An der Wand hellgelbe Schwimmbadfliesen, am Boden braune Kacheln wie damals bei der Niederösterreich-Oma, mittendrin ein hellblauer Pool, dreieinhalb mal acht Meter groß, auf der Stelle möchte man hineinköpfeln. "Das ist keine so gute Idee", sagt Hannes Bürger, "und bei unserem Wohnungseinweihungsfestl vor vier Jahren haben wir uns tatsächlich überlegt, ob wir den Pool nicht lieber wieder einlassen sollen – oder ob wir ihn nicht zumindest mit Plastikbällen füllen und eine Art sehr großes Bällchenbad für Erwachsene machen sollen. Letztendlich haben wir uns für Vernunft und Eigenverantwortung entschieden. Es ist nichts passiert – keine Toten, keine Verletzten, keine Ertrunkenen."

Einst wurde hier geschwommen und sauniert, nun dient der ehemalige Spa-Bereich aus den Sechzigerjahren als Arbeitszimmer und Rückzugsinsel zum sonntäglichen Zeitunglesen. Überraschte Blicke an der Wohnungstür sind keine Seltenheit.
Foto: Katharina Gossow

Wenn die Tür im vierten Stock aufgeht, eine dunkelbraune Eichenfurniertür, wie sie in den Sechziger- und Siebzigerjahren gang und gäbe war, dann gibt es nicht selten ein basses Erstaunen im Gesicht des Postboten, Rauchfangkehrers, Heizungsablesers. "Bin ich da richtig? Ist das wirklich Ihre Wohnung? Das ist aber kein echter Pool, oder?"

Solche Reaktionen hat Hannes schon oft gehört, seitdem er hier wohnt. "Und ganz ehrlich, auch mich reißt’s jedes Mal aufs Neue, wenn ich bei der Wohnungstür reinkomme, denn dieser Ort ist wirklich etwas Besonderes. Selbst nach vier Jahren hat man sich nicht daran gewöhnt, dass mitten im Vorzimmer plötzlich ein großes Loch im Boden aufgeht und man in eine Zeitmaschine hineintritt."

In der Online-Immobilienanzeige stand nur "Schwimmbad mit Potenzial", erinnert sich Hannes Bürger.
Foto: Katharina Gossow

Hannes Bürger, Architekt, 54 Jahre alt, lebt hier mit seiner Frau Gerda Maierhofer, ihres Zeichens Kongressmanagerin. Das dazugehörige Architekturbüro "Share", das er mit Thomas Lettner und Silvia Forlati leitet und das heute rund zehn Mitarbeiterinnen umfasst, befindet sich praktischerweise im selben Haus, gleich nebenan. "Als wir auf Wohnungssuche waren, haben wir uns nach einem außergewöhnlichen Ort mit Geschichte und Patina umgesehen, idealerweise mit einem schönen Ausblick. Dass wir dann auf so ein Objekt stoßen … das wäre uns nicht einmal in unseren kühnsten Träumen gekommen!"

Welcome Midcentury! Im Obergeschoß gibt es ein kleines Zweitwohnzimmer mit Dachterrasse und Blick auf die Stadt. Bei den Möbeln ist eine Vorliebe für die Moderne unverkennbar. An der Wand hängt eine Arbeit von Stefan Sagmeister.
Foto: Katharina Gossow

In der Online-Immobilienanzeige, erinnert sich Hannes Bürger, stand nur: "Schwimmbad mit Potenzial." Noch am selben Tag wurde ein Kaufanbot unterschrieben, wenige Tage später wechselte die ehemalige Wellness-Oase am Rande der Meidlinger Hauptstraße seine Besitzer. Das Haus gehörte einst einer Meidlinger Fleischereifamilie. In den Obergeschoßen befanden sich die Büros, am Dach gönnten sich die damaligen Eigentümer einen Swimmingpool mit Sauna und Dachterrasse für die ganze Familie. Eine Art Metzger-Auszeitparadies mit Blick auf Wien. Büros und Wellness sind nun Geschichte, der Fleischhauer mit eigenem Fleisch- und Wurstsortiment im Erdgeschoß ist immer noch da.

