Nach aktuellem Stand werden "Gothic"-Fans (und andere Interessierte) 2024 ins neu umgesetzte Minental aufbrechen können.

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Es ist ein sonniger, aber kühler Nachmittag am letzten Februartag in Barcelona. Eben noch bei einem Interviewtermin auf dem Messegelände des Mobile World Congress entsteige ich der U-Bahn-Station Bogatell. Hier, fast ums Eck, findet man das Büro des Entwicklerstudios Alkimia Interactive. Wobei "fast ums Eck" auf einer Stadtkarte in Barcelona nicht viel zu bedeuten hat. Auch dieser Weg führte mich über eine der zahlreichen Treppen der Stadt.

Im Erdgeschoß eines kleineren Bürogebäudes begrüßt mich ein älterer Portier und lotst mich ums Eck. Ich klingle und erhalte Einlass. Eine Mitarbeiterin des Studios begrüßt mich in einem geräumigen Vorraum nebst Zugang zu einer Küche, von der aus man auch auf einen kleinen, begrünten Innenhof gelangt. Ein Glas Wasser später nimmt mich schließlich Reinhard Pollice in Empfang. Er leitet die Entwicklung des Remakes von "Gothic", jenes Hauptprojekt, weswegen das junge Studio gegründet wurde.

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Großer Name, große Verantwortung

Mit dem Namen schwingt viel mit. Einst verhalf das ursprünglich 2001 erschienene Game der deutschen Spieleschmiede Piranha Bytes zum Durchbruch. Eine offene, raue Welt, in der man sich als Neuzugang in einer von den Häftlingen übernommenen Minenkolonie vom Niemand zum Helden hocharbeitet und einer finsteren Bedrohung auf die Spur kommt. Das Abenteuer unter der magischen Barriere, die die Kolonie von der Außenwelt abschottet, schlug besonders im deutschen Sprachraum ein. "Gothic" und auch der zwei Jahre später erschienene Nachfolger genießen bis heute Kultstatus.

Auch Pollice ist mit den Originalen bestens vertraut. Er ist nicht nur glühender Fan, sondern beschäftigte sich dereinst auch mit dem Modifizieren des Spiels. Und das brachte ihm auch wichtige Erfahrungen, von denen er heute zehrt. Gemeinsam mit anderen gelang es ihm, eine neue, große Spielwelt auf Basis von "Gothic" zu bauen. Doch diese mit Charakteren, Geschichten und Quests zu füllen, erwies sich als größere Herausforderung, als gedacht – und so verlief das Projekt letztlich im Sande.

THQ Nordic

Lernen aus der "Gothic"-Geschichte

Hier tun sich Ähnlichkeiten zu "Gothic 3" auf. Der von vielen sehnlich erwartete Nachfolger erschien 2006 in höchst unfertiger Form. Doch auch eilige Patches, die das Spiel zumindest technisch durchspielbar machten, konnten nicht darüber hinweg täuschen, dass es der neuen Spielwelt – der Hauptkontinent anstatt der Insel Khorinis – an Leben fehlte.

Eine Schwäche, die auch mit weiteren Verbesserungen und einer Reihe von Fanpatches nie ganz ausgemerzt werden konnte. Im Hintergrund standen dabei auch Verwerfungen zwischen Piranha Bytes und dem österreichischen Publisher Jowood, der trotz offenkundiger Probleme auf einen Release vor vor dem Weihnachtsgeschäft gepocht hatte. Jowood ging in den Folgejahren bankrott, die Marke wechselte Besitzer und die Entwickler den Publisher.

Piranha Bytes entwickelten die "Risen"-Trilogie und danach "Elex", dessen zweiter Teil im März vergangenen Jahres erschien. Man arbeitet heute unter dem gleichen Dach wie Alkimia, nämlich THQ Nordic. Pläne, wieder selbst ein neues "Gothic" zu entwickeln, haben die Piranhas noch nicht geäußert. (Wer sich ausführlich über die Geschichte der Reihe einlesen möchte, folge am besten diesem Link.)

Die Fehler von "Gothic 3" soll das Remake nicht wiederholen. Die Spielwelt wird zwar wachsen, aber in moderatem Ausmaß. Pollice beziffert die Ausweitung mit rund 15 bis 20 Prozent, stellenweise auch mal mehr oder weniger. Damit einher gehen aber auch neue Inhalte. Das Spiel soll mehr lagerspezifische Quests bekommen.

