Eine aktuelle Studie bestätigt für die USA, was sich auch schon in anderen Ländern abzeichnet: Die durchschnittlichen Ergebnisse von Intelligenztests fallen schlechter aus als in früheren Jahren. Die Autorinnen und Autoren vermuten dahinter unter anderem Veränderungen im Schulwesen.

Foto: AP/Robert F. Bukaty

Mit der menschlichen Intelligenz ist das so eine Sache. Ihre Spitzenleistungen und ihre Fails lassen sich täglich beobachten, aber sie ist nur schwer in Zahlen zu fassen. Immerhin ist es in der Psychologie gelungen, eine Reihe von Tests zu entwickeln, die gewisse Aspekte der Intelligenz vergleichbar machen.

Einige dieser Tests, etwa der Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder, existieren in ihrer ursprünglichen Form seit den 1940er-Jahren. Die kontinuierliche Gegenüberstellung von damals und heute ermöglicht die Identifizierung von großräumigen Trends in der Intelligenzentwicklung eines Landes – und die gibt es tatsächlich: Die durchschnittliche Intelligenzkurve mancher Nationen schien im letzten Jahrhundert teilweise steil nach oben zu weisen. Die Forschung kennt das Phänomen als Flynn-Effekt, seine Ursachen werden in der Fachwelt lebhaft diskutiert.

Ebenso umstritten sind die Gründe für das allmähliche Abklingen dieses Phänomens: Rund um die Jahrtausendwende schien der Durchschnitts-IQ-Zuwachs nämlich in einigen untersuchten Ländern zu stagnieren, manche Länder verzeichneten sogar einen kleinen Rückgang. Zu diesen dürften auch die USA zählen, wie eine umfassende Studie nun belegt.

Flynn-Effekt

Dass es im Schnitt mit der Intelligenz lange Zeit bergauf ging (oder zumindest mit jenen kognitiven Aspekten, die mit den IQ-Tests beurteilt werden), hat der neuseeländische Politologe James R. Flynn erstmals 1984 nachgewiesen, zunächst anhand der USA, später auch bei zahlreichen weiteren Industrienationen.

Folgestudien bestätigten den Trend: Je nach Land konnte man eine Zunahmen der IQ-Werte zwischen 5 und 25 Punkten pro Generation bis in das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts hinein feststellen. So zeigte beispielsweise eine Untersuchung von 2009, dass die Durchschnittswerte britischer Kinder bei Ravens Matrizentest von 1942 bis 2008 um 14 IQ-Punkte gestiegen sind.

Frauen auf der Überholspur

Interessant ist auch, dass der Zuwachs bei Frauen im Schnitt deutlich höher war als bei Männern. Während die Ergebnisse bei IQ-Testungen in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts um bis zu fünf Punkte hinter jenen der Männer lagen, glichen sich die Werte in der zweiten Jahrhunderthälfte schnell an. Im Jahr 2012 lagen die Testergebnisse von Frauen in einigen Ländern erstmals knapp über den Resultaten der Männer.

Die Liste an diskutierten Erklärungen für den Flynn-Effekt ist lang. Verbesserungen im Bildungswesen, in der Ernährung und der Gesundheitsversorgung mögen eine wichtige Rolle spielen, aber auch über genetische Hintergründe wird spekuliert. Dass die Datenlage mancherorts dünn ist, gibt den Diskussionen zusätzlichen Spielraum. Besonders für die USA fehlt es an neueren Untersuchungen, zumindest im Vergleich zu europäischen Ländern.

Neue Studie für die USA

Dieser Lücke hat sich nun eine Gruppe um Elizabeth Dworak von der Northwestern University (Illinois, USA) angenommen. Mit ihrer im Fachjournal "Intelligence" vorgestellten Studie wollte sie untersuchen, ob der Flynn-Effekt – oder dessen Abflauen – in den Vereinigten Staaten ein aktuelles Phänomen ist. Grundlage ihrer Arbeit sind die Ergebnisse von Online-IQ-Tests, die 394.378 Erwachsene in den USA absolviert haben. Die Tests waren im Rahmen des Synthetic Aperture Personality Assessment Project zwischen 2006 und 2018 durchgeführt worden.

Die Grafik zeigt bei den getesteten Personen das Absinken von 35 erhobenen Werten über alle Altersstufen und bei allen Geschlechtern.
Grafik: Intelligence/Elizabeth Dworak et al-

Das wichtigste Resultat: Auch in den USA scheint der Flynn-Effekt seine Wirkung verloren zu haben. Insgesamt waren die gemessenen IQ-Werte im Zeitraum von zwölf Jahren unabhängig von Alter und Geschlecht gesunken, berichtete das Team. Am stärksten war der Rückgang bei Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau und bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwischen 18 und 22 Jahren.

Gelitten haben vor allem das sprachliche Vorstellungsvermögen, visuelles Problemlösen und der Umgang mit numerischen Reihentests. Aber nicht in allen Kategorien kam es zu einer Verschlechterung: Bestimmte Fähigkeiten wie räumliches Vorstellungsvermögen haben auch zugenommen.

Internationaler Trend

Eine Erklärung für den leichten Abwärtstrend bei den Testergebnissen haben die Forschenden nicht. Eine solche sei auch nicht Gegenstand der Untersuchung gewesen, meinten sie. Dennoch haben sie so ihre Vermutungen: Möglicherweise spielen bei dem Phänomen auch Veränderungen im Bildungssystem eine Rolle.

"Da die Ergebnisse für jüngere Teilnehmer über alle Bildungsstufen hinweg niedriger ausfielen, könnte dies darauf hindeuten, dass entweder das Niveau der Bildung in der Stichprobe dieser Studie gesunken ist und/oder dass sich der wahrgenommene Wert bestimmter kognitiver Fähigkeiten verschoben hat", schreiben die Studienautorinnen und -autoren in ihrer Schlussfolgerung.

Die USA sind freilich kein Einzelfall, in vielen Ländern Europas brachen in den letzten beiden Jahrzehnten die IQ-Test-Ergebnisse ein: Eine Studie in Finnland ergab von 1997 bis 2009 beispielsweise einen Rückgang der IQ-Werte um im Durchschnitt drei Punkte. Eine norwegische Studie aus dem Jahr 2004 beobachtete ebenfalls Mitte der 1990er-Jahre das Ende einer langjährigen Steigerung bei den durchschnittlichen IQ-Punkten.

Das Fernsehen ist schuld

Ursachen für diese Entwicklungen sind schwer zu finden und noch schwieriger zu beweisen. Aber vielleicht liegt ja der norwegische Wirtschaftswissenschafter Øystein Hernaes nicht ganz daneben und das Fernsehen ist tatsächlich an allem schuld: Laut seiner 2019 veröffentlichten Studie hätten norwegische Jugendliche innerhalb von zehn Jahren nach der Einführung des Kabelfernsehens im Jahr 1981 bei den IQ-Werten 1,8 Punkte eingebüßt. Eine ergänzende Studie hat festgestellt, dass sich in dieser Zeit auch die Wahlbeteiligung verringert hat. (Thomas Bergmayr, 16.3.2023)