Die Zeiten des Einfamilienhauses sind vorbei.

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Es stand zu zigtausenden an Stadträndern und in Dörfern, hatte einen großen Garten, in dem die Kinder Federball spielen konnten und in dem ein Grill und eine Kinderschaukel standen. Im Beet waren Blumen zu bewundern – Tulpen, Rosen, je nach Jahreszeit. Es hatte ein geräumiges Wohnzimmer mit einem Parkettboden, eine große Küche mit Kochinsel, zwei Kinderzimmer, ein Arbeitszimmer und einen Hobbyraum im Keller. "Es war unser Lebenstraum", sagt eine Häuslbauerin und beschreibt das Einfamilienhaus als einen "absoluten Luxus." Auch andere erinnern sich liebevoll an seine positiven Eigenschaften: die Nähe zur Natur, die Privatsphäre, die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Noch vor zwei Jahren hielten 65 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher das Einfamilienhaus für die ideale Wohnform.

Doch das Einfamilienhaus hatte nicht nur Fans. Einige seiner Gegnerinnen und Gegner wähnten es schon länger tot. Die Wohnform sei nicht ökologisch und damit nicht mehr zeitgemäß, so die Argumente von Architektinnen, Raumplanern und Umweltorganisationen. Sie fordern seit Jahren, dass mit der Verbauung endlich Schluss sein müsse.

Einfamilienhäuser kosten viel Platz und verursachen Verkehr, sagen Kritikerinnen und Kritiker.
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In Hamburg-Nord war es bereits im Jahr 2020 so weit: Dort durften fortan keine neuen Einfamilienhäuser mehr gebaut werden. Der Leiter des Bezirks, Michael Werner-Boelz (Grüne), hatte verfügt: Das Einfamilienhaus passe nicht mehr in die moderne Zeit. Der Gebäudetyp sei ineffizient und nehme zu viel Platz weg. "Im Geschoßwohnungsbau kann auf der gleichen Grundfläche deutlich mehr Familien oder Wohnungssuchenden ein neues Zuhause geboten werden als in Einfamilienhäusern", erläuterte Werner-Boelz in einem Artikel in der "Welt". Seit seinem Amtsantritt sorgte er dafür, dass in seinem Bezirk eine Vorgabe aus dem rot-grünen Koalitionsvertrag strikt umgesetzt wird. Darin war vereinbart, keine neuen Einfamilienhäuser mehr zu genehmigen.

Bodenverbrauch reduzieren

Die österreichische Bundesregierung hat sich derweil zum Ziel gesetzt, den Flächenverbrauch bis 2030 auf 2,5 Hektar pro Tag zu reduzieren. Während sich die Bodenstrategie noch in "politischer Abstimmung" befindet, gingen Umweltorganisationen wie der WWF bereits in die Offensive. Sie legten gemeinsam mit Daniel Ennöckl, Professor für öffentliches Recht an der Universität für Bodenkultur, einen zwölf Punkte umfassenden Maßnahmenkatalog vor, um den Bodenverbrauch wirksam zu reduzieren.

Übermäßige Versiegelung kann gravierende Folgen für die Umwelt haben, warnen Fachleute: Zubetonierte oder asphaltierte Böden nehmen Nährstoffe und Regen nicht mehr auf. Regenwasser kann nicht so gut versickern und Grundwasservorräte auffüllen. Lebensräume für Pflanzen und Tiere gehen verloren, ebenso wie fruchtbarer Boden. Versiegelte Böden lassen sich auch nur schwer wieder renaturieren. Es bleiben häufig Reste von Beton und Asphalt zurück, die die Fruchtbarkeit des Bodens nachhaltig beeinflussen.

Starke Zersiedelung

Dem Einfamilienhaus wurde auch angekreidet, dass es zu einem höheren Verkehrsaufkommen führt. Schließlich müssten sich die Menschen öfter ins Auto setzen und weitere Strecken fahren. "Die Ortschaften in Österreich sind ausgeronnen", erinnert sich Wolfgang Amann, Geschäftsführer des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen. Während es in Deutschland und Frankreich seit jeher harte Siedlungsgrenzen gebe, habe sich die Zersiedelung in den österreichischen Dörfern immer stärker ausgeprägt. Das liegt vor allem daran, dass hierzulande Bürgermeister und Bürgermeisterinnen Baugenehmigungen erteilen. In Bayern entscheidet darüber etwa der Landkreis.

Expertinnen und Experten bezeichneten es schon länger als nicht mehr zeitgemäß: das Einfamilienhaus. Aus Gründen des Klimaschutzes gilt es nun, von ihm Abschied zu nehmen.

Außerdem sei auch die durchschnittliche Größe der Einfamilienhäuser "massiv angewachsen", erinnert sich Amann. Vor der Jahrtausendwende sei die Durchschnittsgröße noch bei rund 130 Quadratmetern gelegen, 20 Jahre später eher bei 180. Eine Fläche, auf der durchschnittlich drei Personen lebten.

