Hetero-Paare gelten noch immer als die Norm – alle anderen als das "Spezielle".

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Warum sind Sie eigentlich heterosexuell? Auf diese Frage würden Menschen in der Regel verblüfft reagieren – oder sich sogar angegriffen fühlen, schreibt die deutsche Soziologin Nina Degele. Heterosexualität gelte in unserer Gesellschaft schließlich als "normal", sie ist nicht bloß häufig, sondern der Standard, wird erwartet und muss somit auch nicht erklärt werden. So können wohl auch die wenigsten Menschen den Moment benennen, der ihnen die eigene heterosexuelle Neigung bewusst machte, oder sich daran erinnern, wann sie erstmals öffentlich über ihre Heterosexualität gesprochen haben.

Gesellschaftliches Wertesystem

Ganz anders sieht das für homo- und bisexuelle Menschen aus. Trotz fortschreitender rechtlicher Gleichstellung stellen sie nach wie vor die Abweichung der Norm dar.

Der Begriff der Heteronormativität beschreibt dieses gesellschaftliche Wertesystem und setzt bei den Geschlechtern an. Im heteronormativen Denken existieren nur zwei Geschlechter, Mann und Frau, die sich auf vermeintlich natürliche Weise aufeinander beziehen: Sie gehen heterosexuelle Paarbeziehungen ein.

Glückliche Hetero-Paare lachen uns ganz selbstverständlich auf Werbeplakaten entgegen, ist dort ein lesbisches oder schwules Paar zu sehen, handelt es sich meist um "spezielle" Angebote für die LGBTIQ-Community.

Geschichte der Verfolgung

Eine zunehmende Sichtbarkeit von Lebensformen, die nicht der Norm entsprechen, birgt auch Sprengkraft in sich – denn das binäre Geschlechtersystem und die heterosexuelle Familie stabilisieren eine patriarchale Ordnung. So attackieren Rechte und fundamentalistische Christen auch Feminismus ebenso wie die Ehe für alle oder rechtliche Verbesserungen für Transpersonen.

Lange Zeit galt Homosexualität als krankhafte Störung und wurde strafrechtlich verfolgt. Erst seit 1971 ist sie in Österreich keine strafbare Handlung mehr, bis 2019 sollte es dauern, bis gleichgeschlechtlichen Paaren auch die Ehe offenstand. Der Staat und seine Institutionen privilegierten also eine heterosexuelle Lebensweise. Heteronormativität wirkt nicht bloß individuell, sondern ist auch strukturell angelegt, betont Soziologin Degele.

Beleidigungen bis hin zu tätlichen Angriffen

Noch immer können sich die meisten Hetero-Paare sicher fühlen, wenn sie händchenhaltend durch den Park spazieren, während queere Paare regelmäßig Beleidigungen bis hin zu tätlichen Angriffen erleben.

Auch wenn es bloß darum geht, ein Familienticket zu lösen, müssen Regenbogenfamilien sich immer noch erklären, Pärchen-Angebote werden mit "Für Sie und Ihn" beworben.

Das Konzept der Heteronormativität hilft dabei, die machtvolle "Natürlichkeit" von Zweigeschlechtlichkeit und heterosexuellem Begehren zu entlarven – auch wenn der Begriff erst mal sperrig daherkommt. (Brigitte Theißl, 14.3.2023)