Vom Eisbaden weiß man, dass es depressive Verstimmungen bessern kann. Das liegt an der entzündungshemmenden Wirkung. Auch Autor Bas Kast schwört darauf.

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Das Leben von Bas Kast schien perfekt. Der Wissenschaftsjournalist und Autor hatte 2018 mit seinem Buch "Der Ernährungskompass" mit über einer Million verkaufter Exemplare einen Bestseller gelandet. Geldsorgen und Bangen um den nächsten Vertrag waren damit erledigt, er hatte alles erreicht, wovon viele Autoren träumen. Er hätte überglücklich sein müssen. Und das war er auch – zumindest für ein paar Wochen. Doch dann fühlte er sich zunehmend deprimiert und leer. Irgendwie kam ihm alles sinnlos vor, er fragte sich, ob er schon in einer ausgewachsenen Depression stecke.

Phasen im Leben, in denen man sich niedergeschlagen und energielos fühlt – obwohl es keinen offensichtlichen Grund dafür gibt –, kennen wohl die meisten. Auch für Kast waren solche Phasen grundsätzlich nichts Neues. Auf der Höhe seines Erfolgs wollte er sie aber nicht mehr hinnehmen. Deshalb machte er sich, wie schon für sein Buch "Der Ernährungskompass", auf die Suche nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und hinterfragte die Gründe für Gemütsschwankungen.

Er stieß auf eine Fülle von Ursachen körperlichen und seelischen Ursprungs. Von Ernährung, Sport, Schlaf bis zu Meditation und Psilocybin-Rausch identifizierte er zehn Wege, wie man die Seele stärken kann. Die alle goss er in sein neues Buch "Kompass für die Seele". Im Interview erzählt er, an welchen Schrauben man selbst drehen kann und warum das eine Selbstermächtigung ist.

STANDARD: Sie schreiben darüber, wie man die Seele stärken kann. Doch was ist das überhaupt für Sie, die Seele?

Kast: Für mich ist das ein Begriff, der zusammenfasst, wer wir im Innersten sind. Ein Sammelbegriff für die eigene Persönlichkeit, die Psyche, Gefühle, Gedankenwelt, den eigenen Geist. Das ist für mich nicht unbedingt ein religiöser Begriff, auch wenn er meistens so gedeutet wird.

STANDARD: Warum braucht die Seele Stärkung?

Kast: Schon allein deshalb, weil das für viele nicht selbstverständlich ist. Beim Körper ist allen klar, dass man sich um ihn kümmern sollte, niemand würde fragen, ob der Stärkung braucht, man weiß, dass ihm Bewegung guttut, dass man nicht rauchen, nur wenig oder womöglich gar keinen Alkohol trinken soll. Bei der Psyche geht man aber davon aus, dass diese im Grunde ohne jegliche Übung und bewusstes Zutun rundläuft. Das ist aber nicht zwingend so. Viele Aspekte unseres modernen Lebens, die wir für ganz selbstverständlich halten, sind entwicklungsgeschichtlich alles andere als normal. Etwa dass wir Junkfood essen. Oder viele von uns tagsüber in relativ dunklen Büros sitzen und dadurch viel weniger Tageslicht abbekommen. Dafür sitzen wir dann bis spät nachts vor Bildschirmen. Wir kennen kein Hungergefühl mehr, weil Essen immer verfügbar ist, sind der Kälte und der Hitze nicht mehr ausgesetzt, weil wir in geheizten oder gekühlten Räumen sind. Viele Reize, die immer da waren, spüren wir nicht mehr wirklich.

STANDARD: Das ist alles Teil unserer modernen Welt ...

Kast: Genau, und weil da vieles nicht mehr oder nur noch abgemildert existiert, womit der Mensch über Millionen Jahre zurechtkommen musste, schwächt das allein im Grunde schon die Seele. Die ist ja mit körperlichen Prozessen eng verbunden. Gleichzeitig wird man permanent mit geistigen Reizen überflutet, das ist ein Stresslevel, das entwicklungsgeschichtlich auch nicht normal ist. Da rede ich nicht nur von permanenter Erreichbarkeit im Job, auch Social Media triggert uns. Auf Instagram sieht man ständig irgendwelche Models oder Influencer, die scheinbar das perfekte Leben haben und in Fünf-Sterne-Hotels urlauben. Das ist eine Vergleichsgruppe, die gab es bei den Jägern und Sammlern nicht. Da darf man sich nicht wundern, wenn das auf die Seele abfärbt.

STANDARD: Und wie kann man nun die Seele stärken? Sie schreiben viel von Ernährung, Sport und Ähnlichem. Aber es geht doch um die Psyche?

