Michel Würthle im Frühjahr 2022.

Foto: Jelka von Langen

Michel Würthle ist schwer zu fassen. Der gebürtige Hallstätter, Dandy, Exilwiener in Berlin und Künstler war wohl als Gastronom am berühmtesten, wobei es doch auch am Ziel vorbeischießt, seine "Paris Bar" in Berlin-Charlottenburg lediglich als Restaurant zu bezeichnen. Sie war und ist es noch: Lokal, Soziotop, Galerie, Treffpunkt der Reichen, Schönen, weniger Reichen und weniger Schönen, der Kreativen und Adabeis, ein Tollhaus, in dem es bis heute zugeht wie in einem Bienenstock.

In dieser Institution aßen, tranken und parlierten Größen wie Damien Hirst und Markus Lüpertz. Madonna ist hier ebenso eingekehrt wie Gina Lollobrigida, Andy Warhol oder Jack Nicholson. Der erste Prominente, der angeblich am zweiten Tag nach der Eröffnung kam, war Freddy Quinn. 40 Jahre stand Würthle in dem Lokal, als elegant-lässiger Patron, als Gastgeber und Filou mit Stil und Wiener Schmäh. "Ein gutes Lokal muss die Stimmung alle zwei Stunden wechseln", sagte er einmal.

Würthle, enger Freund von Künstlergrößen wie Martin Kippenberger und Walter Pichler, studierte Kunst in Wien, brach das Studium ab, landete schließlich auf den griechischen Inseln, in Rom, Paris und natürlich Berlin, wo er am 3. Mai 1970 ankam. Gern erzählte er davon, wie ihn Oswald Wiener, ein befreundeter Schriftsteller, abholte und man zuerst einmal in eine Kneipe ging.

Vernarrt in den Freiraum

Über Berlin sagte er in einem Porträt, das im vergangenen Jahr im STANDARD erschien: "Wir waren vernarrt in den Freiraum, den wir hier hatten. Es war ein Eldorado. Man fühlte sich wie in Las Vegas, bevor es vom Gangster Bugsy Siegel erobert worden ist." Für die Story im STANDARD wurde er auch fotografiert. Ein paar Wochen später, er war zu Besuch bei seinem Freund Hanno Pöschl im Kleinen Café in Wien, meinte er, "das nächste Mal machen wir das nackig". Würthle zeichnete sein Leben lang, doch war die Paris Bar das größte Kunstwerk, das er erschaffen hat. Obwohl das Lokal vor einigen Jahren an neue Eigentümer überging, blieb Würthle das Hauptmotiv auf und in diesem Kunstwerk. Es wird fehlen. Und bleiben.

Bevor Michel, eigentlich Michael Würthle – sein Großvater besaß eine prominente Galerie in Wien – vor nicht allzu langer Zeit zu einem Begräbnis eines Freundes nach Wien anreiste, sagte er: "Das sind die Veranstaltungen, auf die man in meinem Alter jetzt geht", und ergänzte: "Die Verehrung kommt nachher." Bei Würthle, diesem Faktotum, war sie wohl schon vorher da.

Michel Würthle, der noch vor einem Jahr ein sechsbändiges Journal aus Fotos und Zeichnungen herausgebracht hat, ist in der Nacht auf Donnerstag nach längerer Krankheit im Alter von 80 Jahren gestorben. (maik, 16.3.2023)