
Von jeder Reise bleibt der Blick noch an den Fotos hängen.
Über das Abwesende I
januar kriecht aus der gefrorenen erde
häutet sich und legt sich über die bäume und weiden
frisch zerfallen als schnee · ohne in der luft zu bleiben
mittag eine spiegelscherbe
eine handspanne
darunter die schatten erst blau dann schwarz: von nord
nach süden lässt das spärliche der sonne
das hinter sich wofür sie zurückgesehnt wird
verrät fehlendes
seine eigenart · als bleibe von der gegenwart
nur lautmalendes
ob das dunkel vor dem licht begann
ist nicht zu sagen – nur dass eins aufs andere verweist
und sie verbindet in dem paradoxon
dass vermisstes bestand hat: man beständiges vermisst
egg, 17. 1. 21
alles, was man tut, alles körperliche steht präsentem gegenüber, alles gedankliche hingegen liegt in absentem: sie durchdringen sich, indem abwesendes gleichsam im ausatmen des anwesenden sichtbar wird.
Über das Abwesende II
von jeder reise bleibt der blick
noch an den fotos hängen um dann im bad
einzelnes zu verräumen · bett glattgestreift kanten gerad
ist es eher reflex denn ein tick
als würde der nächste der das haus betritt ein makler sein
der nur noch unpersönliches vorfinden soll
einmal aus der tür büsst das ich den halt ein
als fordere jeder übertritt zoll
für die armseligkeiten der vorstellung der eigenen person
sie verliert ihre eingessene gestalt und bricht auf
zu brocken die man im fortlauf
anders zusammenfügt · die leerstelle darin auch das
was man im fremden sieht wie durch zersprungenes glas:
brennende stühle vor einem rhododendron
windstösse · ein plastiksack flatternd an einem ast
der mond melonenfarben in einem hochspannungsmast
morgens dann im lohen des lichts
flüchtige gedanken wie ich werde sterben als wolke
durchbrochen weiss und voller nichts
niš, 17. 9. 21
die ursprüngliche bezeichnung für einen leichnam, "soma", stand bei den griechen bald für den lebendigen menschen, ein individuum, seine persönlichkeit; sein grab wurde dagegen "sema" genant, als das "zeichen" seiner.
Über das Abwesende III
von der nacht in die nacht über drei grenzen
in ein restoran unter der autobahnbrücke
mit weissbrot den teller sauber wischen · grosse schlucke
bier · vom strand her taktschleifen zum abtanzen
aufs wasser starren um nicht mit meinem schatten zu reden
oder auf die nachbartische und an der mimik erraten
an wem sich das ewig selbe wiederholt
wie glorie sich zeigen könnte · wo glück fehlt
während keinen steinwurf weiter dies schwarze meer
umso schwärzer ins finstere fliesst
gleich dem dunkel in uns in dem man nach oben schwimmt
mit letzter luft oder weil da ein fischlicht brennt
doch das bild führt in die irre: da ist kein ziel · vielmehr
stehen wir an bord von fährschiffen die sich nachts kreuzen
silhouetten in der deckbeleuchtung umfasst
vom fahrtwind die ihre hand zum gruss spreizen
kilyos, 18. 9. 21
zu allem geschriebenen und gesagten gehört auch ungedachtes, ohne dass es deshalb ursprünglicher wäre als das durchdachte; vergessenes bleibt nicht immer irgendeiner tiefe wegen verborgen, es muss weder das schwierigste noch das naheliegend einfachste sein. was solcherart abwesend bleibt, stellt bloss den zwangsläufig vom denken geworfenen schatten dar. (Raoul Schrott, 19.3.2023)