Boris Pistorius ist bei den Deutschen beliebt, aber auch bei der Truppe. Dort hat er schon einige Besuche absolviert.
Foto: Imago / Chris Emil Janssen

Guten Morgen!", ruft Boris Pistorius schon, während er noch auf die Soldaten zugeht, die am Rande des alten Flugplatzes in Mahlwinkel warten. Sowjetische Militärflugzeuge sind früher hier in Sachsen-Anhalt gelandet. An diesem Tag brachte ein weißer Hubschrauber den deutschen Verteidigungsminister aus Berlin in die Nähe von Magdeburg. Und dass Pistorius auf die Truppe zugeht, stimmt nicht ganz. Vielmehr eilt er, seine Schritte federn.

Schuhwerk als Gradmesser

Man merkt: Dieser Mann hat noch viel vor, er will keine Zeit verlieren. Pistorius trägt feste braune Wanderschuhe, sie reichen bis über die Knöchel. Normalerweise wäre dies nicht der Erwähnung wert.

Aber in Deutschland gilt auch das Schuhwerk eines Ressortchefs als Gradmesser, seit die frühere Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) bei einem Truppenbesuch in Mali in Pumps aufmarschierte. Sie war dann am Schluss nur noch die "Pannenministerin" und tat Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Jänner mit ihrem Rücktritt einen großen Gefallen.

Der brauchte ein wenig, um die Nachfolge zu regeln. Viele Namen waren im Gespräch. Den Sozialdemokraten Pistorius, der Innenminister von Niedersachsen war, hatte niemand auf dem Zettel. Auch Pistorius, 63 Jahre alt, wurde vom Anruf des Kanzlers überrascht. Aber er sagte sofort zu. Denn: "Das ist so eine verantwortungsvolle Aufgabe, der ich mich nie hätte entziehen wollen."

Habeck wurde verdrängt

Zwei Monate ist er nun im Amt, und in der kurzen Zeit gelang ihm Erstaunliches: Er schoss sowohl im ZDF-Politbarometer als auch im Trendbarometer von n-tv/RTL als beliebtester Politiker auf Platz eins.

Verdrängt hat er die grüne Außenministerin Annalena Baerbock und ihren Parteikollegen Robert Habeck, der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz ist. Die Chefs des Auswärtigen Amtes sind in Deutschland traditionell äußerst populär. An Habecks Lippen hingen lange viele, weil er die diversen Notlagen so schön erklärte.

Neuer Star

Aber jetzt ist Pistorius der neue Star. Und von Notlagen will der nichts wissen. 400 Männer und Frauen des Kommandos Streitkräftebasis befinden sich für zwei Wochen auf dem abgelegenen Gelände des Flugplatzes von Mahlwinkel.

Zu ihrer Übung haben sie allerhand mitgebracht: schweres Gerät, eine Feldküche, eine Wasseraufbereitungsanlage, Kräne und natürlich Panzer. "Vielen Dank für die Vorbereitung, man ahnt, wie viel Arbeit das war", sagt Pistorius, als er eine erste Einführung bekommt.

Er sagt oft "Danke" und "super" und "klasse". Ob er in den Leopard-Kampfpanzer einsteigen wird, ist eigentlich keine Frage. Selbstverständlich tut er das.

Deutschland wird der Ukraine weitere Waffen zur Stärkung ihrer Luftabwehr liefern, darunter weitere Gepard-Panzer, eine Feuereinheit des Patriot-Abwehrsystems und ein weiteres Iris-T-System.
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Minister im Panzer

Es ist ein Exemplar einer früheren Generation, rund 40 Jahre alt. "Fahrschule" steht gut sichtbar darauf, ukrainische Soldaten werden darin ausgebildet. Denn nach längerem Zögern hat sich ja auch Deutschland entschieden, Kampfpanzer zu liefern. Pistorius klettert hinein, bekommt eine Erklärung, dann donnert der Panzer los. Kameraleute und Fotografen sind höchst zufrieden. Der Minister weiß, was gefragt ist. Den ganzen Tag gibt es schöne Bilder, zumal auch die Frühlingssonne scheint.

Es ist nicht Pistorius’ erster Besuch bei der Truppe. Er hat seit seiner Vereidigung mit vielen Soldaten gesprochen, war in Kiel bei der Marine, stapfte in Litauen bei einer Übung durch den Schnee. Als er sein neues Amt in Berlin antrat, fraß er sich sofort in die Akten, erzählt man sich. "Druckbetankung" nennt man das im Verteidigungsministerium. Bei Pistorius soll gelten: Je mehr Informationen er bekommt, desto besser.

Beliebter "Ibuk"

"Man merkt, dass er wirklich hinter der Truppe steht und sich sehr für die Soldaten und ihre Aufgaben interessiert", sagt in Mahlwinkel einer mit höherem Dienstgrad über den neuen "Ibuk", den Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt. Zudem sei Pistorius unprätentiös, locker und sympathisch. Und: "Er weiß, worum es geht, was das Kerngeschäft ist." Bei Ursula von der Leyen (CDU), die das Wehrressort von 2013 bis 2019 leitete, ist es manchem zu viel um Gleichstellung und Familie gegangen. Auch das sei wichtig, sagt der Uniformierte. Aber: "Unsere erste Aufgabe ist die Verteidigung."

Die nächste in der Reihe, Annegret Kramp-Karrenbauer (2019 bis 2021), war gleichzeitig CDU-Chefin. Sie hatte nach Ansicht vieler zu wenig Zeit für das Riesenministerium. Natürlich wird auch immer wieder diskutiert, ob Pistorius gut ankommt, weil er ein Mann ist. Ja, sagen die einen. Wenn in Europa Krieg herrsche, sei ein Mann das richtige Signal. Andere hingegen finden das nachrangig. Hauptsache, die Spitze des Ministeriums sei engagiert und durchsetzungsstark.

Mängel in der Ausstattung

Auf dem Flugplatz sorgt der Niedersachse derweil für einen Lacher. Als er zu einem Statement ansetzt, bimmelt sein Handy laut dazwischen, mit einem Klingelton aus Star Trek. Auch Pistorius lacht. Dann aber wird er ernst. Ob er auch der Meinung sei, er habe einen "Trümmerhaufen" übernommen, lautet eine Frage. Gerade erst hat die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), beklagt: "Der Bundeswehr fehlt es an allem."

Pistorius sieht das nicht so negativ: "Es gibt Mängel in der Truppe, aber die liegen nicht an der Truppe, sondern die liegen in der Ausstattung und an den Strukturen. Aber die Bundeswehr ist weit davon entfernt, ein Trümmerhaufen zu sein."

Ruf nach mehr Geld

Das sind Worte, die die Soldatinnen und Soldaten gerne hören. Mit Wohlwollen wurde auch aufgenommen, dass der neue Minister gleich mal mehr Geld für die Bundeswehr gefordert hat.

Aber bald muss er liefern und zeigen, ob er sich auch tatsächlich durchsetzen kann. Die Ukraine braucht Unterstützung, die Bundeswehr muss besser ausgestattet, neues Material schneller beschafft werden, die USA erwarten, dass Deutschland als Nato-Mitglied endlich zwei Prozent des BIP für die Verteidigung ausgibt.

Wenn Pistorius keine sichtbaren Erfolge vorweisen kann, wird er bald merken: Man kann auch als Mann an der Spitze des deutschen Verteidigungsministeriums scheitern. (Birgit Baumann aus Berlin, 18.3.2023)