn betreibt.

Umgekehrt kommt es so gut wie nie vor, dass die Deutschen einem aus der Schweiz kommenden Zug die Einfahrt nicht gestatten. Der Grund: die beeindruckende Pünktlichkeit der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), deren Anfänge mehr als 175 Jahre in der Vergangenheit liegen. Das Einhalten der Fahrpläne gehört zum Selbstverständnis der SBB und prägt auch das Image der ganzen Schweiz mit: eines Landes, in dem vieles nahezu perfekt funktioniert.

Die Zuverlässigkeit der SBB hat jedoch ihren Preis – das staatliche Unternehmen steckt tief in den roten Zahlen und fährt Verluste im dreistelligen Millionenbereich ein. "Die finanzielle Situation bleibt angespannt", mussten die SBB bei der Bilanzvorstellung für 2022 am Montag einräumen.

Strenges Sparprogramm

Die verzinsliche Nettoverschuldung der SBB stieg voriges Jahr auf 11,38 Milliarden Schweizer Franken an (11,65 Milliarden Euro). Das Jahresergebnis blieb 2022 mit minus 245 Millionen Franken erneut negativ: In den beiden Jahren zuvor beliefen sich die Verluste auf 325 beziehungsweise 617 Millionen Franken. Privatfirmen kämen bei diesen Zahlen in Absturznähe. Um wieder in die Spur zu kommen, wollen die SBB bis 2030 rund sechs Milliarden Franken einsparen, etwa durch mehr Digitalisierung.

Mit ihren Pünktlichkeitswerten belegen die Schweizer im europäischen Vergleich regelmäßig einen Spitzenplatz – weit vor der Deutschen Bahn. Doch warum hängen die SBB die anderen Eisenbahngesellschaften so deutlich ab? Eine Kombination aus guter Organisation und regelmäßigen Investitionen garantiert hauptsächlich den nahezu reibungslosen SBB-Verkehr.

Strukturiert wird der gesamte Betrieb der SBB seit 1982 durch den Taktfahrplan. Der SBB-Ingenieur und Tüftler Samuel Stähli hatte die Grundzüge für den Taktfahrplan entworfen und damit die Schweizer Wesensart, pünktlich zu erscheinen, in ein bis heute gültiges Mobilitätskonzept überführt.

Ein Herz für die Bahn

Zudem spielen Emotionen und das Geld bei den südlichen Nachbarn eine gewichtige Rolle: Die Schweizer lieben ihre pünktliche Bahn. Entsprechend großzügig handelt die Regierung, der Bundesrat: "Die Politik hat ihr Herz für die Bahn schon oft unter Beweis gestellt", analysiert die liberale "Neue Zürcher Zeitung", die das Finanzgebaren der SBB kritisch begleitet. "Es gehört zur Tradition helvetischer Verkehrspolitik, dass der Bundesrat große Pakete für den Bahnausbau präsentiert, die daraufhin vom Parlament weiter vergrößert werden."

Kein Wunder, dass die Schweiz bei den staatlichen Investitionen in das Schienennetz europaweit regelmäßig vorn liegt: Im Jahr 2021 gaben die Eidgenossen laut einer Aufstellung der Allianz pro Schiene pro Einwohner 413 Euro aus und erklommen den zweiten Platz. Einen ersten Platz sicherten sich die Schweizer mit dem 2016 eröffneten Gotthard-Basistunnel, der die Reisezeit von Nord- nach Südeuropa verkürzt. Mit 57 Kilometern bohrten sie den längsten Eisenbahntunnel der Welt. (Jan Dirk Herbermann aus Genf, 15.3.2023)