Auch innerhalb des Eigenheims war der Energieverbrauch hoch. Konkret viermal höher als in baugleichen Mehrparteienhäusern. Das lag vor allem an der durchschnittlich doppelt so großen Wohnfläche und dem ungünstigen Oberflächenvolumsverhältnis, wie man es in der Fachsprache nennt. Wärmeverlust ist nämlich von zwei Faktoren abhängig: einerseits davon, wie groß die Masse ist, sprich das Haus selbst, und zum anderen davon, wie groß die Oberfläche ist, sprich die Hülle des Hauses ist. Eine große Masse, also viele Wohnungen in einem kompakt gebauten Haus, ist energieeffizienter als eine einzige Wohnfläche innerhalb desselben Hauses mit vielen Außenwänden.

Kürzlich sprach sich das EU-Parlament dafür aus, dass bis 2050 sämtliche Gebäude in der Europäischen Union klimaneutral sein sollen. Um dies zu erreichen, sollten Neubauten ab 2028 emissionsfrei sein, wie eine Mehrheit der Abgeordneten in Straßburg beschloss. Solartechnik solle überall dort zur Pflicht werden, wo es "technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar" ist.

Nur für eine begrenzte Zeit

Das Einfamilienhaus galt aber noch aus anderen Gründen als nicht besonders nachhaltig – etwa weil man es nur für eine begrenzte Zeit benötigt: Wenn man Kinder hat, die zu Hause wohnen, bereits ein eigenes Zimmer benötigen und im Garten spielen möchten. Im Alter war dann der viele Platz meist gar nicht mehr notwendig; zumal viele Einfamilienhäuser auch gar nicht barrierefrei waren. Experten wie Wolfgang Amann sehen die Vorteile, die das Einfamilienhaus hatte, auf typischerweise 20 Jahre begrenzt.

Wegen all seiner Nachteile gilt es nun, vom Einfamilienhaus Abschied zu nehmen. Vom Hobbyraum, dem eigenen Garten, dem Arbeitszimmer. Aber, wie heißt es doch so schön: Wenn sich die Tür zu einem Haus schließt, geht in einem anderen ein Fenster auf. Eine neue Generation an Wohnformen steht bereits in den Startlöchern: Gemeinschaftliche Bauprojekte wie Ökodörfer, in denen zwar jeder eine eigene Wohnung hat, aber ein großer Teil der Wohnfläche aus Gemeinschaftsflächen besteht, folgen nach. Es gibt dort Carsharing und Coworking. Es gibt gemeinschaftlich genutzte Küchen, Partyräume, Fitnesszimmer, Gästewohnungen und Bibliotheken.

In der verdichteten Stadt lebt es sich oft klimafreundlicher – zum Beispiel im Ökodorf "Wohnprojekt Wien".
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Durchbruch der Tiny Houses

Viele Menschen haben sich inzwischen dafür entschieden, nachhaltiger zu leben. Die Nachfolger des Einfamilienhauses kommen also mit weniger Wohnraum aus. In einigen Siedlungen könnten sich auf kleinem Raum verdichtete Flachbauten finden, wie Experte Amann prognostiziert. Mehrgeschoßige Wohnbauten könnten zudem mehr Möglichkeiten für die eigene Gestaltung und zum Selbstbau bieten, wie die Architektin Sabine Pollak vorschlägt. Dafür werden Wohnungen fast im Rohzustand übergeben und nach Anleitung selbst ausgebaut.

Auch Tiny Houses, etwa 15 bis 50 Quadratmeter in Anspruch nehmende Kleinsthäuser, die lange belächelt wurden, könnten sich immer mehr durchsetzen. Der Idee des deutschen Soziologen Markus Menzel folgend, werden sie auf den großen Grundstücken alter Einfamilienhäuser gebaut – sodass Städte nicht noch mehr in der Fläche wachsen, gleichzeitig aber trotzdem mehr Wohnraum bieten.

Bestehende Einfamilienhäuser könnten indes verdichtet werden. Einige werden zu Mehrparteienhäusern, andere in sogenannte Mikroapartments umgewandelt. Diese Apartments haben ein eigenes Bad und eine Kochnische – aber vor allem große Gemeinschaftsbereiche. Man teilt sich eine große Küche, ein großes Esszimmer oder einen Garten. Das hat so einige Vorteile: Erwachsene können sich die Hausarbeit aufteilen, junge Familien haben Hilfe bei der Kinderbetreuung, alte Menschen leben nicht in der Isolation.

Neue Möglichkeiten

Das Erbe des Einfamilienhauses wird also trotz allem weitergetragen. Doch wie so oft übernimmt nun eine neue, agile und resiliente Generation. Sie sprießt vor Ideen und bringt wie einst das Einfamilienhaus ungeahnte Möglichkeiten. Und obwohl das Einfamilienhaus auf unseren Böden keinen Raum mehr einnehmen wird, lebt es in unseren Erinnerungen und Gedanken weiter. (Julia Beirer und Lisa Breit, 24.3.2023)