Abergläubische Rituale sind auch zu Ostern beliebt. Sie bieten eine scheinbare Kontrolle und Sicherheit in Situationen, die man an sich nicht beeinflussen kann.

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Vielleicht wurde Ihnen schon geraten, in der Karwoche nicht in der Erde zu graben. Oder Sie kennen jemanden, der ein Ei, das am Gründonnerstag oder Karfreitag gelegt wurde, auf dem Dachboden liegen hat. Ersteres soll Unglück vermeiden, Letzteres vor Blitzeinschlag schützen. Vor allem in der Osterzeit gibt es viele Rituale, die aus dem Aberglauben stammen.

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DER STANDARD

Aberglaube ist der Glaube an die Wirksamkeit übernatürlicher Kräfte in bestimmten Menschen und Dingen, die aber vom Großteil der Menschen als irrig angesehen wird. Die Wurzel dieser Vorstellungen liegt meist in alten Volksbräuchen oder -vorstellungen, die in der Folge oft Eingang in die Religion gefunden haben. Manche Aberglauben sind auch persönlicher Natur und werden selbst entwickelt. Dabei werden unterschiedliche Ereignisse in eine nicht nachvollziehbare kausale Beziehung zueinander gesetzt. Etwa wenn man eine Gehaltserhöhung bekommt an einem Tag, an dem man ein bestimmtes Hemd getragen hat – das Hemd muss also Glück bringen.

"Der Mensch war schon immer gewissen Kräften und Geschehnissen ausgesetzt, die er nicht kontrollieren konnte. Aberglaube ist dabei eine Möglichkeit, zumindest eine Illusion von Kontrolle zu erhalten", erklärt Andreas Hergovich, Psychologe an der Universität Wien mit einem Forschungsschwerpunkt zum Thema.

Aberglaube als Ventil in Krisen

Aberglaube ist im Grunde immer präsent, er zeigt sich in zahlreichen Bräuchen und Gewohnheiten. Doch in Zeiten von Krisen, etwa der Corona-Pandemie, dem Ukrainekrieg oder der Inflation, die nicht vorhersehbar und auch nicht kontrollierbar sind, wird er mehr. "Wir wollen diese Krisen verstehen und kontrollieren, Aberglaube kann hierfür ein Ventil sein", erklärt Hergovich. Man fokussiert dabei auf Dinge, die man vermeintlich kontrollieren kann.

Ein typisches Beispiel für diese gefühlte Kontrolle: Viele Menschen, die Lotto spielen, wählen die Zahlen lieber selbst aus, als sie von einem Quicktipp setzen zu lassen. Denn das vermittelt das Gefühl, nicht passiver Part im Geschehen zu sein – auch wenn die eigene Handlung logischerweise den Ausgang des Geschehens nicht beeinflusst. Das funktioniert deshalb, weil es "im innerpsychischen System keine sinnlosen Handlungen gibt", sagt Hergovich.

Ein Aberglaube kann dabei sogar positive Ergebnisse bewirken. Viele Menschen haben beispielsweise für entscheidende Situationen, wie eine wichtige Prüfung, einen Glücksbringer dabei – und tatsächlich geht alles leichter von der Hand. "Der Aberglaube selbst hat natürlich keinen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit. Aber das gute Gefühl, das ich durch den Glücksbringer bekomme, schon", weiß der Experte. Man könnte auch von einem Placeboeffekt sprechen.

Unterscheiden sollte man dabei zwischen Routinen und Aberglaube. Auch eine Routine kann Sicherheit vermitteln, aber im Kern ist sie rational: "Ich fühle mich sicher, weil ich weiß, was auf mich zukommt. Ich muss nicht darüber nachdenken, was ich als Nächstes tue, der kognitive Aufwand wird reduziert", erklärt Hergovich dieses Muster. Eine Routine kann aber auch in einen Aberglauben ausarten, wenn ihr eine besondere Macht zugeschrieben wird. Immer die Hose vor dem Oberteil anzuziehen ist ein Routineverhalten. Aber glaubt man, dass bei einer Störung dieses Ablaufs Unheil über einen hereinfällt, dann wandelt es sich zum Aberglauben.

Keine Frage der Intelligenz

Doch warum existiert in der prinzipiell aufgeklärten westlichen Welt Aberglaube überhaupt noch? Aus Sicht von Hergovich ist der Glaube an die grenzenlose Aufklärung und die Allmacht der Wissenschaft selbst eine Art von Aberglauben. Es deutet nichts darauf hin, dass wir als Menschheit dereinst alle Fragen beantwortet haben werden und daher keine Illusion der Kontrolle mehr benötigen. Der Aberglaube verschwindet also in der wissenschaftsgläubigen Welt nicht, er nimmt nur andere Formen an.

Aus individueller Sicht erhöhen kritische Lebensereignisse und Traumata die Wahrscheinlichkeit dafür, weiß Psychologe Hergovich. Hat man etwas besonders Traumatisches erlebt, wenn zum Beispiel die eigene Mutter verstorben ist, als man noch ein Kind war, ist man eher anfällig dafür. Auch Menschen mit ausgeprägter Fantasie, die sich womöglich aus dem Alltag in Fantasiewelten flüchten, dürften anfälliger dafür sein, wie Untersuchungen zeigen.

Jüngere Menschen sind außerdem abergläubischer als ältere Personen und Frauen abergläubischer als Männer. Bei den Geschlechtern bestehen zusätzlich thematische Unterschiede, Männer glauben vermehrt an Ufos und Aliens, Frauen sind Fans der Astrologie. Auch in bestimmten Bevölkerungsgruppen, etwa bei Sportlern, Sportlerinnen und auch Sportfans, ist eine abergläubische Kultur stärker vertreten.

Intelligenz ist in Bezug auf Aberglaube übrigens keine relevante Kategorie. "Ein Zusammenhang zwischen Intelligenzgrad und Anfälligkeit für Aberglaube lässt sich nicht nachweisen", betont Hergovich. Allerdings nimmt man an, dass intelligentere Menschen es weniger zugeben, wenn sie irrationalen Vorstellungen anhängen, da ihnen klar ist, dass das sozial nicht erwünscht ist.

In falscher Sicherheit

Nicht alles, was Aberglaube ist, muss man sofort verdammen. Aber man muss sich klarmachen, dass ein Festhalten an irrationalen Vorstellungen oder Erklärungsmodellen negative Auswirkungen haben kann: "Man wiegt sich dann in falscher Sicherheit, obwohl keine Sicherheit gegeben ist, und geht womöglich unnötige Gefahren ein oder setzt auf eine medizinische Behandlung, die nicht evidenzbasiert ist", betont Hergovich. Spätestens dann, wenn die Person selbst und auch ihr Umfeld anfangen, unter diesen Handlungen zu leiden, ist Aberglaube keine harmlose Sache mehr.

Doch sehr häufig hängt man einem Aberglauben ohne große Hintergedanken an. Hat man beispielsweise die Wahl, einen wichtigen Termin auf den 13. oder 14. eines Monats zu legen, dann bevorzugen viele den 14. – einfach aus einer Gewohnheit heraus und weil andere es auch tun. Den allermeisten ist völlig klar, dass nichts Substanzielles hinter einem Aberglauben steckt. Sie folgen der Devise: "Hilft's nichts, dann schadet es auch nichts." (Laura Schnetzer 6.4.2023)