Kast: Ja, aber die körperliche Gesundheit hat starken Einfluss auf die Psyche, das geht ineinander über. Zum Beispiel können Entzündungsprozesse im Körper aufs Gemüt schlagen, ebenso ein Vitamin-D-Mangel oder auch, wenn man Verdauungsprobleme hat. Ob zum Beispiel der Hebel über die Ernährung der erste Ansatz ist oder ob es eher Entspannungsmethoden sind, das ist von Person zu Person unterschiedlich. Es geht darum, im eigenen Leben zu schauen, wie ist mein Lifestyle, wo habe ich Veränderungspotenzial, und dann probiert man aus, was das bringt.

STANDARD: Aber ein Tief kann ja auch rein psychischen Ursprung haben ...

Kast: Natürlich, ein Trauma in der Kindheit zum Beispiel, die Folgen einer autoritären Erziehung oder weil man Glaubenssätze hat, etwa dass man so, wie man ist, nicht gut genug ist. Das können unbewusste Annahmen sein, die tief in uns drin stecken. Im Idealfall findet man den Kern der Ursache und behebt sie. Aber das ist in der Praxis nicht so einfach. Deshalb kann man versuchen, an vielen kleinen Schrauben zu drehen.

Im Buch "Kompass für die Seele" (Bertelsmann) stellt Wissenschaftsautor Bas Kast zehn Ansätze vor, die bei psychischen Problemen helfen können.

STANDARD: Das heißt, es ist ein Ausbalancieren aus körperlichen und seelischen Ursachen?

Kast: Genau. Mit meinem Buch liefere ich eine Art Werkzeugkoffer mit vielen unterschiedlichen Schlüsseln, je nach Bedarf zieht man sich dann den für sich passenden heraus. Dafür muss man natürlich viel ausprobieren. Man kann täglich eine halbe Stunde spazieren gehen, morgens kalt duschen, man isst mehr fettreichen Fisch fürs Omega 3. Oder man lädt sich eine Meditations-App runter und probiert das eine Weile aus. So tastet man sich heran und findet heraus, was einem guttut. Ich würde dazu raten, das jeweils zumindest zwei oder drei Wochen durchzuhalten und nicht gleich wieder aufzugeben, weil es natürlich ein bisschen dauert, bis man eine Veränderung bemerkt.

STANDARD: Das Bewusstsein dafür, dass auch die Psyche Stärkung braucht, ist viel größer geworden, aber immer noch sagen viele: Ich brauche das nicht, mir geht es gut. Soll Ihr Buch da ein Anschubser sein?

Kast: Ich halte wenig davon, jemandem etwas aufzudrängen. Im Grunde erreicht man Menschen nur, wenn sie eine gewisse innere Bereitschaft haben zur Veränderung, wenn sie selbst schon gemerkt haben, da passt etwas nicht. Das gilt für Lifestyle und Psyche. Hätte man mir mit 30 gesagt, ich muss auf meine Ernährung achten, dann wäre das verpufft, weil ich keinen Leidensdruck hatte. So tragisch das klingt, aber erst wenn wir merken, dass etwas schiefläuft, werden wir neugierig, wie man das ändern kann.

STANDARD: Ihr Zugang zur Psyche ist recht praktisch. Da ist ein Problem, wie kann ich das lösen. Aber ist es nicht oft viel komplexer?

Kast: Für mich ist wichtig, dass ich auch selbst Möglichkeiten in der Hand habe, etwas zu ändern, und nicht von anderen abhängig bin. Das ist eine Art Ermächtigung, die guttut, das gibt einem ein großes Gefühl der Zuversicht. Deshalb habe ich mich auch so intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt, und es ist verblüffend, wie weit ich damit gekommen bin. Auch wenn es viele Monate gedauert hat, bis ich selbst eine echte Veränderung bemerkt habe. Wenn der Verdacht einer echten Depression besteht, was bei mir, glaube ich, nicht der Fall war, würde ich aber schon raten, sich professionelle Hilfe zu suchen. Da ist ein zentraler Ansatz etwa die kognitive Verhaltenstherapie. Die versucht, zu tiefsitzenden Glaubenssätzen vorzudringen und sie zu verändern.

STANDARD: Ihre Werkzeuge sind Ernährung, Bewegung, Nährstoffe, Mediation und Ähnliches. Fast nichts davon ist per se neu. Warum schreiben Sie trotzdem darüber?

