"Hier in der Grünangergasse im 1. Bezirk arbeite ich bereits seit 28 Jahren. Ursprünglich war ich gemeinsam mit meinem Vater tätig, der auch einen weiteren Standort am Währinger Gürtel betrieb. Den gibt es allerdings nicht mehr. Bei meinem Vater habe ich auch das Handwerk erlernt. Mittlerweile beschäftige ich eine Mitarbeiterin, eine wahre Meisterin. Meine Ausbildung begann 1985. Auch schon ein Weilchen her. Der Vater war übrigens mitnichten begeistert, dass ich ins Säckler-Geschäft einsteigen wollte. Zu jener Zeit wünschte man sich, dass die Kinder Jus studieren. Oder Medizin. Sollte nicht sein.

Alexander Profous in seinem Schauraum, in dem einst die Schächterei einer koscheren Fleischerei untergebracht war.
Michael Hausenblas

Das Wort Säckler stammt vom Begriff Säckel, also vom mittelalterlichen Ausdruck für Geldbeutel. Das war vor langer Zeit ein geschnürter Lederbeutel, in den man seine Dukaten stopfte. Hinzu kamen die Wämsler, welche die Kleidungsstücke erzeugten, die Ritter unter ihrer Rüstung trugen.

Mein Geschäft besteht aus zwei nicht besonders großen Räumen, die es zusammen auf 60 Quadratmeter bringen. Im Verkaufs- und Schauraum samt Umkleidekabine war einst die Schächterei einer koscheren Fleischerei untergebracht, die in einem Haus schräg vis-à-vis ihr Fleisch verkaufte. Wie hießen die nochmal? Eisler und Rebenwurzel. Eigentlich wollte ich deren Verkaufsgeschäft übernehmen. Hat aber nicht geklappt. Durch den Schauraum gelangt man in unsere Werkstatt, wo ursprünglich eine Pillendreherei untergebracht war. Die gehörte zu der Apotheke, die heute noch nebenan liegt. Soweit ich weiß, lag vor noch viel längerer Zeit ein Kloster an diesem Ort.

Vom ersten Bezirk bekomme ich nicht besonders viel mit. Wie soll ich sagen?! Ich bewege mich mit Scheuklappen durch die Stadt, gehe meine ganz eigenen Wege. Wenn zwei Gassen entfernt ein Geschäft aufsperrt, krieg ich das zufällig drei Jahre später mit. Wenn überhaupt. Klar profitieren wir von der Lage, andererseits muss ich sowieso nicht schauen, was die Konkurrenz tut, denn mein nächster Mitbewerber sitzt in Mariazell. Meines Wissens nach bin ich der letzte Säckler in Wien, der produziert und verkauft.

Wir tigern uns täglich in unsere Arbeit, man könnte durchaus von einer Art 'geschützter Werkstätte' sprechen. Säckler stellen Lederbekleidung her und reparieren diese. Die Rede ist von Trachtenbekleidung, Lederhosen, Lederoberbekleidung und einigem mehr. Es ist kompliziert. Wir produzieren zum Beispiel auch die Reithosen für die Spanische Hofreitschule. Besonders viele Stunden verbringen wir mit der Handstickerei. Zu Zeiten meines Vaters schauten die Produkte noch ganz anders aus. Der hat unter anderem sogar für Helmut Lang gearbeitet. Damals wurde vielleicht eine klassische 'Lederne' pro Monat gefertigt. Heutzutage produzieren wir drei pro Woche. Falls das jemanden interessiert, bei einer handbestickten, kurzen Hirschlederhose sind Sie ab 1.200 Euro dabei.

Seit bald 30 Jahren arbeitet der Säcklermeister in der Grünangergasse im 1. Wiener Bezirk.
Michael Hausenblas

Der Trachtenanteil kommt mittlerweile bestimmt auf zwei Drittel. Die Vorlaufzeit für so eine klassische Hose beträgt drei bis vier Monate. Klingt nach viel, aber ich weiß von einem Kollegen in Ebensee, bei dem Sie bis zu zehn Jahre warten.

Die einzige Phase, in der wir in den vergangenen 30 Jahren wirklich 'on time' gearbeitet haben, war während der Pandemie, als wir die Zeiten wirklich einhalten konnten. Aber klar hatte ich beim Blick aufs Bankkonto Muffensausen davor, wie es weitergehen würde. Nach dem zweiten Lockdown haben wir erfahren, dass wir systemrelevant seien. Eigenartig, ich kenne die Gründe dafür bis heute nicht.

Die Menschen wissen, was sie wollen

Meine Kundschaft würde ich als wilden Mix bezeichnen. Einerseits sind es Menschen, die aus der Schweiz, Deutschland und anderen Ländern anreisen. Wir haben sogar napoleonische Uniformen für Kriegsdarsteller geschneidert. Natürlich entspricht unsere Klientel auch einem Klischee. Das reicht von Juristen bis zum Hochadel. Aber auch Dietmar Bär, Darsteller des 'Tatort'-Kommissars Freddy Schenk, hat schon bei uns eingekauft. Es hängt sogar ein Foto von ihm im Geschäft. Zu uns kommen Menschen, die genau wissen, was sie wollen. Wenn's zu mühsamen Diskussionen kommt, steig' ich aus und verschwinde in der Werkstatt.

Ich kann nicht sagen, wer mir die liebste Kundschaft ist. Am wenigsten mag ich Drängler. Auf alle Fälle gibt es viel zu tun. Also Stunden zählen darf man nicht. Wenn ich's doch tue, kommen wir schon auf zehn bis zwölf. Aber nicht immer, und die Arbeit am Samstag hab' ich mittlerweile gestrichen.

Die Frage, ob früher alles besser war, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Im Geschäft hat sich bis auf zwei Laptops, einen verwenden wir als Kassa, nichts verändert. Wir arbeiten, wie erwähnt, sogar noch traditioneller, als dies mein Vater getan hat. Sonst hat sich natürlich so gut wie alles verändert. Wenn ich mir die Wiener Innenstadt anschaue, ähnelt die mehr und mehr anderen europäischen Metropolen. Das ist schade.

Ob ich, wenn ich noch einmal ein Teenager wäre, wieder eine Lehre als Säckler beginnen würde? Sicher. Ganz einfach, weil mir die Vielfalt dieser Arbeit taugt. Und nachhaltiger geht es gar nicht. Ich habe eine Lederhose zur Restaurierung im Geschäft liegen, die ist 150 Jahre alt. Die können noch einmal zwei Generationen tragen. Bestimmt sogar. Und wissen Sie noch was? Ich kenne so viele Schulkollegen, die, wenn sie ehrlich sind, gar nicht mehr sagen können, was sie ihr Leben lang gemacht haben. Das können wir schon." (Michael Hausenblas, 19.3.2023)