Forget? Regret? Bei diesem Schlafzimmer gibt es absolut nichts zu bereuen. Links geht es direkt ins Bad weiter.
Foto: Katharina Gossow

"Als ich reingekommen bin, war alles so, als wäre grad noch jemand schwimmen gewesen", sagt Bürger. "Das Wasser war eingelassen, die Handtücher hingen an den Haken, das Duschgel stand noch auf der Ablage. In einem Durchgang baumelte sogar noch so ein bunter, kitschiger Perlenvorhang. Die Atmosphäre war in gewisser Weise schön und unheimlich zugleich. Doch dank der guten Pflege und Sorgfalt der Vorbesitzer war der bauliche Zustand der gesamten Anlage tipptopp. Kein Schmutz, kein Schimmel, keine einzige Fliese hatte einen Sprung. Eigentlich unfassbar für einen Ort, der 50 Jahre lang in Benützung war. Daher haben wir uns entschieden, den Pool so zu belassen wie er war. Er ist ein Zeitdokument."

Pool als Zeitdokument

Das Wasser wurde ausgelassen, heute befindet sich 1,50 Meter unter dem ehemaligen Wasserspiegel ein Homeoffice mit einem Schreibtisch des Architekten Egon Eiermann, einem alten peruanischen Teppich und einer kleinen, gemütlichen Vintage-Leseecke. Runtersteigen muss man nach wie vor über die Leiter. "Aufpassen! Der letzte Schritt auf den Grund des Beckens hat’s in sich", sagt der Architekt. "Aber dann … dann bist du in einem Raum mit einer ganz eigenen Akustik und einfach nur ganz viel Hellblau rundherum. Hier bist du abgeschnitten von der Welt und kannst dich auf das konzentrieren, was du grad tust." Seine Frau Gerda hat sich in der Corona-Pandemie hier unten ihr Lockdown-Büro eingerichtet. Heute dient der Pool vor allem zum sonntäglichen Zeitunglesen. Und zum gemeinsamen Whiskey-Trinken mit Freunden. Aber das soll nicht in die Zeitung. Auch egal.

Per Leiter geht es hinab in die hellblauen Tiefen des Whiskey-Trinkens, der Drink steht schon bereit.
Foto: Katharina Gossow

Im Frühjahr 2018 hat der Umbau begonnen. Die abgehängten Holzdecken wurden entfernt, störende Zwischenwände rausgerissen, die Fliesen im Saunabereich von den Wänden abgeschlagen – wobei die Abbrucharbeiten sowie kosmetische Oberflächengestaltungen wie Ausmalen, Verfliesen und Verfugen Hannes – unter aufopfernder Mithilfe seines Sohnes Florian – selbst in die Hand genommen hat. Gerda fuhr währenddessen mit Schutt- und Müllsäcken auf den Mistplatz und schloss in all den Wochen und Monaten Freundschaft mit den Mitarbeitern der MA 48. "Ich denke, wir haben hier ein halbes Jahr intensive Arbeit investiert, meist an den Abenden, an den Wochenenden, in den Ferien. Wie ein klassischer Häuslbauer eigentlich, nur halt oben im Penthouse."

Die größte Arbeit, erinnert sich Bürger, war das Reinigen und Entrosten der alten Stahlbetondecke, an der der feuchte, wohltemperierte Dreck von einem halben Jahrhundert Baden und Saunieren pickte. "Zwei Wochen lang bin ich auf irgendwelchen Leitern und Gestellen gestanden und habe die Betonoberfläche mit einer Grillbürste geputzt, alles über Kopf, der Dreck war überall." Zudem musste an einigen Stellen der Rost entfernt und so manch hinausragende Eisenstange weggeflext werden. Die Arbeit hat sich gelohnt. Wäre da nicht die eine ernüchternde Begegnung mit Gerda Maierhofers Tante, die bei ihrem ersten Besuch meinte: "Was für eine schöne Wohnung ihr euch da gemacht habt!" Und dann, als sich der Blick zur Decke hob: "Ist sich das Ausmalen nimmer ausgegangen? Ich kann euch gern ein Geld geben. An dem soll’s jetzt auch nicht mehr scheitern, oder?"