Kast: Klar, jeder weiß, dass Brokkoli gesund ist und dass manche Nährstoffe guttun, man weiß auch, wie man Stress abbauen kann, theoretisch. Aber es ist für Laien, wie ich es ja auch bin, schwer, die Details zu kennen, da bin ich bei der Recherche auf viel für mich Neues gestoßen. Etwa was Substanzen wie Kurkuma bewirken können oder wie die Wirkmechanismen bei Meditation sind. Bei Depressionen etwa kann der Hippocampus im Gehirn schrumpfen. Und dasselbe Phänomen hat man bei Junkfood-Liebhabern entdeckt. Das umgekehrte Phänomen sieht man bei Menschen, die sich nach der Mittelmeerkost ernähren, das kann handfeste Depressionen heilen. Oder es gibt eine in Nature publizierte Studie, die zeigt, dass Safran die Bildung von Nervenzellen ankurbelt, das kann sogar Depressionen lindern. Und auch gesunde Menschen fühlen sich nach einer Safrankur besser.

Alles, was ich recherchiert habe, ist ja auch mit Studien belegt, das ist mir sehr wichtig. Und es ist ein Unterschied, ob ich einfach sage, gesunde Ernährung kann zu einer guten Stimmung beitragen, oder ob ich genau weiß, was da eigentlich passiert im Gehirn. Auch das ist Selbstermächtigung. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Evidenz sind für viele Menschen ein Ansporn, dass sie Techniken und Methoden wie etwa Meditation oder Yoga ernst nehmen und selbst ausprobieren. Ich habe auch mehr Vertrauen, wenn mir Forschende von Instanzen wie der Johns Hopkins University oder Journale wie Nature oder das New England Journal of Medicine ihre Erkenntnisse darlegen.

STANDARD: Eine Methode, die bei psychischen Problemen derzeit für viel Aufmerksamkeit sorgt, sind psychedelische Trips. Sie haben das selbst auch gemacht. Da hört man eine gewisse Begeisterung über die Erfahrung heraus. Aber so ein Trip kann ja auch gefährlich sein. Braucht es da nicht eine professionelle Begleitung?

Kast: Natürlich muss man da vorsichtig sein, ein Psilocybin-Trip birgt auch Risiken. Man sollte das nicht auf eigene Faust machen, sondern unter Betreuung. Sonst wären die Erkenntnisse, die diese Erfahrung bringen kann, fast verschenkt, man muss das irgendwie verarbeiten. Ich selbst habe das in einem spezialisierten Zentrum in den Niederlanden ausprobiert, und es war tatsächlich faszinierend. Zu dem Thema gibt es auch in der Forschung eine gewisse Aufbruchsstimmung, weil man wirklich positive Studiendaten hat, teilweise erzielt man bessere Erfolge als mit einem herkömmlichen Antidepressivum. Es kann auch posttraumatische Belastungsstörung zum Teil sogar heilen.

Diesen sehr positiven Daten steht eine gewisse Skepsis gegenüber, weil es Drogen sind, dieser Begriff wirkt sehr abschreckend. Aber man darf Psilocybin-haltige Pilze nicht mit Kokain, Crystal Meth oder Heroin in einen Topf werfen. Diese Drogen können wirklich das Leben ruinieren. Ich glaube, hier muss man auch das in den Köpfen verbreitete Bild etwas korrigieren. Insgesamt ist es ein Abwägen. Wenn man so etwas ausprobiert, ist es natürlich ein Risiko. Aber gar nichts zu tun, wenn es einem schlecht geht, ist auch ein Risiko. Deshalb sollte man das nur mit erfahrenen Menschen um sich machen. Und bitte nicht, wenn in der Verwandtschaft Schizophrenie, bipolare Störungen oder ähnliche Krankheitsbilder präsent sind.

STANDARD: Was sind Ihre wichtigsten Tipps, wenn es einem psychisch nicht gut geht?

Kast: Das ist schwer zu sagen, weil der beste Zugang eben sehr individuell ist. Ich würde einmal mein eigenes Leben analysieren und schauen, wo Hebel sind, bei denen ich ansetzen kann. Das wird beim einen die Ernährung sein, beim anderen der Schlaf. Vielleicht ist es aber auch ein finanzielles Problem, das einem permanent durch den Kopf geht. Egal was es ist, dem sollte man sich stellen. Und es gibt wohl nicht den einen großen Gamechanger, eher helfen viele kleine Änderungen im Alltag. Etwas Bewegung, ein bisschen Natur, mehr soziale Kontakte. Man kann auch gewisse Stressoren ausprobieren wie einmal einen halben Tag lang Hunger haben oder Eisbaden. Man muss herumexperimentieren und schauen, was einem passt. Denn nur dann bleibt man auch dabei. (Pia Kruckenhauser, 19.3.2023)