In der Behandlung von Adipositas sind die medikamentösen Möglichkeiten beschränkt.

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Eigentlich wurde Wegovy als Mittel im Kampf gegen Adipositas und Diabetes entwickelt, aber längst hat die Abnehmspritze auch den Lifestylemarkt erobert, der STANDARD berichtete hier. Kein Wunder – denn das Produkt hat in den vergangenen Monaten gute PR bekommen. Schlank durch einen Pieks, lautet das Konzept. Elon Musk soll genauso darauf schwören wie Kim Kardashian.

Und auch zahlreiche Fachleute lobten das Medikament öffentlichkeitswirksam. Ein echter "Gamechanger" sei die Spritze, hieß es. Was in dem Zusammenhang unerwähnt blieb: Mehrere Fachleute haben Geld von dem Pharmakonzern, der die Spritzen vertreibt, erhalten. Das zeigt eine Recherche der britischen Tageszeitung Observer. Insgesamt sollen umgerechnet 24,5 Millionen Euro vom dänischen Pharmakonzern Novo Nordisk an Gesundheitsorganisationen und Fachleute geflossen sein. Einer der betroffenen Experten soll auch das britische National Institute for Health and Care Excellence beraten haben. Das ist jene Instanz, die die Richtlinien für die Verwendung neuer Medikamente veröffentlicht.

Gegen den Pharmakonzern laufen bereits einige Verfahren. Novo Nordisk wird vorgeworfen, siebenmal mit "verschleierten Werbekampagnen" gegen den Branchenkodex verstoßen zu haben. Am Donnerstag wurde das Unternehmen, das hinter dem Schlankheitsmittel Wegovy steht, vom britischen Pharmaverband ausgeschlossen. Grund waren von der Firma gesponserte Kurse zur Gewichtsabnahme, in denen die Medikamente beworben wurden. Der Verband der britischen Pharmaindustrie teilte mit, dass Novo Nordisk gegen deren Verhaltenskodex verstoßen habe. Dieser enthält eine Klausel, die sich auf Handlungen bezieht, "die das Vertrauen in die pharmazeutische Industrie verringern".

Es gebe zwar im Fall Wegovy keine Hinweise, dass die Zahlungen gegen Regeln verstoßen haben, berichtet der Observer, aber eigentlich ist es in der Forschung üblich, solche Interessenkonflikte offenzulegen.

Transparenz entscheidend

Dass mehrere Interessen aufeinandertreffen, ist in der Medizin fast unumgänglich. Immer wieder stößt das primäre Interesse, das Bestmögliche für Patientinnen und Patienten zu tun, auf sekundäre Interessen, etwa finanzieller Natur. Eine Internistin kann zum Beispiel an einer Forschung, die von einem Pharmariesen bezahlt wird, mitwirken, gleichzeitig auch noch in einem Adipositas-Gremium sitzen und außerdem Gutachterin für Behörden sein. "Es ist komplex und eine ständige Gratwanderung", sagt Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der Med-Uni / AKH Wien.

Die Medizin ist so vielfältig geworden, dass sich die meisten Ärztinnen und Forscher auf ein Kerngebiet spezialisieren müssen. In den einzelnen Themenbereichen gibt es dann oft nur wenige, die sich wirklich gut auskennen – und die sind dann eben nach jahrzehntelanger Forschung zu einem Thema auch mit diversen Stakeholdern verstrickt. "Das lässt sich nicht vermeiden", sagt Zeitlinger und berichtet aus der Praxis. "Man erstellt etwa ein Gremium zu einem bestimmten Thema und versucht auch gänzlich unabhängige Leute ins Boot zu holen. Aber das geht oft kaum. Entweder jemand ist in der Materie drinnen und mit Stakeholdern verknüpft, oder jemand ist zwar unabhängig, aber dann eben auch kein Experte auf dem Gebiet und dementsprechend fehl am Platz in einem Gremium."

Natürlich sei es legitim, für eine Tätigkeit bezahlt zu werden, sagt Zeitlinger, aber man müsse eben differenzieren: "Manche Interessenkonflikte sind so stark, dass man die Meinung nur noch als beeinflusste Meinung interpretieren darf. Das ist hier der Fall." Am Ende geht es um die Frage: Ist eine Aussage neutral, oder muss man sie in einen Kontext setzen? Manchmal könne es auch schwer sein, etwas in den Kontext einzuordnen, sagt Zeitlinger. Was dabei entscheidend ist: Transparenz.

Trotzdem Gamechanger

Die Pharmaindustrie ist für viele etwas Obskures und automatisch ein Buhmann. "Ich verstehe das, es ist ein heikles Thema", sagt Zeitlinger. Umso wichtiger sei es, das Thema differenziert zu betrachten. Fälle wie dieser, in denen Interessenkonflikte nicht offengelegt werden, trüben den Diskurs. Da ist es verlockend, von der bösen Pharmaindustrie und den beeinflussbaren Fachleuten zu sprechen. Dabei ist das Medikament tatsächlich ein Gamechanger, findet Bianca Itariu, Internistin und ehemalige Leiterin der Adipositas-Ambulanz am AKH Wien. "Es gibt kein vergleichbares Medikament mit akzeptablen Nebenwirkungen", sagt sie.

In Österreich ist die Abnehmspritze Wegovy noch nicht erhältlich.
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Wegovy ahmt die Wirkung eines Hormons nach, das die Ausschüttung von Insulin reguliert und den Appetit verringert. Das Arzneimittel muss wöchentlich injiziert werden, vier Spritzen kosten in den USA umgerechnet 1.200 Euro. In Österreich ist Wegovy nicht erhältlich, das Präparat Ozempic mit demselben Wirkstoff in geringerer Dosis kostet etwa 150 Euro monatlich.

Bisher hat der Pharmakonzern Nova Nordisk quasi eine Monopolstellung im Adipositassegment, berichtet Itariu. Aber ab Herbst soll sich das ändern. Da komme ein Medikament mit noch besseren Daten auf den Markt.

Riesiger Markt

Der Fall Wegovy hat für viele wohl einen besonders fahlen Beigeschmack. Schließlich lässt sich mit Abnehmprodukten viel Geld machen, der Markt ist riesig – nicht nur in der Medizin, auch im Lifestyle-Segment. Wenn eine Empfehlung besonders viele Leute beeinflussen kann, mag man Zahlungen an entsprechende Fachleute besonders verwerflich finden. Aber für Zeitlinger ändert der Marktwert eines Produkts nichts daran, wie ethisch korrekt die Branche handeln sollte. Es gehe immer um die Frage, ob die Meinung von Fachleuten zu einem Produkt vom einzelnen Patienten für bare Münze genommen werden kann. "Und da ist es egal, ob ein Medikament viele Leute betrifft oder nicht. Ein Einzelner hat genauso das Recht, dass das, was ein Experte über seine Erkrankung oder Behandlung sagt, wirklich der Wahrheit entspricht." (Magdalena Pötsch, 16.3.2023)