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Mehr Lager-Quests

Ursprünglich verbrachte man viel Zeit damit, Aufträge zu erfüllen, um bei den drei konkurrierenden Fraktionen – Altes Lager, neues Lager, Sumpflager – in der Gunst aufzusteigen und sich schließlich einer davon anzuschließen. Doch von dort an überführt "Gothic" den Spieler sehr schnell ans Ende, wo die Story wieder zusammenläuft und die Lagerwahl wenig Rolle spielt. Hier will man etwa ansetzen und mehr lagerspezifische Aufträge ins Spiel integrieren.

Zudem gab es im Office, in dem zur "Rückbesinnung" auch immer wieder die Vorlage gespielt wird, ein paar Einblicke in die aktuelle, frühe Version des Spiels. Viele Teile der Spielwelt sind bereits nahezu fertig, andernorts ploppen noch Platzhalter ins Bild. Sichtbar ist aber bereits eine deutlich düsterere Farbgebung, als sie der 2019 veröffentlichte "Playable Teaser" zur Schau bot.

Diese Änderung beruht auf dem Feedback der Fans, sagt Pollice. Auch andere Rückmeldungen sollen Niederschlag ins Remake finden. Angepasst wird etwa die von vielen kritisierte Intro-Sequenz, die komplett umgebaut werden soll. Nicht jede Schwäche der Teaserversion ist allerdings auf Designentscheidungen zurück zu führen, denn umgesetzt wurde sie von gerade einmal sieben Leuten mit begrenzten Zeitressourcen in einem Coworking-Space. Heute hat Alkimia nicht nur ein eigenes Büro mitsamt Motion Capturing-Raum, sondern auch 45 Mitarbeiter, die sich das neue, alte "Gothic" kümmern.

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Und die neuen Möglichkeiten hat man fleißig genutzt. Die im Teaser teils hakeligen Animationen sind passé. Sie wurden und werden durch flüssige Bewegungsabläufe ersetzt, an deren Feinschliff noch gearbeitet wird. Im Moment legt sich der namenlose Held beim Laufen noch in die Kurve wie ein Motorrad.

Ein Sound wie damals

Auch am "Drumherum" feilt man noch. Das schon 2001 unpraktische Menüsystem weicht einer zeitgemäßeren Oberfläche zur Verwaltung von Held und Inventar. Dabei setzt man auf Elemente, die nicht den gesamten Bildschirm ausfüllen, um den Spieler nicht aus der Welt zu reißen. Der Soundtrack wird um neue Stücke ergänzt und die alten, ursprünglich Midi-basierten Werke überarbeitet. Und das hört sich beim Reinhören sehr gut an. Der melodische Kern der Stücke wurde erhalten, aber sie bieten nun schöneren Klang und viel größere musikalische Tiefe.

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Nahe am Original will man auch bleiben, wenn es um die Dialoge geht. Bei Alkimia bemüht man sich, die alten Sprecherinnen und Sprecher an Bord zu holen. Voraussetzung ist freilich, dass diese überhaupt noch tätig und in der Lage sind, das Feeling von damals zu erwecken. Noch nicht fix sagen lässt sich, ob es im Remake den Gastauftritt der Band "In Extremo" im Alten Lager wieder geben wird.

Ein besonders kniffliger "Work in Progress" ist das Kampfsystem. Wer die "Gothic"-Reihe kennt, weiß, dass dieser Aspekt immer irgendwie für Kritik gesorgt hat. Im Remake soll es je nach Gegner unterschiedliche Verhaltensmuster geben. Eine Rolle spielt dabei etwa, ob es sich um Rudeltiere handelt, oder nicht. Das verlangt auch Vorausdenken beim Spieler. Wer nicht von einem Wolfsrudel zerfleischt werden möchte, muss versuchen, sie einzeln anzulocken.

Oder gleich einen Bogen um sie herum machen. Auch in der Neuumsetzung leveln Gegner nicht mit. Wer sich als Grünschnabel abseits der sicheren Hauptwege bewegt, der kann im Unterholz sehr schnell seinen sicheren Tod finden. Es ist, wie gesagt, eine raue Welt.

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Warten auf 2024

Bis man in diese wieder eintauchen kann, ist aber noch Geduld erforderlich. Als realistischen Release-Zeitraum sieht man bei Alkimia das nächste Jahr an. Bis dahin steht noch viel Arbeit an, die vor allem aus der Befüllung der Spielwelt besteht.

Sorgen, dass das misslingen könnte, mache ich mir kaum, als ich zwei Stunden später wieder aufbreche. Das Projekt, so scheint mir als "Gothic"-Fan der ersten Stunde, ist in guten Händen. (gpi, 18.3.23)