Die Credit Suisse hat in ihrer Geschichte schon viele Umstrukturierungen vorgenommen und so manchen Skandal überwunden. Aktuell ist die Liste der Probleme der Bank aber enorm lang. Das Vertrauen der Investoren und Kunden schwindet.

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Wien – Für Präzision ist die Schweiz bekannt, für ihr Bankgeheimnis auch. Diskrete Geschäfte, Schließfächer, Privatbanken, betuchte Kundschaft – so in etwa lautet das Klischeebild der Schweizer Bankenlandschaft, das auch in Filmen gerne bedient wird.

Den Druck, der sich gerade im Bankensektor aufbaut, braucht die Finanzwelt gerade gar nicht. Am allerwenigsten braucht ihn aber die Credit Suisse. Die Bank fährt seit Monaten einen Schlingerkurs, kämpft mit enormen Mittelabflüssen und sucht einen Ausweg aus den vielen Turbulenzen, in die sie geraten ist. Am Mittwochabend sagte ihr die Schweizerische Notenbank nach einem Hilferuf Unterstützung zu. Die Credit Suisse will sich nun bis zu 50 Milliarden Franken (rund 50,7 Milliarden Euro) von der Nationalbank leihen. Was ist geschehen?

Kein frisches Geld

Die Ankündigung, dass der neue Großaktionär Saudi National Bank aus aufsichtsrechtlichen Gründen keine frischen Mittel einschießen kann, bringt die Credit Suisse erneut unter Druck. Denn bereits vor wenigen Wochen hatte das Schweizer Institut bekanntgegeben, dass auch 2023 ein "erheblicher Vorsteuerverlust" eingefahren wird. Die massiven Abflüsse von Kundengeldern zum Schluss des Vorjahres und der Ausstieg aus großen Teilen des Investmentbankings haben deutliche Bremsspuren hinterlassen. "2024 sollten wir profitabel werden", prognostizierte Konzernchef Ulrich Körner noch Mitte Februar. Für 2025 peilt das Institut aber nur eine Eigenkapitalrendite an, die von Analysten zuletzt als "ambitionslos" eingestuft wurde.

Hohe Abflüsse

Die Kosten für die Sanierung der Bank und der Kollaps der Erträge im Investmentbanking brockten der Credit Suisse 2022 den höchsten Fehlbetrag seit der Finanzkrise ein. Unter dem Strich stand ein Verlust von 7,3 Milliarden Franken (knapp 7,4 Milliarden Euro) nach einem Minus von 1,7 Milliarden im Jahr davor. Einen höheren Fehlbetrag hatte die Credit Suisse zuletzt 2008 am Höhepunkt der Finanzkrise ausgewiesen. "Es war ein extrem herausforderndes Jahr für Credit Suisse", erklärte Körner. "Es war auch das Jahr, in dem der wichtige und notwendige Umbau unserer Organisation eingeleitet wurde." Unterm Strich war das Vorjahr eines der schwächsten Geschäftsjahre in der 167-jährigen Geschichte der Bank. Wegen Zweifeln an der finanziellen Verfassung des Konzerns zogen Kunden im Schlussquartal netto 110,5 Milliarden Franken (113 Milliarden Euro) ab.

Körner hatte Ende Oktober einen tiefgreifenden Umbau angekündigt, um die schwere Krise zu überwinden. Dabei will er große Teile des Investmentbankings aufgeben, die Kosten um 15 Prozent senken und bis 2025 rund 9.000 der 52.000 Stellen streichen.

Aktie crasht, Vertrauen sinkt

All das nährt die Furcht davor, dass sich im aktuellen Umfeld und nach der Pleite der kalifornischen Silicon Valley Bank (SVB) die Schlinge um die Credit Suisse zuzieht. Die Aktie hat am Mittwoch zeitweise mehr als 30 Prozent verloren. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat zwei Insidern zufolge von ihr überwachte Banken hinsichtlich des Engagements bei der Credit Suisse kontaktiert. Das "Wall Street Journal" hatte als erstes Medium berichtet, dass sich EZB-Aufseher die Finanzverbindungen zwischen dem Schweizer Institut und den Banken der Eurozone ansehen. Das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Bank sinkt: Die Kreditausfallversicherungen (CDS) haben sich verteuert. Die zweijährigen CDS sind nun teurer als die fünfjährigen.