Die Betondecke wurde wochenlang mit einer Grillbürste geputzt, die gelben Fliesen wurden bewusst beibehalten und verleihen dem Wohnzimmer nun sein unverwechselbares Flair. Über dem Esstisch schwebt eine weiße Ufo-Lampe, eines von vielen Stücken des deutschen Designers Luigi Colani, die hier immer wieder zu entdecken sind.
Foto: Katharina Gossow

Zehn Monate und viele, viele Euros später war alles fertig – der gesamte Umbau mit Strom, Heizung, Installation, Wärmedämmung, weißem Polyurethan-Boden und sogar einer Aufstockung, die man über eine ebenfalls neu errichtete Treppe erreicht. Und der Siebzigerjahrestempel des Pools zieht sich durch die gesamte, 175 Quadratmeter große Wohnung, denn neben alten Esstischstühlen, Art-déco-Schränkchen und Fundstücken aus diversen Antiquariaten stammen die meisten Möbel aus dem Mid-Century. So wie etwa der berühmte Butterfly Chair von Antonio Bonet, Juan Kurchan und Jorge Ferrari-Hardoy oder der schwedische Hocker S70-3, den Börge Lindau & Bo Lindekrantz für Lammhults designt haben. Oder die Puppen von Burgis Paier und viele andere Kunstwerke, die in irgendwelchen Nischen und Ecken zu entdecken sind.

Die meisten Möbel stammen aus dem Mid-Century.
Foto: Katharina Gossow

Doch am meisten angetan hat es Hannes der 2019 verstorbene Designer Luigi Colani, der in die sonst eckige, nüchterne Loftwohnung so etwas wie einen sinnlichen, futuristischen Schwung reinbringt. Die rote Kult-Sparbüchse in Form eines Elefanten, die Colani in den Siebzigerjahren für die Dresdner Bank entwickelte, die weiße Ufo-Lampe, die sich gerade im Landeanflug über dem Esstisch befindet, oder etwa der berühmte Zocker Chair, ein Entwurf aus dem Jahr 1972, der die Funktionen Sessel, Lehne und Schreibtisch in einem Guss vereint. "Colani war ein Visionär, ein absolut durchgeknallter Kerl, jemand, der vor den Grenzen des Machbaren nicht zurückscheute", meint Bürger. "Ich finde, diese Einstellung ist für einen Architekten eine große Inspiration."

Das gewisse Extra

Über 20 Holzstufen, eingelassen mit weißem Öl, geht es hinauf in den aufgestockten Bereich, in einen Holzleichtbau mit Bad, Schlafzimmer und einem zweiten, kleinen, kuscheligen Wohnzimmer, in dem man sich von der sorgfältig in Szene gesetzten Vintage-Coolness der restlichen Wohnung ein bisschen erholen kann. "Als Architekt denkt man natürlich oft darüber nach, was Wohnen bedeutet und wie man eigentlich selbst wohnen möchte", sagt der Architekt, "und ich denke, die Antwort liegt erstens in einer gewissen Vielfalt, in der Auswahl zwischen Offenheit und Rückzug, zwischen Groß und Klein, zwischen Alt und Neu. Und zweitens finde ich es schön, wenn jede Wohnung das ganz gewisse Extra, die eine ganz besondere Besonderheit aufweist."

Über 20 Holzstufen, eingelassen mit weißem Öl, geht es hinauf in den aufgestockten Bereich, einen Holzleichtbau.
Foto: Katharina Gossow

Noch ist das Extra im gekachelten Eingangsbereich staubtrocken, ein Ort zum Arbeiten und Ausruhen. Doch in Zukunft, so der Plan, soll sich der Swimmingpool mit den Jahreszeiten wandeln. Im Winter wollen ihn die Bewohner nach wie vor als Arbeitszimmer und erweiterte Leseecke nutzen, doch in den warmen Sommermonaten, wenn die Hitze über der Stadt nach Erfrischung verlangt, soll das Becken erstmals wieder seinem ursprünglichen Nutzen zugeführt werden. Schon bald werden 40.000 Liter Wasser fließen. Dann kommt der erste Köpfler. (RONDO Exklusiv, Wojciech Czaja, 2.4.2023)