Ikone der Verwandlung: Wie keine andere verstand es Fotografin Cindy Sherman, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen – und somit Identität austauschbar zu machen.
Foto: Cindy Sherman

Keine Sorge, wir befinden uns nicht im Zirkus. Doch die Bühnenwelt steckt voller Trugbilder, kritischer Wendungen und plötzlicher Verwandlungen. Was bleibt am Ende, wie es eben noch schien?

Die Frühjahrsausstellung On Stage – Kunst als Bühne im Wiener Museum moderner Kunst (Mumok) möchte auf zwei Etagen ins Bühnenhafte entführen: Die 150 Werke – bis auf wenige Ausnahmen stammen sie aus der eigenen Sammlung – stellen performative und aktionistische Kunstformen ab den 1960er-Jahren ins Rampenlicht und spannen sich bis zu Sound- und Rauminstallationen in die Gegenwart. Man erwartet Rollenspiele, theatrale Inszenierungen und natürlich Drama.

Wiener Aktionist Hermann Nitsch bei seiner "1. Aktion" 1962.
Foto: Bildrecht, Wien 2022

Vorerst bestätigt sich diese Erwartungshaltung: Dicht gehängt laden die Wiener Aktionisten wie Hermann Nitsch mit seinem Orgien Mysterien Theater zum körperlichen Fest und werden durch feministische Werke von Valie Export (mit Peter Weibel an der Leine) und Marina Abramović ergänzt. Und in die Gegenwart geholt: Die Skandalperformance "Kunst und Revolution", die 1968 an der Uni Wien für Furore sorgte, wird von der Performancekünstlerin Carola Dertnig gekontert. Auf einer sporadischen Holzbühne sind in der Schau Interviews mit Frauen zu hören, die eine "weibliche Sicht" auf die Aktion werfen.

Geschlechterrollen-Parcours

Eine spannende Betrachtung gelingt im Umgang mit dem umstrittenen Künstler Otto Mühl, der 1991 wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Seine Arbeiten werden hier weder versteckt noch unkritisch gerühmt, sondern von der für die Ausstellung eingeladenen Gruppe Mathilda, die aus ehemaligen Kindern der Mühl-Kommune besteht, kontextualisiert. In einer nicht einsehbaren Nische läuft neben einem Video einer von Mühls Aktionen eine Aufnahme, die eine öffentliche Misshandlung eines zehnjährigen Buben zeigt. Der Künstler schikaniert das weinende Kind mitten auf der Bühne.

Nan Goldins Fotografie "James Having His Hair Done Backstage at Jean Colona Show, Paris" aus dem Jahr 1995.
Foto: Nan Goldin

Nebenan setzt die Schau mit gesellschaftlichen Rollenspielen fort: Geschlechter und Identitäten sind im Fluss. Eine beleuchtete Bühne des 1997 an Aids verstorbenen Künstlers Felix Gonzalez-Torres – auf der ab und zu ein Go-go-Tänzer mit Kopfhörern performt – steht für private Autonomie und erinnert an homophobe Verurteilungen. Dazu passend erzählen Fotoserien von Nan Goldin und Wolfgang Tillmans von queeren Subkulturen und der Partyszene der 1990er-Jahre.

Das Hinterfragen von Geschlechterrollen wird zum Parcours. Man hüpft von knalligem Design bei Jakob Lena Knebl (2017) zum umgehängten Backofen bei Birgit Jürgenssen (1975). Und landet bei Fotografin Cindy Sherman, die mit ihren ikonischen Kostümierungen selbst zur Bühne avancierte. So weit funktioniert die Narration der Ausstellung, wobei sie zunehmend zu mäandern beginnt.

Metaphorische Weltbühne: Auf der raumgreifenden Schachbrett-Installation von Anna Boghiguian treten historische Persönlichkeiten auf.
Foto: Klaus Pichler, Mumok

Geschrumpftes Sinnbild

Spätestens nach der raumgreifenden Schachbrett-Installation von Anna Boghiguian, auf der quasi als metaphorischer Weltbühne historische Persönlichkeiten auftreten, schrumpft das Konzept "On Stage" doch zu einem fernen Sinnbild. Ein riesiges Gemälde von Jörg Immendorff drängt das nächste Thema auf: Ja, auch die Kunstszene selbst ist eine Bühne! Die darauf stattfindende – oft männliche – Selbstinszenierung wird in diesem zu umfangreichen Kapitel anhand mehrerer Werke hinterfragt und endet fraglicherweise mit einem Selbstporträt von David Hockney.

Eigentlich wählte Kurator Rainer Fuchs ein vielversprechendes Thema aus, zu dem die Sammlung offensichtlich zahlreiche Werke liefern kann. Anders als bei der letzten Themenschau Das Tier in Dir geht bei der neuen Ausstellung aber der Fokus verloren. Die scheinbare Botschaft: Schaut her, was unsere Sammlung alles hergibt!

Und so wirkt der zweite Teil wie eine bloße Aneinanderreihung von Werken, die trotz der Infotexte nur schwer nachvollziehbar miteinander zusammenhängen. Primär sind es Videoarbeiten, musikalische Aufführungen sowie große Installationen. Manche erinnern zwar physisch an Bühnen oder inszenieren Auftritte vor Publikum. Bei der Videoarbeit The Casting von Omer Fast, in der ein US-Soldat diverse Eindrücke vor laufender Kamera einübt, fehlt aber etwa der inhaltliche Bogen komplett.

Das Bild einer überfüllten Manege scheint kein trügerisches mehr zu sein. (Katharina Rustler, 15.3.2023)