Lange Liste an Problemen und Skandalen

Doch die Liste der Probleme der Bank ist lang und liest sich wie ein Kriminalroman. Wegen der Beschattung eines abtrünnigen Managers musste 2020 der Chef gehen, eine Hedgefondspleite verursachte Milliardenverluste, der Verwaltungsratspräsident verlor seinen Job wegen Verstößen gegen Quarantäneregeln, wegen eines Geldwäschefalls rund um einen mutmaßlichen bulgarischen Kokainhändlerring wurde die Bank zu einer Geldbuße verurteilt. Nun steht der Verdacht im Raum, dass irreführende Angaben zu den Kundengeldern gemacht wurden. Reuters hat dazu eine Übersicht verfasst:

Aufsicht prüft Kundengelderabflüsse: Die Finanzmarktaufsicht Finma untersucht Insidern zufolge möglicherweise irreführende Aussagen von Verwaltungsratschef Axel Lehmann zu den Abflüssen von Kundengeldern und hat die Credit Suisse in der Angelegenheit kontaktiert. Lehmann hatte am 1. Dezember 2022 in einem Interview mit der "Financial Times" erklärt, nach starken Abflüssen im Oktober hätten sich diese "völlig abgeflacht und teilweise gedreht". Am Tag darauf sagte er zu Bloomberg Television, die Abflüsse seien "im Wesentlichen gestoppt". Danach waren aber nochmals Milliarden von dem krisengeplagten Institut abgezogen worden, wie aus der Quartalsbilanz hervorging. Die Finma will den Insidern zufolge nun klären, was der Wissensstand von Lehmann war. Es gebe Hinweise, dass Lehmann intern nicht richtig informiert worden sei, bevor er diese Äußerungen gemacht habe.

Greensill-Skandal: Im März 2021 fror die Bank überraschend zusammen mit der Investmentgesellschaft Greensill Capital aufgelegte Fonds im Volumen von zehn Milliarden Dollar ein. Berater der Credit Suisse hatten jahrelang Geld von Investoren eingeworben und es in dem als risikoarm geltenden Fonds angelegt. Sie warben damit, dass die dahinterstehenden Kredite voll versichert seien. Als Versicherungsfirmen ihren Schutz entzogen, musste die britisch-australische Greensill Capital Insolvenz anmelden. Die Finma kam nach einer Untersuchung zu dem Schluss, dass die Credit Suisse im Fall Greensill in schwerer Weise gegen aufsichtsrechtliche Pflichten verstoßen hat. Sie ordnete eine Reihe von Maßnahmen an und setzte einen Prüfbeauftragten ein, um deren Einhaltung zu kontrollieren. Auch die Credit Suisse ließ den Vorfall extern untersuchen, veröffentlichte die Ergebnisse allerdings nicht. Zahlreiche Investoren verklagten das Institut. Die Credit Suisse hat inzwischen nach eigenen Angaben 6,8 Milliarden Dollar an Anleger zurückbezahlt.

Archegos-Skandal: Nur wenige Wochen nach dem Greensill-Schock folgte der nächste Paukenschlag: Die Bank musste einen Verlust von fünf Milliarden Franken einräumen, weil der Kunde Archegos Capital Management in die Insolvenz gerutscht war. Fast der gesamte Halbjahresgewinn wurde deshalb aufgefressen. Der Hedgefonds hatte sich mit Aktienwetten verspekuliert, die mit Krediten finanziert waren. Auch Banken in den USA waren davon betroffen, keine aber so stark wie die Credit Suisse. Erneut stellte ein externes Gutachten dem Institut ein kritisches Urteil aus: Credit Suisse sei länger und intensiver bei Archegos involviert gewesen als andere Geldgeber – und mehrere Warnsignale seien ignoriert worden. Es habe massive Versäumnisse bei Kontrollen im Investmentbanking gegeben.

Diebstahl von Vergütungsdaten: Im Februar 2023 musste die Credit Suisse ein weiteres Sicherheitsproblem einräumen. Vor einigen Jahren hatte ein ehemaliger Angestellter Mitarbeiterdaten gestohlen. Die entwendeten Daten sollen Informationen über Gehälter und Boni der Jahre 2013 bis 2015 sowie Bankkontoinformationen enthalten haben. Einer mit der Sache vertrauten Person zufolge handelt es sich um einen Ex-Angestellten, der in Indien stationiert gewesen war, wo die Bank viele Informatiker beschäftigt.

Geldwäsche um Kokainhändler: Im Juni 2022 sprach das Schweizer Bundesstrafgericht die Credit Suisse in einem Geldwäschefall für schuldig und verdonnerte das Institut zu einer Buße von zwei Millionen Franken. In dem Prozess musste das Gericht in Bellinzona darüber entscheiden, ob die Bank und eine ehemalige Mitarbeiterin genug unternommen hatten, um Geldwäsche eines mutmaßlichen bulgarischen Kokainhändlerrings in den Jahren 2004 bis 2008 zu vereiteln. "Das Unternehmen hätte den Verstoß verhindern können, wenn es seinen organisatorischen Pflichten nachgekommen wäre", sagte der vorsitzende Richter bei der Urteilsverkündung. Die frühere Kundenberaterin wurde zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten sowie zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Bank kündigte Berufung an. Credit Suisse habe die Vorkehrungen zur Verhinderung von Geldwäsche inzwischen verstärkt.

