RSO-Wien-Chefin Alsop: "Die Musiker und Musikerinnen des RSO stehen unter großem Stress."

Halada

Turbulente Zeiten für Chefdirigentin Marin Alsop. Sie probt aktuell mit ihrem ORF-Radio-Symphonieorchester Wien – am Montag fährt man nach Frankreich und konzertiert in der Philharmonie de Paris. Gleichzeitig droht dem RSO der Untergang: ORF-Intendant Roland Weißmann hat den Klangkörper zum Opfer seines Sparplans erkoren. Es heißt, er verweise das Orchester an die Politik, da er kein Geld mehr für das RSO habe. Die Politik wiederum bekundet, den Untergang verhindern zu wollen. Allerdings ist die Situation unklar, konkrete Rettungsideen sind noch keine zu entdecken. Erste Orchestermitglieder melden sich schon zu Probespielen bei anderen Ensembles an. Eine schlimme Dynamik könnte in Gang kommen.

STANDARD: Wie ist das Gefühl, womöglich nicht nur die erste Chefdirigentin des RSO zu sein, sondern womöglich die letzte RSO-Dirigentin überhaupt, die auch noch das letzte Konzert des Orchesters dirigieren müsste?

Alsop: Das wäre natürlich schrecklich! Was wir spielen würden beim letzten Konzert? Vielleicht ein Requiem, vielleicht jenes von Johannes Brahms? Scherz beiseite: Nein, wir denken nicht in dieser Art und Weise. Wir versuchen in Möglichkeiten zu denken und nicht in Katastrophen, obwohl wir uns natürlich mit der Realität konfrontieren müssen. Es ist natürlich schockierend, dass es zu dieser Situation überhaupt kommen konnte!

STANDARD: Das Orchester selbst hatsich noch nicht zu seiner heiklen Situation geäußert?

Alsop: Nein, es muss letztlich noch entscheiden, wie es protestieren möchte. Es versucht, die Probleme respektvoll anzugehen. Wenn sich die Situation weiter zuspitzt, werden sie sich aber äußern. Sie haben natürlich alle Angst. Es gibt junge Musiker mit Familie, die verunsichert sind. Ich versuche auch, die internationale Perspektive zu erhellen, will aufzeigen, dass es für das Image und den Ruf der Stadt und des Landes schädlich wäre, das Orchester aufzulösen. Neun Millionen Euro, die das Orchester jährlich kostet? Für uns ist es viel Geld, aber in diesem Gesamtkontext wohl nicht sehr viel.

STANDARD: Was hat sich getan, seit Sie erfahren haben, dass der ORF für das RSO kein Geld ausgeben will?

Alsop: Es gibt viel Unterstützung, es war sehr hilfreich, dass sehr viele Menschen die Petition unterschrieben haben. Mittlerweile sind es rund 83.000, bei den Konzerten setzt sich die Solidarität fort. Ja, und auch Politiker und Politikerinnen habe sich im Sinne eines Erhalts des Orchesters geäußert. Das Problem von Rundfunkorchestern wie dem RSO ist aber, dass sie selbst zu den besten Zeiten nicht anerkannt werden. In dem beiläufigen Sinne wird gesagt: "Ach ja, wir haben ja so ein Orchester …" Aber das RSO sollte nicht nur bewahrt werden, es sollte in das Orchester investiert werden. Das RSO hat, wie gesagt, ohnedies ein kleines Budget und arbeitet sehr effizient. Niemand hier ist überbezahlt, nicht einmal ich! Niemand hier schaut darauf, dass er viel Geld verdient. Sie sind immer gut vorbereitet und nehmen jede Herausforderung beim Repertoire an, was bei anderen Orchestern mitunter zu Beschwerden führen würde ...

STANDARD: Wie ist Ihre Kommunikation mit dem ORF-Intendanten Roland Weißmann und der Radiodirektorin Ingrid Thurnher? Es heißt, Frau Thurnher beantworte nicht einmal Ihre Mails?

Alsop: Sie hat mich bisher nicht kontaktiert. Aber das überrascht mich nicht, die Kommunikation war auch früher nicht toll. Das ist eine Frage der internen Unternehmenskultur, die man wohl ändern müsste. Von Herrn Weißmann habe ich übrigens auch noch nichts gehört, wobei ich das nicht persönlich nehme. Er habe womöglich keinen Bezug zum Orchester und zu dessen tatsächlicher Bedeutung.

STANDARD: Zum Orchester und zum Betriebsrat des RSO habe er aber angeblich gesprochen und gesagt, es gäbe kein Geld, man möge sich an die Politik wenden. Stimmt das?

Alsop: Ich denke, das stimmt, so hat man es mir erzählt.

STANDARD: Haben Sie das Gefühl, dass man das Orchester strategisch ins Sparfenster stellt, um die Politik aufzuwecken, oder sind den Verantwortlichen das Orchester und der Kulturauftrag, der ja im ORF-Gesetz steht, egal?

Alsop: Ich weiß es nicht. Ich habe das Gefühl, die Führung weiß nicht, wie sie mit dieser Krise umgehen soll. Zu sagen, "okay, wir sperren morgen das Ganze zu", ist kein gutes Management. Ich weiß, man muss Kosten reduzieren, überall muss man das, ich verstehe es. Es ist jedoch normalerweise ein Prozess: Man wacht doch nicht eines Morgens auf und sagt: "Oh, ich muss 300 Millionen einsparen!"

STANDARD: Die Politik hat sich fast entsetzt gezeigt, dass es das Orchester nicht mehr geben soll. Gibt es von dieser Seite her konkrete Rettungspläne?

Alsop: Wir haben eher die Sorge, dass die Entscheidungen verzögert werden. Im Juni müssen sie von den gesetzlichen Bedingungen her entschieden haben. Aber ich fürchte, das wird alles verschleppt. Das ist eine Schande, denn die Musiker und Musikerinnen stehen unter Stress. Und überhaupt: Das hier ist nicht Texas! Das ist Österreich, das ist Wien, eine Stadt der Musik und eine Stadt, die mit dieser Musik viel Geld verdient! Sie ist ein Magnet für die Leute. Als Botschaft zu senden, dass das einzige Radioorchester des Landes eliminiert wird, das über 40 Prozent Frauen beschäftigt, ist doch schrecklich. International sind die Leute geschockt, dass das gerade hier passieren könnte.

STANDARD: Ihre rote Linie, der Moment, an dem Sie zurücktreten?

Alsop: Solange das Orchester existiert, werde ich mit ihm verbunden sein. Ob als Chefdirigentin oder als Gast. Um mich mache ich mir keine Sorgen, es geht darum, dass die Kollegen und Kolleginnen Klarheit bekommen. Ob ich da bin oder nicht, spielt letztlich keine Rolle. (Ljubiša Tošić, 15.3.2023)