Was ist dran am "Internet der Bäume"? Viele Fragen bleiben offen.
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Die Wurzeln der Bäume sind durch weitläufige Pilzgeflechte miteinander verbunden. Diese Erkenntnis löste in den 1990er-Jahren einen Boom im Forschungsbereich der Waldökologie aus, der bis heute andauert. Man entdeckte Hinweise darauf, dass die unterirdischen Netzwerke dazu dienen könnten, Nährstoffe und Kommunikationssignale zwischen Bäumen auszutauschen. Keimlinge könnten auf diese Art versorgt werden.

Der Idee wurde zum populärwissenschaftlichen Selbstläufer. Analog zum Internet, das die Menschen verbindet, wurde das Sprachbild eines "Wood Wide Web" geprägt. Der Gedanke, dass nicht jeder Baum für sich um Nährstoffe ringt, sondern eine versteckte Kooperation ablaufen könnte, beflügelte die Fantasie. Die Natur ist offenbar noch viel intelligenter und geheimnisvoller, als wir alle ahnen, wird dabei suggeriert.

Nun hat eine detaillierte Arbeit von einem Team um Justine Karst von der Universität Alberta im Fachjournal Nature Ecology and Evolution darauf hingewiesen, dass die wissenschaftliche Faktenlage zum Wood Wide Web längst nicht so klar ist, wie die populärwissenschaftliche Aufarbeitung vermuten lässt. Mehr noch: Auch aus den Zitierungen in wissenschaftlichen Studien war ein Bias, eine Voreingenommenheit zugunsten positiver Effekte im Zusammenhang mit den Pilznetzwerken, ablesbar. Die Wissenschaft ist in dem Fall also nicht ganz unschuldig, dass der Eindruck einer falschen Beweislage entstand.

Symbiosen mit Pflanzen

Welche Erkenntnisse sind also tatsächlich gut abgesichert und welche nicht? Christina Kaiser forscht am Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Universität Wien an ebenjenen Mykorrhizapilzen, die den Boden besiedeln und Symbiosen mit Pflanzen eingehen. "Die Hyphen, die weit verzweigten Fäden der Pilze, können verschiedene Pflanzen miteinander verbinden. Die Möglichkeit zur Vernetzung der Bäume auf diesem Weg besteht also. Man weiß allerdings noch nicht, wie relevant diese potenziellen Netzwerke in der Natur tatsächlich sind", fasst die Ökologin den Forschungsstand zusammen.

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Seit langem ist bekannt, dass etwa 90 Prozent aller Landpflanzen in einer Symbiose mit dem Myzel – der Begriff bezeichnet die Gesamtheit aller Fäden eines Pilzes – leben. Die Pilze helfen den Pflanzen, an Nährstoffe und Wasser zu gelangen. "Die dünnen Hyphen können in jede kleinste Pore hineinwachsen und Nährstoffe gezielt aufnehmen", erklärt Kaiser. "Ohne Pilzpartner sind Bäume viel schlechter in der Lage, sich gut zu versorgen."

Wichtig für den Nährstofftausch

Die Evolution hat die symbiotischen Bodenpilze mehrmals unabhängig voneinander "erfunden". Erste Vorgänger entstanden bereits vor über 400 Millionen Jahren mit den ersten Landpflanzen. Vor etwa 150 Millionen Jahren, als die ersten großen Wälder entstanden, entwickelte sich die sogenannte Ektomykorrhiza. Sie bildet ein Hyphennetz, das sich um die Wurzelenden legt, dringt aber nicht wie die zuvor entstandene Endomykorrhiza in die Pflanzenzellen selbst ein.

Die Pilze profitieren von der Symbiose, indem sie über die Baumwurzeln Kohlenstoff aufnehmen, der dank Photosynthese im Überfluss vorhanden ist. "Zwischen zehn und 30 Prozent der Syntheseleistung behalten die Bäume nicht für sich. Sie geben den Kohlenstoff in Form von Zucker an die Pilze weiter", schildert Kaiser. Die Bäume sind aber nicht auf einen Pilzpartner beschränkt. Theoretisch kann jede Wurzelspitze von einem anderen Pilz besiedelt sein. Gleichzeitig können die langen Hyphen eines Pilzindividuums auch die Wurzel eines weiteren Baumes besiedeln.

Wo ein Waldboden, da dürfen vielfältige Pilze nicht fehlen. Der genaue Zusammenhang zwischen Bäumen und Pilzen bleibt unklar.
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"Dass dadurch eine Verbindung zwischen benachbarten Bäumen entstehen kann, konnte in Laborexperimenten eindeutig bewiesen werden", erklärt Kaiser. "In den Wäldern konnte man ebenfalls zeigen, dass genetisch idente Pilze zwei Pflanzen gleichzeitig besiedeln können. Hier ist aber nicht auszuschließen, dass die Verbindung im Waldboden unterbrochen wurde und aus einem Pilz zwei wurden."

Debatte um Keimlinge

Studien, die den Ressourcentransport im Myzel untersuchen, nutzen unter anderem das Verhältnis der Kohlenstoffisotope 12C und 13C in der Natur. Den Großteil macht die 12C-Variante aus, der 13C-Anteil liegt bei nur einem Prozent. Verändert man dieses Verhältnis in einer Kohlenstoffquelle, kann nachvollzogen werden, wie es sich in den Pilzgeflechten ausbreitet. Die Versuche konnten aber nicht genau klären, ob der Kohlenstoff auch wieder an die Wurzel eines Nachbarbaums weitergegeben wurde.

"Bei den untersuchten, von Pilzhyphen umgebenen Wurzelspitzen war nicht eindeutig unterscheidbar, ob der Kohlenstoff noch Teil des Pilzes oder bereits Teil der Wurzel war", resümiert Kaiser. "Dass der Kohlenstoff theoretisch in fremde Wurzeln gelangen konnte, löste aber die Debatte aus, ob Keimlinge auf diesem Weg versorgt werden."

Komplexes Ökosystem Wald

Justine Karst und ihr Team heben in ihrer Nature-Studie hervor, dass es noch keine peer-reviewte, publizierte Studie gibt, die zeigt, dass Keimlinge tatsächlich über die Pilznetzwerke versorgt werden. "Erkenntnisse aus Feldforschungen variieren zu stark, haben alternative Erklärungen oder sind zu wenig weitreichend, um allgemeine Erklärungen ableiten zu lassen", schreiben die Forschenden dort. Kaiser gibt zu bedenken, dass es zudem nicht ausgeschlossen sei, dass Signale auch auf anderen Wegen weitergegeben werden könnten.

"Die enorme Komplexität der Waldökosysteme macht es sehr schwierig, eindeutige Erkenntnisse zu gewinnen. Es wird noch lange Zeit dauern, bis wir den Wald wirklich in allen Facetten verstehen", sagt Kaiser. Die Idee eines Wood Wide Web lebt. Die Suche nach stichfesten Beweisen geht weiter. (Alois Pumhösel, 19.3.2023)