Betrug am georgischen Premier: Im März 2022 brummte ein Gericht auf den Bermudas der Bank eine Schadenersatzzahlung von mehr als 500 Millionen Dollar auf, weil ein ehemaliger Kundenberater den früheren georgischen Premierminister Bidsina Iwanischwili und seine Familie über Jahre betrogen hatte. Credit Suisse will gegen das Urteil Berufung einlegen. Iwanischwili, der von 2005 bis 2015 Kunde der Bank war, soll hunderte Millionen an Verlusten erlitten haben, weil der mit der Verwaltung seines Vermögens betraute Banker Transaktionen gefälscht haben soll. Der Berater war 2018 von einem Genfer Gericht wegen Betrugs, Fälschung und kriminellen Missmanagements zu fünf Jahren Haft und zur Zahlung von Schadenersatz in Höhe von rund 130 Millionen Dollar verurteilt worden. Auch in Singapur verklagte Iwanischwili die Credit Suisse wegen des Vorwurfs von Versäumnissen, die ihm hohe Anlageverlusten einbrockten.

Quarantäneskandal: Nach nur acht Monaten im Amt erklärte Verwaltungsratschef António Horta-Osório wegen Verstößen gegen Quarantäneregeln im Jänner 2022 seinen Rücktritt. Der Portugiese verstieß gegen Quarantänebestimmungen in der Schweiz, indem er das Land zu früh verlassen hatte. Wenige Wochen später berichtete Reuters, dass Horta-Osório im Juli bei einer Reise nach England zum Wimbledon-Endspiel britische Covid-Regeln missachtet hatte. Horta-Osório hatte immer betont, dass die Unternehmenskultur in der skandalgeplagten Bank reformiert werde, ausgerichtet auf Verantwortung und Rechenschaftspflicht. Zudem gab es Insidern zufolge Konflikte mit Konzernchef Thomas Gottstein. Nachfolger an der Spitze des Verwaltungsrats wurde Mitglied Axel Lehmann.

Schweizer Geheimnisse: Medienberichten zufolge soll die Credit Suisse über viele Jahre hinweg korrupte Politiker und Autokraten, mutmaßliche Kriegsverbrecher sowie Menschenhändler, Drogendealer und andere Kriminelle als Kunden akzeptiert haben. Die der "Süddeutsche Zeitung" und anderen Medien zugespielten Unterlagen geben Aufschluss über mehr als 18.000 Konten mit einem Gesamtvermögen von mehr als 100 Milliarden Dollar, hinter denen mehr als 30.000 Kunden stehen sollen. Die Finma hat sich die Bank deswegen vorgeknöpft. Die Credit Suisse wies die Vorwürfe zurück und erklärte, die Berichterstattung basiere auf unvollständigen, fehlerhaften oder selektiven Informationen, die aus dem Zusammenhang gerissen seien. Rund 90 Prozent der geprüften Konten seien geschlossen oder im Begriff, geschlossen zu werden.

Mosambik-Skandal: Behörden in den USA und Großbritannien brummten der Credit Suisse im Oktober 2021 eine Strafe von fast einer halben Milliarde Dollar auf, um ein Bestechungs- und Betrugsverfahren in Zusammenhang mit Krediten an Mosambik beizulegen. Die Bank bekannte sich schuldig, Investoren wegen eines Darlehens in der Höhe von 850 Millionen Dollar an das Land betrogen zu haben. Das Geld sei zur Finanzierung einer Thunfischfangflotte bestimmt gewesen. Doch rund 200 Millionen Dollar davon sollen als Kickbackzahlungen an Credit-Suisse-Banker und Mitarbeiter der Regierung in Mosambik geflossen sein.

Beschattungs-Skandal: Im Februar 2020 setzte der Verwaltungsrat Bankchef Tidjane Thiam vor die Tür, nachdem die Beschattung des ehemaligen Topmanagers Iqbal Khan aufgeflogen war. Khan war zur Erzrivalin UBS gewechselt, und die Bank wollte herausfinden, ob er Kunden mitgenommen hatte. Thiam erklärte, keine Kenntniss von der Beschattung gehabt zu haben. Die Finma attestierte der Credit Suisse nach einer Untersuchung später schwere Mängel in der Organisation. Das Ausmaß der Affäre war demnach weitaus größer als zunächst angenommen. Zwischen 2016 und 2019 sollen insgesamt sieben Menschen beschattet worden sein, auch im Ausland. Ein Insider sagte, unter den Spitzenmanagern habe eine "Kultur der Angst und des Misstrauens" geherrscht. (Bettina Pfluger, Reuters, 16.3.2023)